# taz.de -- Netzaktivist Beckedahl zur Internet-Enquete: "Lobbyverbände finden… | |
> Die Internet-Enquete des Bundestages geht mit einem äußerst | |
> durchwachsenen Ergebnis in die Sommerpause. Internet-Aktivist Markus | |
> Beckedahl vermisst vor allem Inhalte und Transparenz. | |
Bild: Kritik von Beckedahl: Die Enquete könnte mit ihrer Arbeit viel weiter se… | |
taz.de: Herr Beckedahl, die von der Politik als große Errungenschaft | |
gefeierte [1][Internet-Enquetekommission], der Sie als Sachverständiger für | |
die Grünen angehören, hat sich am Montag auf Herbst vertagt. Was ist Ihr | |
Fazit, nach gut einem Jahr Arbeit? | |
Markus Beckedahl: Mein Fazit ist, dass häufig zuviel über prozessuale | |
Fragen und zu wenig über die Inhalte diskutiert wird. Die Enquete könnte | |
mit ihrer Arbeit viel weiter sein als nach über einem Jahr lediglich zwei | |
von zwölf Projektgruppen abgeschlossen zu haben. Auch würde ich mehr | |
Offenheit wünschen, um mehr Menschen motivieren zu können, sich aktiv über | |
die [2][Adhocracy]-Bürgerbeteiligungsplattform an der Mitarbeit zu | |
beteiligen. Aber leider ist zuviel Transparenz, vor allem in den | |
Projektgruppen, wo die konkrete Arbeit stattfindet, in der Regel nicht | |
mehrheitsfähig. Am Montag fand sich nicht einmal eine Mehrheit, um die | |
Unterlagen für öffentliche Projektgruppensitzungen öffentlich zu machen. | |
Absurd. | |
Außer Spesen also nichts gewesen? | |
So schlecht ist es ja nicht. Nehmen wir zum Beispiel das Thema | |
Netzneutralität, wofür es noch zu wenig Aufmerksamkeit gibt. Das war jetzt | |
die vergangenen beiden Wochen überdurchschnittlich in den Medien vertreten, | |
die dann auch über die Hintergründe und Debatte berichtet haben. Auch wenn | |
natürlich mehr Aufmerksamkeit unabhängig von Geschäftsordnungstricks | |
wünschenswert wäre. Insgesamt hilft die Enquete-Kommission aber, das Thema | |
Netzpolitik populärer und damit auch relevanter zu machen. Die Erkenntnis | |
setzt sich immer mehr gesellschaftlich durch: Das Internet und die | |
Digitalisierung geht nicht mehr weg. Wir müssen gesellschaftliche Debatten | |
über die richtigen Rahmenbedingungen führen und diese werden durch die | |
Enquete zumindest begleitet. Das führt zu gesteigerter Aufmerksamkeit für | |
die Themen. | |
Immerhin wurden [3][Handlungsempfehlungen zum Urheberrecht] verabschiedet. | |
Wie gut sind die? | |
Vieles an dem Text zu Urheberrecht, der weitgehend eine Bestandsaufnahme | |
ist, ist ein Kompromiss. Man muss verstehen, dass es lange Diskussionen gab | |
und extrem verschiedene Positionen unter einen Hut gebracht werden mussten. | |
Immerhin sitzen da auch Dieter Gorny vom Lobbyverband der Musikindustrie | |
und CDU-Politiker am Tisch, die gern härter gegen Internet-Nutzer vorgehen | |
und das Urheberrecht generell verschärfen möchten. Umso mehr freue ich mich | |
über einige konkrete Empfehlungen der Enquete-Kommission, die progressiver | |
sind als in der üblichen politischen Diskussion zu hören ist. | |
Wie konkret? | |
Die Enquete-Kommission empfiehlt zum Beispiel Menschen das Recht zu geben, | |
legal erworbene immaterielle Güter auch weiter zu verkaufen. Bisher habe | |
ich meist kein Recht, eine legal erworbene MP3-Datei, ein Spiel oder ein | |
eBook weiterzuverkaufen, im Gegensatz zu physischen Gütern wie einer CD | |
