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# taz.de -- Komponistenmuseen: Es knarrt und riecht nach Holz
> Sommer im Museum (1): Johannes Brahms wohnt gleich neben Georg Philipp
> Telemann, könnte man glauben: Im Puppenstuben-Ambiente der Hamburger
> Neustadt widmen sich zwei Museen Leben und Werk der beiden Komponisten.
Bild: Wo der Nutzwert mit dem anwesenden Personal steht und fällt: das Hamburg…
HAMBURG taz | Die Statur: mittel. Der Mund: dynamisch. Das Gesicht: oval.
Die Gesichtsfarbe: gesund. Dieses und mehr musste der junge Johannes Brahms
angeben, als er einen Pass beantragte, um seine Heimatstadt Hamburg zu
verlassen.
Nicht für immer und ewig, sondern allein um in den umliegenden Gemeinden
und Flecken gelegentlich als Musiker sein Geld zu verdienen. Der Antrag
liegt in einer Vitrine, gleich vorne am Eingang des Brahmsmuseums in der
Peterstraße 39, einem schmalen, einstigen Kaufmannshaus in der Hamburger
Neustadt, das sich recht adrett restauriert vorzeigt.
Dabei hat Brahms hier nie gewohnt, geschweige denn, dass er hier am 7. Mai
1833 geboren worden wäre. Sein Geburtshaus stand ein paar Hundert Meter
entfernt, gegenüber dem heutigen Johannes-Brahms-Platz, wo sich jetzt ein
backsteinerner Bürokomplex erhebt: Das "Brahms-Kontor" bietet nach eigenen
Angaben "auf 15 Etagen zukunftsweisende Bürowelten mit modernster
Ausstattung im historischen Ambiente", hat aber mit dem Leben des Musikers
und Komponisten Brahms rein gar nichts zu tun.
## In der guten Stube
Aber erst mal hinein in die gute Stube, die sich von Gardinen verhangen
zeigt. Das ist in der Peterstraße übrigens in allen Wohnungen Pflicht. Dazu
passen der knarrende Holzfußboden, die niedrigen Decken und die enge,
steile Treppe, die in den ersten Stock führt.
Hier also soll sich das Leben des Johannes Brahms offenbaren, der Jahre
lang in Hamburg wirkte, bevor es ihn 1863 nach Wien zog. Hübsche
Holzbilderrahmen reihen sich dicht an dicht aneinander, in Vitrinen liegen
weiter Briefe, Fotos, Notenblätter aus. Aha. Und das soll man sich jetzt
alles durchlesen?
Zum Glück gibt es Christa Heindorf-Bär und Sigrid Mundstock-Petersen: Die
beiden, die heute ehrenamtlich Dienst tun im Brahmsmuseum, belassen es
glücklicherweise nicht dabei, den Eintritt zu kassieren oder eine CD
einzulegen - mit Brahmsmusik, versteht sich.
Nein, sie nehmen den Besucher ganz unaufdringlich an die Hand und führen
ihn durchs Haus. Und mit jedem Schritt, mit der Betrachtung jedes neuen,
eben noch gänzlich stummen Exponats kommen sie mehr ins Erzählen und
erfüllen so das hinter Glasrahmen gebannte und papierene Leben des Johannes
Brahms mit, eben, Leben.
Frau Heindorf-Bär und Frau Mundstock-Petersen. Sie wissen wirklich
Bescheid. Und sie können erzählen, berichten, plaudern. Dass Brahms schon
mal in einem Baum hockte, wenn er ein Freiluftkonzert dirigierte, zum
Beispiel, und dass er ein Perfektionist vor dem Herrn war, damit bestimmt
ein nicht immer einfacher Zeitgenosse - und das vielleicht nur, weil Robert
Schumann ihn so früh als wegweisendes Talent wies: "Und er ist gekommen,
ein junges Blut, an dessen Wiege Grazien und Helden Wache hielten."
Da war Brahms noch ein junger Mann, gerade mal 20 Jahre alt. Auch dass er
recht hübsch ausgesehen haben muss, mit seinem hellen, lockigen und blonden
Haar, ist zu erfahren.
Man kann zusammen mit den beiden Frauen vom Museum rätseln, ob das letzte,
also jüngste, leider recht früh verstorbene Kind der Clara Schumann nicht
vielleicht doch von Brahms sein könnte! Nebenher erzählen sie von den
vielfältigen Verbindungen, die Brahms zu den Musikern und Komponisten
seiner Zeit unterhielt, flechten mal eben die Geschichte der Fotografie
ein, und so wird langsam klar, warum man im Haus so stolz auf die
Fotografien ist, die den Musiker sitzend und posierend zeigen.
