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# taz.de -- Chile-Doku des ZDF am Rande der Fiktion: Wenn die Mine weint
> Das ZDF zeigt die Rettung chilenischer Bergarbeiter und testet, wie viel
> Fiktion in eine Dokumentation passt: Schauspieler hauchen den drögen
> Interviews Leben ein.
Bild: Darf eine Doku das? Schauspieler stellen eine Szene im Schutzraum der ver…
Der Dienstagabend ist in diesem Sommer eine Gelegenheit. Wer will, kann
sich da einen schnellen Überblick verschaffen über die Spannweite, über die
Pole des dokumentarischen Filmschaffens. Da stehen sich zwei
widerstreitende Modelle gegenüber.
In der ARD gibt es den "Dokumentarfilm im Ersten" - da wird mit viel
Sendungsbewußtsein das positive Klischee vom künstlerisch wertvollen
Dokumentarfilm benutzt und bedient. Das ZDF hingegen zeigt eine dreiteilige
"Doku-Fiction-Reihe". Nicht dass an dem Zwitter aus Fakt und Fiktion
irgendetwas neu wäre, überhaupt nicht. Neu ist aber das offensive
Bekenntnis zu einem polarisierenden Begriff, den die Sender der ersten
Reihe sonst eher meiden wie der Teufel das Weihwasser, indem sie ziemlich
konsequent beinahe alles irgendwie Dokumentarische mit dem harmlosen Label
"Dokumentation" versehen.
Denn "Doku-Fiction" - das stößt den Dokumentarfilm-Puristen übel auf, die
da meinen, eine - partielle - Fiktionalisierung habe das Reale nicht zu
verunreinigen. Wer freilich die vergangenen Jahrzehnte nicht komplett
verpennt und seinen Baudrillard gelesen hat, der weiß längst: "Da keine
Realität mehr möglich ist, sind auch keine Illusionen mehr möglich." Es
gibt nur noch Halluzination von Realität, Hyperrealität, das Fernsehen ist
eine Ersatzrealität geworden und wir können heute zwischen der medialen
Repräsentation eines Ereignisses und dem Ereignis selbst nicht mehr
unterscheiden - so weit Baudrillard.
Schnell wird es da weltanschaulich grundsätzlich und intellektuell
anstrengend - dabei will der einfache Fernsehzuschauer doch weiter nichts,
als über die Welt informiert und dabei auch noch gut unterhalten werden.
## Großes menschliches Drama
Da käme es dann weniger auf das Grundsätzliche als vielmehr auf den
konkreten Einzelfall an. Für den heutigen Abend hieße das: Im
ARD-Dokumentarfilm haben in langen Interviews "Die Anwälte" (22.45 Uhr) der
RAF Otto Schily, Hans-Christian Ströbele und Horst Mahler Gelegenheit zur
Selbstdarstellung und werden dabei von der wohlmeinend behutsamen
Dokumentarfilmerin Birgit Schulz nicht mit allzu konsequenten Nachfragen
aus dem Konzept gebracht. Kein langweiliger, kein ganz schlechter Film -
aber die "Doku-Fiction" von ZDF-Südamerika-Korrespondent Andreas Wunn ("An
einem Tag in Chile", 20.15 Uhr) könnte ja besser sein.
Das Thema hat doch schon mal alles, es geht um die 33 vor einem Jahr in
Chile verschütteten Bergleute. Großes menschliches Drama, aber mit Happy
End, wie bei einem guten Hollywood-Spielfilm, das weiß der Zuschauer von
Anfang an. Er kann sich noch erinnern, falls nicht, der Film fängt an mit
der Freude der Geretteten und ihrer Angehörigen: "Es fällt mir sehr, sehr
schwer, diese riesige Freude auszudrücken." Was man halt so sagt, in
solchen Situationen, wenn man nicht wirklich was zu sagen weiß. Da kommt
die "Fiction" in der Doku-Fiction ins Spiel, professionelle Schauspieler
hauchen den drögen Interviews mit den filmischen Laien Leben ein, mit
Drehbuchdialogen wie diesem, ein Bergmann hat gerade bedrohliche Geräusche
vernommen und ahnt Böses, ein Kumpel klärt ihn auf:
"Keine Angst! Die Mine weint." "Sie weint? Was soll das heißen?" "Na wenn
Steine herabfallen. Aber wenn du das irgendwo lauter hörst, dann -
verschwinde von da! Wenn die Mine weint, kann sie töten."
Die südamerikanische Seele und ihr Hang zur Metaphorik soll sich hier wohl
ausgedrückt finden - oder das, was die Filmemacher glauben, dass es
deutsches Publikum zu diesem Thema erwartet. Der Film setzt ganz auf den
Unterhaltungswert der großen Gefühle. Angerührt wird der Zuschauer am Ende
sein, wird er auch informiert sein?
Wie man's nimmt. Er wird zwar wissen, dass der chilenische Bergbauminister
während der Suche nach den Verschütteten "für alle Vorschläge offen" war -
auch für Hellseherinnen und weiße Mäuse. Er wird aber nicht wissen, wie es
eigentlich zu dem Unglück kommen konnte. Wie es, en détail, um die
gesetzlichen und tatsächlichen Sicherheitsstandards in Chiles Bergwerken
steht, im Vergleich etwa zu chinesischen oder deutschen Bergwerken. Aber
das wäre dann vermutlich zu viel Doku in der "Doku-Fiction" gewesen.
19 Jul 2011
## AUTOREN
Jens Müller
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