oder einem Buch. Man verkauft eigentlich derzeit immer nur das | |
Trägermedium, also das Papier oder die CD, nicht das was darauf ist, | |
weiter. Das ist absolut unlogisch und das versteht auch kein Verbraucher. | |
Was noch? | |
Außerdem empfiehlt die Enquete-Kommission an verschiedenen Stellen | |
ausdrücklich die Förderung freier und offener Lizenzen wie Creative | |
Commons. Das freut mich umso mehr, weil ich mich ehrenamtlich bei Creative | |
Commons Deutschland engagiere. Und dann gab es noch die Empfehlung, dass | |
man Downloads aus dem Netz unter die Privatkopieschranke stellen sollte und | |
gleichzeitig eine Kompensationsmöglichkeit für Urheber schaffen soll. Das | |
umgesetzt könnte den Krieg gegen Filesharing beenden und unnötige | |
Repression vermeiden. | |
Die Mehrheit sprach sich gegen "Three-Strikes"-Regelungen aus, bei denen | |
Netznutzern der so fundamental wichtige Internet-Zugang gekappt werden | |
soll, wenn sie sich zwei oder drei Mal beim Filme- und Musikklau erwischen | |
lassen. Heißt das nun, dass der Bundestag einer solchen Idee, wie sie in | |
Frankreich bereits umgesetzt ist, nicht zustimmen würde? Anders gefragt: | |
Wie machtvoll ist die Kommission? | |
Die Kommission gibt Empfehlungen ab, die die Politik übernehmen kann - oder | |
auch nicht. Es sind ja einige Empfehlungen der letzten Enquete-Kommission | |
aus den 90ern letztendlich nicht umgesetzt worden, beispielsweise zur | |
Reform der Verwertungsgesellschaften. Gesetze werden in der Enquete eben | |
nicht gemacht. | |
Konkret zur Three-Strikes-Debatte... | |
...hat die Enquete festgestellt, dass eine Lösung wie in Frankreich keine | |
gute Idee ist, nämlich eine Überwachungsbehörde zu schaffen und Nutzern | |
nach wiederholten Verwarnungen bei Urheberrechtsverstößen bis zu einem Jahr | |
lang das Internet wegzunehmen. Das fordern Lobbyverbände der | |
Unterhaltungsindustrie und einige Politiker auch für Deutschland. Es ist | |
aber umstritten, ob eine solche "französische" Lösung überhaupt | |
verfassungsgemäß sein kann. Ich befürchte aber, dass man im Rahmen der | |
sogenannten dritten Korbes der Urheberrechtsgesetznovelle andere Wege | |
suchen wird, die in dieselbe Richtung gehen. Die Bundesregierung hält sich | |
da noch bedeckt, aber ihre Rhetorik weist in diese Richtung. | |
Haben Sie einige der Entscheidungen bei den Handlungsempfehlungen | |
überrascht? | |
Einige der Empfehlungen kamen mit überraschenden Mehrheiten zu Stande, was | |
aber positiv für die manchmal in Frage zu stellende Unabhängigkeit der | |
Sachverständigen gerade bei den Koalitionsparteien gedeutet werden kann. | |
Manche Mehrheiten sind vielleicht aber auch auf die Verwirrung | |
zurückzuführen, die manchmal herrscht. Wenn im 20-Sekunden-Takt | |
Änderungsanträge abgestimmt werden, verlieren offenbar vor allem auf Seiten | |
der Koalition die Mitglieder häufiger einmal die Orientierung. | |
Sie selbst haben Demokratiedefizite innerhalb der Enquete bemängelt. Was | |
konnten Sie selbst als Nichtpolitiker hierbei lernen? | |
Die Nutzung von Geschäftsordnungstricks kannte ich vor dem Beginn der | |
Enquete schon aus anderen Zusammenhängen. Aber mich überrascht dann doch | |
immer wieder die konkrete Anwendung und die Kreativität, sich eine | |
Geschichte auszudenken, damit man zum Beispiel eine Sitzung abbrechen kann, | |
