# taz.de -- Thilo Sarrazin als Opfer im ZDF: Der Aufstand des Pöbels | |
> Angeblich will das ZDF einen Dialog zwischen Thilo Sarrazin und Berliner | |
> Migranten zeigen (Freitag, 23.15 Uhr). Doch der Autor inszeniert sich als | |
> öffentliches Opfer. | |
Bild: Der ehemalige Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin steht zusammen mit ei… | |
Vor dem türkischen Restaurant "Hasir" in Berlin Kreuzberg schreit ein | |
junger Mann Thilo Sarrazin an: "Dieser Mann hat Menschen beleidigt. Sie | |
laufen jetzt hier, das ist unglaublich." Der Bestsellerautor, der die | |
angeblich fehlende Integrationsbereitschaft von Muslimen kritisiert, fragt | |
nach seiner Herkunft. Antwort: "Ich bin nicht deutscher Staatsbürger." | |
Daraufhin entgegnet ihm Sarrazin: "Dann benimm dich mal vernünftig, du bist | |
in einem anderen Land." Und: "Ich gehe dahin, wo ich will, und das | |
bestimmen nicht Sie." | |
Selbstverständlich, Sarrazin hat recht, er kann überall hingehen. Aber | |
natürlich muss er davon ausgehen, nicht überall einen roten Teppich | |
ausgerollt zu bekommen, schließlich hat auch er vielen Migranten in | |
Deutschland sehr deutlich gesagt, dass er sie hier nicht haben will. | |
Ortswechsel: Sarrazin und die Journalistin Güner Balci schlendern über den | |
"Türkenmarkt" in Neukölln. Ein südländischer Migrant versucht mit Sarrazin | |
lautstark zu diskutieren. Ein anderer Mann bleibt stehen und sagt: "Herr | |
Sarrazin hat recht, ich bin ja selber Pole." Berlins einstiger | |
Finanzsenator freut sich: "Polen sind anders als Araber und Türken. Polen | |
sind nicht so aggressiv, Polen beziehen weniger Hartz IV." | |
Zu sehen ist das ganze Spektakel nicht etwa bei einem Privatsender, sondern | |
heute Abend beim ZDF-Kulturmagazin Aspekte (23:15 Uhr). Und nicht Sarrazins | |
Gerede ist das Traurige - schon zu oft hat man seine Referate über | |
genetisch benachteiligte Ausländer gehört. Was verwundert, ist das | |
journalistische Selbstverständnis, welches hier zutage tritt. Denn die | |
inszenierte Realität von den Aspekte-Kollegen ist für dieses Format doch | |
ziemlich unterkomplex. Und was soll dem Zuschauer damit eigentlich gesagt | |
werden? "Die Seriosität des Kulturmagazins Aspekte hat Schaden genommen und | |
den Integrationsbemühungen wurde ein Bärendienst erwiesen", kritisiert Olaf | |
Zimmerman vom Deutschen Kulturrat zurecht. Der frühere Bundesbanker braucht | |
ein Kamerateam, um sich nach Kreuzkölln vorzuwagen und mit Migranten zu | |
reden. Eine öffentlich-rechtliche Anstalt bietet ihre Sendezeit an. Aber wo | |
waren die Aspekte-Redakteure, als es um das kritische Hinterfragen von | |
Sarrazins Statistiken ging? Wo werden sie sein, wenn wieder jemand | |
versucht, eine Moschee anzuzünden? Und was hat diese Inszenierung mit | |
seriösem Journalismus zu tun? Der Mann, der ein Eklat an den nächsten | |
reiht, bringt halt mächtig Quote. | |
## Reißerisch und schmuddelig | |
Und die darauf angesetzte Journalistin ist seit Jahren mit tendenziöser | |
Berichterstattung erfolgreich. Im Spiegel überraschte Güner Balci im Januar | |
2011 etwa durch einen recherchefreien Text über die angeblich so strenge | |
Sexualmoral der Muslime, für den sie offenbar selbst keine Grundlage sieht | |
("Familien- oder Bildungsminister, Ausländerbehörden, Selbsthilfegruppen - | |
fast nirgendwo gibt es verbindliche Zahlen, gesicherte Erkenntnisse"). Ihr | |
Schlussfolgerungen sind dafür um so härter: Die jungen Musliminnen haben | |
Sex im "Hausflur, Parkbank oder die City-Toilette am Boddin-Platz in | |
Neukölln, wo es für 50 Cent 20 Minuten Zweisamkeit gibt." | |
Reißerisch und schmuddelig aufgemachte Themen, mit denen nun auch die | |
konservative Presse ihr Sommerloch füllen kann. Die von Sarrazin schon als | |
Berliner Finanzsenator gepflegte Abscheu gegen die so genannte Unterschicht | |
wird dabei gleich mit in den eigenen Duktus übernommen: "Der Dreh muss | |
schließlich abgebrochen werden, weil der Pöbel es so will" schrieb die FAZ. | |
Henryk M. Broder muss natürlich auch etwas dazu sagen. Der Welt-Autor gab | |
den Journalistenpreis des Deutschen Kulturrates zurück. "Ihre Haltung ist | |
antiaufklärerisch, paternalistisch und reaktionär, sie fördert die | |
Einrichtung von No-go-Areas, die es in einer offenen Gesellschaft nicht | |
geben darf", begründet Broder seine Entscheidung. | |
Angeblich sollte der Beitrag einen Dialog zwischen Sarrazin und Migranten | |
zeigen. Heraus gekommen ist das erwartbare, für alle Seiten peinliche | |
Krawall-Stück. Dabei hatte "Aufbruch Neukölln", ein Selbsthilfeverein für | |
türkische Männer in Neukölln Sarrazin bereits im letzten Jahr zu einem | |
Gespräch gebeten. Sarrazin kam der Einladung nicht nach - vielleicht lag es | |
daran, dass Journalisten nicht erwünscht waren. Es sollte eine Diskussion | |
zwischen muslimischen Männern und dem Autor werden - hautnah und echt, aber | |
nicht besonders medienwirksam. Thilo Sarrazin ist eben gern ein | |
öffentliches Opfer. | |
22 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Cigdem Akyol | |
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