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# taz.de -- Schadstoffe in Minen in Guatemala: Gold macht Kinder krank
> Carla bekommt von ihrer Mutter häufig Handschuhe angezogen. Sonst würde
> sie sich die Haut aufkratzen - ein Preis für die Goldförderung, den die
> Bevölkerung zahlt.
Bild: Crisanta Pérez und ihre Tochter Gorrgina: Sie hat mit sieben Frauen eine…
AGEL taz | Der Himmel ist grau, selbst wenn die Sonne scheint. Feiner Staub
schwebt in der Luft. Er legt sich auf die lichten Pinienwälder auf den
Hügeln und auf den Mais und den Kohl auf den Feldern. Den silbrigen
Wellblechdächern der Lehmziegelhütten nimmt er den Glanz. Immer wieder
grollt es in der Ferne. Explosionen; neuer Staub steigt auf. Der Weiler
Agel im nordwestlichen Hochland von Guatemala liegt in unmittelbarer Nähe
der Gold- und Silbermine Marlin, betrieben vom kanadischen Bergbaukonzern
Goldcorp.
Im Jahr 2009 - neuere Zahlen wurden bislang nicht veröffentlicht - haben
die Arbeiter in Marlin 9.245.563 Tonnen Gestein aus der Landschaft
gesprengt. 1.815.750 Tonnen davon wurden zu Staub zermahlen, die anderen
fast 7,5 Millionen Tonnen füllen die Abraumberge. Aus einer Tonne
gemahlenen Gesteins wird mit Zyanid und anderen hochgiftigen Chemikalien
durchschnittlich 4,27 Gramm Gold und 92,8 Gramm Silber herausgelöst. Der
Rest ist Abfall.
274.897 Feinunzen Gold wurden in Marlin 2009 gefördert, zu
Produktionskosten von 130 Euro pro Feinunze (rund 31 Gramm). An den
Rohstoffbörsen in London und New York wird die Feinunze zu über 1.000 Euro
gehandelt. Der Staat von Guatemala erhält vom Erlös des Goldverkaufs gerade
ein Prozent. Marlin macht die Aktionäre von Goldcorp reich und die Kinder
von Agel krank.
Carla ist zehn Monate alt. Sie hat riesige dunkle Augen, dünne pechschwarze
Haare und einen Körper voller eitriger Pusteln. "Ich muss ihr oft
Handschuhe anziehen, sonst kratzt sie sich wund", sagt ihre Mutter Marta
Pérez. Auch Melvin, Martas zwölfjähriger Sohn, leidet unter den Pusteln.
Die anderen vier Kinder sind gesund. "Bei Melvin hat es angefangen, als die
Mine zwei Jahre alt war", sagt die Mutter. "Wir haben alles versucht:
Salben, Tabletten, Injektionen. Wir haben 2.000 Quetzales für Ärzte und
Medikamente ausgegeben und nichts hat geholfen." Umgerechnet sind 2.000
Quetzales knapp 180 Euro. Für eine Kleinbauernfamilie, die von der
Subsistenzwirtschaft lebt, ist das sehr viel Geld. Für Martas Kinder
bedeutet es: Ein Jahr lang keine neuen Schuhe, keine neuen Kleider und
keine Hefte für die Schule.
Marta ist groß und kräftig und doch so sanft und schüchtern, wie es viele
Maya-Frauen im Hochland von Guatemala sind. Sie redet nicht viel, aber wenn
sie helfen muss, hilft sie. Wenn Crisanta bei ihr Unterschlupf sucht, ist
sie immer willkommen. Martas Lehmziegelhütte liegt fernab von der Straße,
an einem steilen Hang hinter einem Wäldchen und ein paar Felsen. Fünf Hunde
wachen darüber. Wenn ein Fremder kommt, schlagen sie an, lange bevor dieser
das Häuschen sehen kann. So bleibt immer genügend Zeit, sich zu verstecken.
## Stromleitung gekappt
Crisanta Pérez muss sich verstecken. Seit sie vor knapp zwei Jahren die
Starkstromleitung gekappt hat, von der die Mine mit Energie versorgt wird,
gibt es einen Haftbefehl gegen sie. Über einen Monat lang konnte damals
kein Gold gefördert werden. Die kleine und zähe Frau erzählt davon, als
wäre es ein Bubenstreich. "Als die von der Mine kamen, haben sie einfach
einen Zaun gebaut und gesagt: Hier kommt ihr nicht mehr durch, das ist
Privatbesitz. Sie haben Pfosten aufgestellt für die Stromleitung und einen
haben sie direkt neben mein Haus gestellt. Da habe ich mir gedacht: Das ist
auch Privatbesitz." Zusammen mit sieben Frauen habe sie den Pfosten einfach
gefällt.
Crisanta und all die anderen Bewohner von Agel wurden nicht gefragt, ob sie
die Mine in der Nachbarschaft haben wollen. Nach internationalem Recht aber
müssen die Einwohner indigener Gebiete befragt werden, bevor der Staat eine
Bergbaulizenz erteilt. Über 95 Prozent hier sind Maya der Ethnie Mam. Auf
dem Berg, der nun zu Staub zermahlen wird, haben sie früher ihren Göttern
geopfert. Mitte 2005 haben die Mam selbst eine Befragung in den unmittelbar
betroffenen Gemeinden organisiert. 95 Prozent waren gegen die Mine. Doch
die Lizenz zur Ausbeutung war schon zwei Jahre zuvor erteilt worden, seit
einem halben Jahr wurde in Marlin gearbeitet.
Seither sind in den Weilern rund um die Mine mindestens sechs Brunnen
ausgetrocknet, auch der von Marta, aus dem sie schon als Kind Wasser geholt
hat. Vieh, das aus den beiden Flüssen in der Gegend getrunken hatte, sei
verendet, erzählen sich die Bauern. Ein paar Studien beweisen, dass das
Wasser, nachdem es an der Mine vorbeigeflossen ist, überdurchschnittlich
hoch mit Quecksilber, Kupfer, Zink, Arsen und Blei belastet ist.
Besorgniserregende Spuren dieser Gifte fanden die Physicans for Human
Rights auch im Blut der Bewohner.
Aber es gibt keine nachgewiesene Kette der Schadstoffe von der Mine ins
Blut und auch keinen unwiderlegbaren Zusammenhang mit den Pusteln der
Kinder. Nicht einmal Vergleichswerte mit dem Zustand vor der Öffnung von
Marlin. "Wir haben weder das Geld noch die Labore und Spezialisten, um so
einen Nachweis führen zu können", sagt der Anthropologe Juan José
Monterroso, der für das Kinderhilfswerk terre des hommes Deutschland an
einer Studie über die Folgen der Mine für das Leben der Kinder arbeitet.
## Keine Stilllegung
Immerhin: Die Zahlen, die es gibt, waren für die Interamerikanische
Menschenrechtskommission - eine Einrichtung der Organisation Amerikanischer
Staaten - alarmierend genug, um in einer Entscheidung vom 21. Mai
vergangenen Jahres von der Regierung Guatemalas zu verlangen, den Betrieb
in Marlin so lange stillzulegen, bis die Zusammenhänge eindeutig geklärt
sind. Die Regierung hatte zugesichert, dies auch zu tun. Aber bis heute ist
nichts geschehen.
In Marlin selbst will sich niemand zu den Vorwürfen äußern. Man habe
schlechte Erfahrungen mit der Presse gemacht, sagt Sprecherin Maritza Ruiz.
Und überhaupt: Alle, die etwas sagen könnten, seien entweder im Ausland
oder zu beschäftigt. Um das Minengelände herum patrouillieren die schwarzen
Pick-ups eines privaten Sicherheitsdienstes. Wenn die Männer am Steuer
etwas sehen, das ihnen ungewöhnlich vorkommt, halten sie an, beobachten und
sprechen in ihr Funkgerät. Ihre ständige Präsenz macht sie unheimlich.
Bei Straßenblockaden rund um die Mine gab es bislang zwei Tote und Dutzende
von Verletzten. Auf ein paar Minengegner wurden Attentate verübt.
"Nirgendwo ist es billiger und einfacher, einen Killer zu engagieren", sagt
Monterroso. In der Provinz San Marcos, in der Marlin liegt, operieren die
Zetas, ein mexikanisches Drogen-, Erpresser- und Mörderkartell, das mit der
Unterstützung ehemaliger guatemaltekischer Elitesoldaten aufgebaut wurde.
## Pusteln wegen mangelnder Hygiene
Goldcorp will von all dem nichts wissen. In seinen Nachhaltigkeitsberichten
rühmt sich der Konzern sozialer Wohltaten. Man bezahle einen Teil des
Haushalts der anliegenden Gemeinden und organisiere Dorffeste, habe Straßen
gebaut (auf denen vorwiegend die Schwerlaster der Mine verkehren) und sogar
ein Krankenhaus (das mangels Ärzten nicht in Betrieb ist). Jeder Schule in
der Umgebung stelle man zwei Lehrer und organisiere Fortbildungen auch für
die staatlichen Erzieher. 1,5 Millionen US-Dollar lasse man sich das jedes
Jahr kosten - ein Klacks im Verhältnis zu den Gewinnen.
"Sie haben die Bürgermeister eingekauft und versuchen, schon in der Schule
die Kinder für die Mine zu vereinnahmen", kommentiert Monterosso das
Sozialprogramm. Wer kranke Kinder habe, dem werde Geld angeboten, damit der
Fall nicht öffentlich werde. Im Gesundheitsposten hat man Marta Pérez
gesagt, die Pusteln ihrer Kinder seien ein Problem mangelnder Hygiene. Als
ob nur die Kinder in fünf Kilometer Umkreis von Marlin unter hygienisch
fragwürdigen Bedingungen leben würden. Wer weiter weg wohnt, hat gesunde
Kinder.
Auch zwei von Crisantas Kindern leiden unter den Pusteln. Immer wieder
kämen unbekannte Männer in ihr Haus und fragten, wo die Mutter denn sei.
"Ich bin nur noch selten dort", sagt sie. "Und wenn ich aufs Feld gehe oder
zum Holz sammeln, ist immer jemand dabei." Wenn sie davon erzählt, verliert
sie das Schelmenhafte und den Schneid. "Wenn dann doch etwas passiert, kann
ich nicht einmal Hilfe rufen", sagt sie und weint. "Ich hab ja nicht einmal
das Geld, um Einheiten für mein Mobiltelefon zu kaufen."
20 Jul 2011
## AUTOREN
C. Romero
T. Keppeler
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