# taz.de -- DIE WAHRHEIT: Nur so gut wie ihre Flaschen | |
> Exakt ein Dreivierteljahr lang hatte ich mir das fast jeden Abend in | |
> meiner Stammkneipe Kyklamino im Frankfurter Gallusviertel anhören müssen | |
> ... | |
... "Lusche!", "Pfeife!", "Niete!" und dergleichen Senf - bloß weil wir am | |
2. Oktober 2010 aus unerklärlichen Gründen das entscheidende Spiel im | |
"Großen Turnier um den leeren Gallus-Pokal" verloren hatten und Apollo, der | |
Boß der Schwindeltruppe "Apollo 11", die Trophäe davontragen durfte (Die | |
Wahrheit berichtete). Dagegen war leider nichts und wieder nichts zu | |
machen, sogar das Bundesverfassungsgericht wies unseren Eilantrag auf | |
Annullierung des Ergebnisses ab. | |
Wenig später stand im Schnapsregal ein neuer Pokal, ein farbenspeiendes | |
Monstrum, offenbar angefertigt von vierjährigen albanischen | |
Porzellanmalern. Den ehrwürdigen Silberpokal, um den seit 2007 meine | |
grandiose Mannschaft, "Hermann United", und das Mogelteam "Apollo 11" sowie | |
seit dem vergangenen Jahr der Wasserhäuschenverein "Orange Beach" erbittert | |
kämpfen, hatte Apollo kurzerhand entsorgt wie ein Taschentuch auf dem | |
Fußboden eines Frickelkinos. | |
Nur das beherzte Einschreiten der Bedienung Sia vermochten den | |
ungeheuerlichen Frevel zu verhindern. Sia fischte das Schmuckstück, an dem | |
Erinnerungen hängen, die wertvoller sind als jene an den ersten Kuss, aus | |
dem Mülleimer und stellte es zurück ins Regal, neben den unfassbar | |
hässlichen neuen Klotz, und Apollo konnte mit vorgehaltener Bierpistole zu | |
einer halben Lokalrunde als Zeichen der Versöhnung ermuntert werden. | |
Nun aber sollte er kommen, der Tag der totalen Abrechnung - am 2. Juli. Am | |
Vorabend feixte Alex: "Jürgen kann am Ball alles: aufpumpen, einfetten, | |
wienern" - doch ich, seit geraumer Zeit Teammanager, ließ mich | |
selbstverständlich nicht die Bohne verwirren und erkundigte mich bei meiner | |
zur Psychologischen Direktorin beförderten Assistentin Katja nach dem Stand | |
der Dinge: "Vier absolute Kracher!" Dazu die Stammkräfte Jöricke (Trier, | |
Burger King), Jörg (Gießen, Licher) und Martin fürs Tor (Frankfurt am Main, | |
Marlboro) - die Sache würde laufen. | |
Als ich mit Katja einen Kasten Siegerbier (Rothaus Pils, logisch) zum | |
Hartplatz vis-à-vis der Societäts-Druckerei schleppte, merkte ich, dass sie | |
zitterte. "Als Psychologische Direktorin musst du die Nerven behalten!", | |
ermahnte ich sie. Den Ball hatte ich vergessen, so dass sich mein | |
Zauberteam mit Bier und Zigaretten aufwärmte. Es sah alles hervorragend | |
aus. | |
"Wir sind die Mannschaft ohne Ball, aber mit Gehirn", stimmte ich meine | |
Leute ein und fragte: "Spürt ihr genug Hass in euch?" Die Runde nickte. | |
"Und du, Katja, hast du deine Einzelgespräche geführt?" Sie schüttelte | |
energisch den Kopf. In Zukunft wird sie den Posten des Zeugwarts bekleiden. | |
Die Auslosung ergab, dass wir gleich zu Beginn gegen Apollo, der schon | |
deutlich Zeichen zerebraler Zerrüttung zeigte, und seine Mannen antreten | |
mussten - überwiegend Jungrussen und irgendwelche Germanengauner, inklusive | |
eines alten Mitstreiters aus den Anfangsjahren, der sich mit einer Perücke | |
unter diese Desperados geschummelt hatte. Dafür war uns kurzfristig ein | |