## Es fehlt an Wissensbrücken
Und ein Besuch des Brahmsmuseums ohne die Begleitung der beiden
kenntnisreichen Ehrenamtlerinnen? Wäre vermutlich eine höchst trockene,
vermutlich sehr viel kürzer ausfallende Angelegenheit: Auf den ausgehängten
Texttafeln werden recht stur allein die Lebensdaten des Komponisten
wiedergegeben, Wissensbrücken in die damalige Zeit, aber nirgends
geschlagen. Was waren das überhaupt für Zeiten? Wie gingen etwa Männer und
Frauen miteinander um?
Woran kann ich ermessen, dass Brahms ein Wegbereiter der modernen Musik
war, wie immer wieder und schnell behauptet wird? Fehlanzeige. Und wer
beispielsweise nichts über die Vielstaaterei weiß, die damals nicht nur
Norddeutschland prägte - der wird schon mit Brahms seltsamem Passantrag nur
wenig anfangen können.
Zurück auf die Peterstraße mit ihrem adretten und selbstredend
unkrautfreien Kopfsteinpflaster. Einen Eingang weiter nach links, wo Jens
Homann die Tür weit offen stehen lässt. Perlige Barockmusik drängt mit
Wucht nach draußen. "Das mach ich natürlich, um den einen oder anderen
Besucher hier hereinzulocken", sagt Homann mit Blick auf die museale
Nachbarschaft.
Drinnen folgt der nächste Sinneseindruck: Es riecht einnehmend nach
frischem Holz. Das Museum für Georg Philipp Telemann, betreut und betrieben
von der Hamburger Telemann-Gesellschaft, hat erst seit gut acht Wochen
geöffnet und sucht noch seinen Platz in der Museumslandschaft. Dass es
überhaupt eröffnen konnte, ist der Alfred-Töpfer- Stiftung zu verdanken und
den Spendierhosen der Abgeordneten der Bezirksversammlung Hamburg-Mitte.
"Die Kulturbehörde aber", sagt Homann und rümpft zum ersten und einzigen
Mal an diesem Vormittag die Nase, "die hat bisher gar nichts gegeben!"
## "Einer wie Picasso"
Auch Rentner Jens Homann ist so ein vor Begeisterung sprühender
Ehrenamtler. Er war zwar schon lange Fan, aber, sagt er selbst, ohne allzu
fundiertes Hintergrundwissen: "Mir hat Telemann immer gefallen, aber ich
wusste lange nicht, wie vielseitig er gewesen ist und wie viel er
komponiert hat - wie Picasso hat er nicht gesucht, sondern gefunden, und so
hat Telemann vieles, was ihm über den Weg lief, zu Musik gemacht.
Allerdings ist einiges verloren gegangen, anderes wird nicht mehr
aufgeführt - gerade seine Opern sind doch sehr zeitbezogen."
Beides scheint ihn kurz zu betrüben, doch Homann hat sich rasch wieder
gefangen und sagt mit erhobener Stimme: "Auch wenn Bach heute in aller
Munde ist und Telemann manchen nur als barocker Vielschreiber gilt - er war
der bekannteste Musiker seiner Zeit!"
Das zu beweisen muss vorerst ein einziger Raum reichen: Texttafeln führen
kurz ein in das Leben des Herrn Telemanns, der 1721 im Alter von 40 Jahren
nach Hamburg kam, um die Kirchenmusik der Stadt auf Vordermann zu bringen,
für die Hanseaten Kapitänsmusiken komponierte, Tafelmusik für das
Matthiaemahl schrieb und Jahr um Jahr ein Oratorium ablieferte.
## Post von Henze
Dazu gesellt sich eine Sondermarke der einstigen DDR zu Telemanns 300.
Geburtstag und ein Brief aus dem Juli vergangenen Jahres, in dem der
Komponist Heinz Werner Henze bekennt: "Die Musik von Telemann hat mich
schon gerührt und erfreut, als ich noch zur Schule ging."
Spannend sind zwei kleine Hinweise, die verdeutlichen, dass Musiker oder
Komponisten zu keiner Zeit im luftleeren Raum operierten und eben Kinder
ihrer Zeit waren: So inspirierte der Schock, den das Erdbeben von Lissabon
1755 gerade unter den vernunftsgläubigen Zeitgenossen auslöste, Telemann zu
seiner "Donnerode".
Das Ende des Siebenjährigen Krieges (1756-1763), der nicht nur Mitteleuropa
zerstörte, feiert ein anderes Stück: das Weihnachtsoratorium "Die Hirten
bey der Krippe".
## Brahms-Museum: Peterstraße 39, Hamburg. www.brahms-hamburg.de;
Telemann-Museum: ebd., www.telemann-hamburg.de
7 Jul 2011
## AUTOREN
Frank Keil
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