# taz.de -- die wahrheit: Demokratie vom Feinsten | |
> Im Jahr des Hasen: Anlässlich des Besuchs von Premierminister Wen Jiabao | |
> vor Kurzem hierzulande lehnte sich die deutsche Presse einmal mehr aus | |
> dem Fenster ... | |
... Im bekannten antikapitalistischen Kampfblatt Bild erschien die Serie | |
"Die China-Invasion", in der die Redakteure akribisch herausarbeiteten, | |
dass "die Chinesen" die Absicht hätten, überall auf der Welt "Geschäfte" zu | |
machen, um auf diese Weise sogenanntes Geld zu verdienen. Der Spiegel | |
dagegen fragte den "Ausbilder der Pekinger-Kaderschule" Xie Chuntao | |
eindringlich, ob sich China nicht den Stadtstaat Singapur "einschließlich | |
der dortigen Wahlen mit Oppositionsparteien" zum Vorbild nehmen könne? | |
Offenbar hält man in Hamburg Singapur für einen Hort der Demokratie und | |
Menschenrechte. | |
Das ist Singapur nun keineswegs. Lange Jahre konnte das kleine Land auf die | |
höchste Todesstrafenquote der Welt verweisen. Bei der Vollstreckung der | |
Prügelstrafe schlagen Staatsbeamte ganz offiziell die Hinterteile von | |
Delinquenten zu Brei. Die Medien sind allesamt in staatlicher Hand und | |
werden obendrein zensiert. De facto ist Singapur ein Einparteienstaat, der | |
seit 1959 von der Peoples Action Party regiert wird, einer streng | |
hierarchisch aufgebauten Kaderpartei. Die Wahlen zum Parlament sind eine | |
Farce, weshalb in der aktuellen Volksvertretung von 99 Abgeordneten nur | |
neun der Opposition angehören. | |
In mancherlei Hinsicht gibt sich Singapurs Regierung sogar repressiver als | |
die chinesische. So werden in dem Stadtstaat immer wieder ausländische | |
Medien - darunter die Financial Times und die International Herald Tribune | |
- wegen ihrer Berichterstattung über Singapur von den Regierenden verklagt | |
und verurteilt. Wer keine hohen Geldstrafen zahlt und sich nicht für seine | |
Berichterstattung entschuldigt, dessen Medium wird in Singapur verboten. | |
Bis heute ist diese Praxis gang und gäbe. Soeben hat zum Beispiel ein | |
Singapurer Gericht den britischen Staatsbürger Alan Shadrake für acht | |
Wochen ins Gefängnis geschickt. Er hatte in einem Buch über die Todesstrafe | |
in Singapur deutlich über das dortige Justizsystem geschrieben. | |
Anders als beim Verschwinden Ai Weiweis las man allerdings über diese | |
Inhaftierung im Spiegel keine Zeile. Dabei hat das Meinungsmachemagazin mit | |
Jürgen Kremb seit Jahren einen Korrespondenten vor Ort. Aber der ehemalige | |
Chinakorrespondent und Demokratieprophet ("China wird vor Ablauf der fünf | |
Jahre eine Demokratie sein"; Kremb im Spiegel 48/1998) schreibt zwar gern | |
über die Unterdrückung im 1.500 Kilometer von Singapur entfernten Myanmar, | |
berichtet aber äußerst selten aus dem Land, in dem er lebt. Das liegt nun | |
ganz gewiss nicht daran, dass Singapurs Führer Lee Kuan Yew schon seit | |
ewigen Zeiten ein Freund des Westens ist. Eher schon an der Praxis der | |
Regierung, mittels Gericht auch die westliche Presse erfolgreich zu | |
zensieren. Und deshalb lautet die Aufgabe bis zum nächsten Mal: Malen Sie | |
sich den Artikel aus, der im Spiegel stünde, würde diese Form der Zensur | |
auch in China praktiziert. | |
7 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Christian Y. Schmidt | |
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