zweiter Daniel zugelaufen, den niemand kannte. | |
Warum wir nach fünfzehn Minuten, zur Halbzeit, trotz eklatanter Wendigkeit | |
und funkensprühenden Spielwitzes eins zu drei hinten lagen, verstand mal | |
wieder niemand. Apollo blies die Backen auf und brüllte unflätige Brocken | |
in unsere Richtung, ich coachte mir den Ast ab, und dann geschah das | |
Wunder: ein Pfund von Jöricke zum Zweizudrei, der traumhaft | |
herauskombinierte Ausgleich, drei zu vier nach einem Torwartpatzer, der | |
stark an gewisse Damendarbietungen erinnerte, das Vierzuvier durch Jörg | |
(via Innenpfosten) und Jörickes unsterblicher Führungs- und schließlich | |
Siegtreffer. | |
"Mauern! Mauern! Beton! Beton!", schrie ich an der Seitenlinie, hin- und | |
herspurtend wie Otto Rehhagel, allerdings mit Bierflasche in der Hand. "Ich | |
bin mehr gelaufen als ihr!", beglückwünschte ich meine Triumphatoren nach | |
dem Abpfiff, derweil Apollo mit ferrariroter Omme die Zeitnahme in Zweifel | |
zog und sich plötzlich an den Spielmodus nicht mehr erinnern wollte. Die | |
Griechenlandkrise ist in den Köpfen hiesiger Exilhellenen angekommen. | |
Egal, wir hatten unseren Auftrag erledigt und die Schurkenelf in die | |
lädierten Knie gezwungen. Inflammiert bissen wir den Rothaus-Pullen die | |
Kronkorken ab und spuckten sie Apollos Kameraden vor die Füße, als die an | |
unserer Bank vorbeischlichen. "Jürgen coacht nach den neuesten | |
sportphysiologischen Erkenntnissen", meinte Jöricke, und Jörg versetzte: | |
"Ja. Hauptsache: keine Konsonanten! ,Uuuaaaahhhh!'" | |
"Haltet euch warm! Studiert den Feind!", schärfte ich den Kollegen während | |
des Vierzudrei von "Apollo 11" gegen "Orange Beach" ein - das ideale | |
Resultat für uns. Lediglich Katja nahm davon keine Notiz. "Was machst du | |
eigentlich außer rumsitzen?", fragte ich sie. "Ich betreibe Metaphysik." | |
Ein Unentschieden hätte uns genügt, um den Turniersieg heimzubringen, und | |
vermutlich hätte ein wenig mehr Metaphysik nicht geschadet. Der Beistand | |
blieb indes abermals aus. Geschichte wiederholt sich nicht? Ha. In der | |
Nachspielzeit der ersten Hälfte schenkte uns "Orange Beach" das Nulldrei | |
und das Nullvier ein, nach der Pause umgehend das Nullfünf. Am Ende krochen | |
wir mit drei zu sieben vom Platz und waren Dritter geworden, im Grunde | |
genommen Letzter. | |
"Das ist so, als wolltest du Stalingrad einnehmen, und du hältst bei Moskau | |
an. Ihr seid alle entlassen!", zog ich einen Schlussstrich. "Moskau reicht | |
mir", erwiderte Jörg, und Jöricke grölte zum Gotterbarmen verzweifelt in | |
den hämisch blauen Himmel: "Das ist schlimmer als der Dolchstoß! Nach all | |
den Jahren! Nach all den Jahren!" | |
Der eine will jetzt eine Konfrontationstherapie machen, ein anderer einen | |
Gesprächskreis gründen. Oder was soll man denn noch alles tun, damit | |
endlich die Richtigen gewinnen? Tore von "Hermann United" zählen dreifach? | |
Für die Gegner die Altersbestimmung Sechzig plus einführen? Den | |
Konkurrenten die Augen mit Duct-tape zukleben? Gleich zum Sackhüpfen | |
übergehen? | |
Ich werde lange, lange schlecht schlafen. | |
16 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Roth | |
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