wenn die eigene Mehrheit bei inhaltlichen Fragen nicht da ist. | |
Glauben Sie, dass die Politik den Rat der Netzexperten, die in der Enquete | |
durchaus vertreten waren, ernsthaft annimmt? | |
"Die Politik" ist ja viel. Wir können zumindest inhaltlich mitdiskutieren | |
und unseren Standpunkt sowie unsere Argumente vorbringen. Ob die von allen | |
Teilnehmern auch gehört und akzeptiert werden, ist eine andere Geschichte. | |
Bei einigen Politikern sind bestimmte Lobbyverbände näher dran und finden | |
mehr Gehör. Diese vertreten in der Regel andere Positionen, als wenn man | |
sich aus einer Verbraucher- und Bürgerrechts-Sicht den Themen nähert. Ich | |
war aber auch positiv überrascht, dass beispielsweise einige junge | |
Abgeordnete aus der CDU/CSU dem Thema gegenüber sehr aufgeschlossen sind | |
und dazu lernen wollen. Dafür kriegen sie sicher häufiger auch Ärger mit | |
ihren Abgeordnetenkollegen in der Fraktion. | |
Das Thema Netzneutralität, Sie hatten es erwähnt, ist so eine Sache, die | |
den Aktivisten sehr wichtig wäre, in der Politik aber nach wie vor nicht | |
als wichtig angesehen wird - Motto: die Wirtschaft macht es schon. | |
Die Bundesregierung und die Koalition sind der Meinung, dass der Markt | |
schon für Netzneutralität sorgen wird. Ich bin von der Argumentation nicht | |
überzeugt, das haben wir ja so ähnlich auch bei den Finanzmärkten gehört. | |
Was genau ist Ihr Problem? | |
Ich habe immer noch nicht verstanden, warum etwa das Blockieren von | |
bestimmten Protokollen wie der Internet-Telefonie (VoIP) in einigen | |
Mobilfunknetzen kein Verstoß gegen die Netzneutralität und das Prinzip | |
eines offenen Netzes darstellen soll und nicht sanktioniert werden sollte. | |
Das ist für mich eindeutig eine Diskriminierung und Benachteiligung und | |
eine Abkehr vom Prinzip eines offenes Netzes, das das Internet erst so groß | |
und lebenswert gemacht hat. Genau genommen wird da kein Internet verkauft, | |
sondern ein minderwertiges Produkt. Wenn Telekommunikationsunternehmen | |
einfach entscheiden können, dass bestimmte Services oder Protokolle | |
ausgeschlossen oder verlangsamt werden, haben wir ein Problem. | |
Kontrollinstanzen gibt es doch, sagen Politiker der Koalition. | |
Die Bundesnetzagentur als Kontrollinstanz des Marktes verfügt gar nicht | |
über die Ressourcen, um die Telekommunikationsanbieter ausreichend | |
überwachen zu können. Und für das mobile Internet will die | |
Bundesnetzagentur gar nicht verantwortlich sein. Gerade hier sehen wir die | |
meisten Verstöße und das mobile Netz wird an Bedeutung noch mehr zunehmen. | |
Die Niederlande machen es gerade vor und schaffen eine gesetzliche | |
Grundlage, um Missbrauch und Diskriminierung und gleichzeitig auch | |
Echtzeit-Schnüffeleien im Datenverkehr, die die Provider euphemistisch | |
Netzwerkmanagement nennen, zu verbieten. Wir brauchen auch in Deutschland | |
klare Regeln, um ein offenes und diskriminierungsfreies Netz zu erhalten. | |
Wer seinen Kunden Internet verspricht, sollte genau das dann auch liefern | |
müssen. | |
6 Jul 2011 | |
## LINKS | |
[1] http://www.bundestag.de/internetenquete/index.jsp | |
[2] http://liqd.net/ | |
[3] /1/netz/netzpolitik/artikel/1/kommission-kurz-vorm-scheitern/ | |
## AUTOREN | |
Ben Schwan | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |