Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Internet und Wissen: Vergessen ist nützlicher
> Kulturpessimisten haben gewarnt: Das Internet macht das Gehirn faul und
> zu viel abrufbares Wissen lässt uns Menschen nicht mehr entscheiden. Doch
> die These ist falsch.
Bild: Wissen, wo das Wissen steckt. Und wenn es im kleinsten Bildprojektor ist.
Das Internet verändert unsere Gedächtnisstruktur – das jedenfalls legt eine
Studie von Betsy Sparrow von der Columbia University nahe. Ihren
Forschungen zufolge behielten Teilnehmer der Studie ein ihnen gezeigtes
Wort weniger häufig, wenn sie glaubten, der Computer speichere die
Information: im Gegensatz zur Gruppe, die glaubte, die Information werde
wieder gelöscht.
Die Gedächtnisleistung wurde schlechter, sobald die Probanden davon
ausgingen, dass der Computer und vor allem das Internet die
Erinnerungsarbeit übernehme.
Mit dem Internet sind heute mehr Informationen verfügbar als je zuvor. 2003
vermuteten Wissenschaftler ein 30-prozentiges Wachstum an gespeicherten
Informationen – pro Jahr. Tendenz weiter stark steigend. Die
Informationsflut setzten Kulturpessimisten damals schnell mit einer
Informationsüberflutung gleich: sie befürchteten, dass eine Person auf zu
viel Wissen zurückgreifen kann, und deswegen entscheidungsunfähig wird.
So versucht beispielsweise die Marketingbranche diesen Effekt für sich zu
nutzen, indem sie den Kunden derart mit Details und Fakten zuschüttet, bis
er sich [1][nur noch Preis und Markenname merken kann].
## Abwehrmechanismen gegen zu viel Information
Recht schnell wurde von verschiedenen Seiten versucht, diese Masse an
Informationen aus dem Netz zu filtern: seien es Spamfilter, seien es
Googles Algorithmen, seien es Wikipedias Relevanzkriterien, oder seien es
auch verbraucherfreundliche Initiativen, die für den Kunden die Arbeit
übernehmen, die Zahlenlawine aufzudröseln. Das sind die Abwehrmechanismen
gegen jene Flut an Informationen, die zwar älter ist als das Internet, aber
sich erst jetzt voll zu entfalten beginnt.
Die Menscheit lagert ihr Gedächtnis aus, könnte man zugespitzt sagen. Und
das tut sie nicht erst seit der Erfindung des Internets. Sondern mindestens
schon seit der Bibliothek von Alexandria hat sich dieses Konzept
durchgesetzt – es ist der erste Fall von "information overload": Und sie
ist der erste bekannte Ort, an dem es mehr verfügbaren Input gab, als eine
Person in einem Leben verarbeiten kann. Schon damals – und im Venedig des
15. Jahrhunderts, als dort die Buchproduktion explodierte - entwickelten
die Gelehrten Filter- und Ordnungssysteme wie Kataloge und Lexika. Ein zu
viel an Information ist für den Menschen der Normalzustand, nicht erst seit
der Erfindung des Internets, sondern bereits seit der Renaissance.
Der erste dieser Filter ist, das hat Betsy Sparrow jedenfalls nachgewiesen,
das Gehirn. Dadurch, dass die Information ohnehin vorhanden ist, spart es
sich den Aufwand, sie zu speichern. Vergessen ist nützlicher. Man muss
nicht ad hoc darauf antworten können, ob Benjamin Franklin jemals
Klavierunterricht erteilt hat oder ob alle Länder mindestens zwei Farben in
ihrer Flagge haben – zwei Beispielfragen aus der Studie. Das alles
beantworten Suchmaschinen.
Die Studie zeigt im Umkehrschluss auch, dass sich jene Versuchspersonen
mehr Informationen merkten, die in dem Glauben waren, dass die erfragten
Fakten nicht gespeichert und damit nicht zugänglich waren. Die Studie macht
keine Aussage darüber, ob das Gehirn wegen des Netzes oder wegen Google die
Erinnerung als solche beeinträchtigen wird: sie sagt, dass das Gehirn im
Zweifel faul ist.
Samuel Johnson sagte es bereits im 18. Jahrhundert: Das beste ist es, etwas
zu wissen, das nächstbeste, zu wissen, wo man es findet. Je mehr Fakten es
gibt, desto mehr wird das in der Studie abgefragte Faktenwissen an
Bedeutung verlieren: wichtiger wird dagegen die Informationskompetenz, also
dass man weiß, wie man an benötigte Informationen herankommt und wie man
mit ihnen umgeht. In diesem Sinne müssen Johnsons Prioritäten heute
modifiziert werden: Das beste ist es, zu wissen, was man wissen muss.
20 Jul 2011
## LINKS
[1] http://archiv.jura.uni-saarland.de/projekte/Bibliothek/text.php?id=229
## AUTOREN
Frédéric Valin
## ARTIKEL ZUM THEMA
Ursachen von Übergewicht: Das egoistische Gehirn
Chronischer Stress könnte nicht nur für Depressionen verantwortlich sein,
sondern auch für Übergewicht, Diabetes und Herzkrankheiten, besagt eine
neue Theorie.
Freies Wissen im Netz: Geld entzweit Wikipedianer
Der Verein Wikimedia Deutschland will in Projekte investieren, die freies
Wissen fördern. Doch die Verteilung von Mitteln bringt Streit mit sich:
Zwei Vorstände sind zurückgetreten.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.