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# taz.de -- Journalistin über Chinas Medien: "Mut ist gut fürs Geschäft"
> Einerseits berichten Chinas Medien gerne Kontroverses, andererseits
> beklagen sie erschwerte Arbeitsbedingungen. Nailene Chou Wiest über
> Zensur, gute Storys und Katz-und-Maus-Spiele.
Bild: Genehme Nachricht: Ein chinesischer Müllsammler liest Texte über eine R…
Chinesische Medien bringen immer neue Affären ans Licht. Beispiel: Die
Zeitschrift Caixin deckte einen Kindesraub-Skandal in der Provinz Hunan
auf. Mitarbeiter eines örtlichen Familienplanungsamtes hatten 16
Bauernfamilien das zweite oder dritte Kind weggenommen - zur Strafe für
ihren Verstoß gegen die 1-Kind-Politik. Sie gaben die Kleinen als Waisen
aus und vermittelten sie gegen eine Gebühr zur Adoption ins Ausland.
Zensieren die chinesischen Behörden weniger streng als früher, fragten wir
die Medienexpertin Nailene Chou Wiest.
taz: Frau Chou, Chinas Zeitungen sind voller Artikel über
Bestechungsskandale, Bergwerksunglücke und andere Probleme. Wird die Presse
freier?
Nailene Chou Wiest: Nein. Aber die Medien haben inzwischen eine beachtliche
Geschicklichkeit darin entwickelt, sich den Anschein von Offenheit zu
geben. Bei genauem Hinschauen erkennt man, dass gewisse Themen erlaubt sind
und andere vollständig tabu.
Berichte über Korruption sind also erlaubt?
Ja, aber nur über Skandale auf unterer Ebene. Geht es höher hinauf, dürfen
die Medien nur solche Fälle aufgreifen, die von der Regierung zuvor
freigegeben wurden. Das alles bedeutet keineswegs, dass ein Journalist sich
für die Geschäfte eines hochrangigen Funktionärs interessieren darf - auch
wenn weithin bekannt ist, dass er Dreck am Stecken hat. Es gibt einige
wenige einflussreiche Zeitschriften, die weiter gehen dürfen als andere,
aber nicht viel.
Sind die Zensoren heute aktiver als früher?
Gewiss. Die Lage wird schlechter. Diese Verschärfung hat vor sieben oder
acht Jahren begonnen. Die Behörden fürchten sich nicht so sehr davor, dass
irgendein großes Problem in China zu Unruhen wie in Arabien führen könnte.
Sie haben vielmehr Angst, dass sich aus irgendeinem der zahlreichen
kleineren Konflikte im Land ganz plötzlich ein Flächenbrand massiver
Unzufriedenheit entwickeln könnte. Deshalb beobachten sie die Diskussionen
in den Medien und im Internet genau. Sobald ein Thema ihrer Ansicht nach zu
heiß debattiert wird, beenden sie es von einem Moment zum anderen. So war
es zum Beispiel im Fall von Li Gang.
Dessen Sohn hatte eine Frau mit dem Auto überfahren und sagte, man könne
ihm nichts anhaben, weil sein Vater ein hoher örtlichen Funktionär sei.
Ja, das brachte die Leute sehr auf, sie sahen darin ein Beispiel für die
Arroganz der Macht. Die Behörden ließen die Debatten in den Zeitungen und
im Internet eine Weile zu - aber jetzt ist es vorbei. Es ist nicht mehr
möglich, Artikel zu diesem Thema zu veröffentlichen.
Woher wissen die Redaktionen, wann Schluss ist?
Es gibt keine Vorzensur, man muss die Artikel nicht vorlegen, bevor sie in
den Druck oder ins Netz gehen. Die Redakteure erhalten die Anweisungen von
der Propagandaabteilung - meistens per Telefon, manchmal werden sie zu
einer Versammlung einberufen. Einige der mutigeren Publikationen versuchen,
ganz schnell mit ihren Artikeln rauszukommen, noch bevor die Direktiven
eingetroffen sind. Sie wissen, dass die Behörden sie nur selten zwingen
werden, die ausgelieferten Exemplare zurückzuholen, weil das die Neugier
der Öffentlichkeit auf heikle Inhalte nur noch steigern würde.
Ein Katz-und-Maus-Spiel.
Chinas Journalisten müssen dieses Spiel spielen, wenn sie ihre Geschichten
in die Öffentlichkeit bringen wollen. Einer meiner Bekannten, ein
Redakteur, hat mir gesagt, dass er mittlerweile so viele "Selbstkritiken"
geschrieben habe, dass er solche schriftlichen Eingeständnisse innerhalb
von fünf Minuten heraushauen kann. Manche Direktiven der
Propagandaabteilungen sind ganz wohlmeinend: Während der nationalen "Woche
des Bücherlesens" zum Beispiel bitten sie darum, Artikel über gute Bücher
und die Nützlichkeit des Lesens zu veröffentlichen
Und wie funktioniert das im Internet?
Sie kontrollieren die Nachrichtenportale. Eine Regel lautet: Wer die
Direktiven nicht befolgt, darf seine Nachrichtenseite 24 Stunden lang nicht
aktualisieren. Das ist tödlich fürs Geschäft. Und aus den Mikroblogs
filtern sie heikle Begriffe heraus. Für Leute wie mich - und wahrscheinlich
80 Prozent der Chinesen, die technisch nicht so fit sind -, ist das
ziemlich effektiv. Meine Studenten wissen natürlich alle, wie man die
"Great Firewall" der Zensur überwindet. Viele von ihnen haben eigene
Facebookseiten, obwohl Facebook in China blockiert ist
Was macht in China eine gute Zeitung aus?
Gute Blätter bringen Geschichten, über die man im ganzen Land spricht - und
das nicht nur einmal. Davon gibt es gar nicht wenige. Ein Beispiel ist die
Geschichte über ein jungverheiratete Paar, das zu Hause Pornos anschaute.
Die Polizei drang in ihre Wohnung ein und konfiszierte die DVDs. Darüber
haben alle gesprochen, und es entwickelte sich zu einer Debatte über die
Privatsphäre und die Macht der Polizei.
Ein Grund für mutige Berichterstattung ist das Geld: Die Leser geben ihre
schwer verdienten Renminbi lieber für Artikel aus, die nicht dasselbe
bringen wie alle anderen. Mutigere Redaktionen finden mehr Leser und damit
auch mehr Werbekunden. Das ist gut fürs Geschäft, funktioniert allerdings
nur bis zu einem gewissen Punkt: Sobald die Medien richtig profitabel sind,
werden sie wieder vorsichtiger.
14 Jul 2011
## AUTOREN
Jutta Lietsch
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