# taz.de -- Interview: Pflegerin fordert Rehabilitation: "Ich erwarte eine klar… | |
> Altenpflegerin Brigitte Heinisch hat Missstände in einem | |
> Vivantes-Altenheim aufgedeckt und wurde gekündigt. Nach vielen Prozessen | |
> hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte für sie entschieden. | |
> Jetzt fordert sie ihre volle Rehabilitation. | |
Bild: Von der Hand in den Mund: Alltag in der Altenpflege | |
taz: Frau Heinisch, Ihr Arbeitgeber hatte Ihnen gekündigt, weil Sie | |
Strafanzeige wegen Betrugs an den Heimbewohnern gestellt haben. Nach vier | |
Jahren Klage durch alle Instanzen hat der Europäische Gerichtshof | |
entschieden, dass die Kündigung gegen die Menschenrechte verstieß. Jetzt | |
werden Sie für Ihren Mut bewundert. | |
Brigitte Heinisch: Es gibt doch viele wie mich. Wir werden mit Preisen | |
ausgezeichnet, aber unser Arbeitsleben ist verwirkt, weil die deutschen | |
Gerichte gegen uns entscheiden. Ich bin arbeitslos und schwer erkrankt, | |
weil ich meinen Job gemacht habe. Weil ich meiner Pflicht gegenüber den mir | |
anvertrauten Bewohnern nachgekommen bin. | |
Gab es damals ein Schlüsselerlebnis für die Strafanzeige? | |
Wir hatten schon vorher unsere Chefs informiert, dass wir überlastet sind | |
bei rund zwei Mitarbeitern auf 45 Bewohner. Dass die älteren Menschen nicht | |
die Schmerzmittel bekommen, die ihnen zustehen, oder zu lange auf ihr | |
Trinken warten mussten, weil einfach keine Zeit war. Als wir daraufhin die | |
Anweisung erhielten, den Mund zu halten, hat es mir gereicht. | |
Hatten Sie keine Angst, sich und Ihre Kollegen damit selbst zu belasten? | |
Ich habe meine Kollegen nicht belastet, sondern das System. Wir | |
Altenpfleger sollen diese menschenverachtende Gesundheitspolitik jeden Tag | |
am Bett der Bewohner umsetzen. Wir sollen nicht nur, wir müssen es, weil | |
wir in abhängigen Beschäftigungsverhältnissen stecken. Es ist einfach ein | |
Fehler, die Daseinsfürsorge unter Profitinteressen zu stellen. | |
Der Heimbetreiber Vivantes gehört aber dem Land Berlin. Hatten Sie | |
erwartet, dass in diesem Fall anders mit Ihren Beschwerden umgegangen wird? | |
Auf jeden Fall. Ich habe an Wowereit geschrieben, an die Justizsenatorin, | |
an die SPD, die doch eigentlich für den Schutz von Whistleblowern, die | |
Missstände aufdecken, eintreten wollte. Es kam keine Reaktion. | |
Was erwarten Sie jetzt? | |
Eine klare Entschuldigung von Wowereit und vom Senat. Die Kündigung soll | |
umgehend zurückgenommen werden, ohne dass ich noch einmal vor Gericht | |
ziehen muss. | |
Sie würden wieder in dem gleichen Pflegeheim arbeiten? | |
Das wäre zumindest ein sehr positives Signal für meine Kollegen. Aber die | |
Frage ist, ob ich es könnte. Durch das ganze Hin und Her bin ich 2007 | |
schwer erkrankt und habe mich bis heute nicht endgültig davon erholt. | |
Würden Sie trotzdem alles noch einmal genauso machen? | |
Dieser ganze Kampf hat ja zwei Seiten: Die eine ist die Kraft, die ich | |
dabei gelassen habe. Auf der anderen Seite habe ich in dieser Zeit so viel | |
Solidarität erfahren, so viel gelernt und meinen Horizont erweitert. | |
Raten Sie anderen, es Ihnen gleichzutun? | |
Es gibt schon jetzt viele, die sich zur Wehr setzen, wenn auch mit anderen | |
Mitteln und ohne im Licht der Öffentlichkeit zu stehen. Wenn dieses Urteil | |
noch mehr Menschen ermuntert, sich nicht länger von der Macht der | |
Arbeitgeber einschüchtern zu lassen und über Missstände in Unternehmen zu | |
sprechen, dann ist das ein großer Schritt. | |
21 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Manuela Heim | |
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