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# taz.de -- Loveparade-Unglück in Duisburg: Die Frage nach der Verantwortung
> Er wird gelobt, weil er frischen Wind in die Stadt brachte. Er soll
> zurücktreten, weil Fehler gemacht wurden - Duisburgs OB Adolf Sauerland
> polarisiert.
Bild: Adolf Sauerland - seit einem Jahr unter Druck.
DUISBURG taz | Direkt vor der schmucklosen CDU-Zentrale in der Duisburger
Einkaufsmeile stehen der 65-jährige Jürgen Lehmann und seine Kollegen von
der Bürgerinitiative und sammeln Unterschriften. Blickte er nach oben, dann
sähe er den Gegner. Macht er aber nicht. Stattdessen ruft Lehmann mit
kräftiger Stimme: "Bitte nicht weiterlaufen!" Sein Bauch unter dem grauen
Blouson hebt sich dabei leicht. "Helfen Sie mit bei der Abwahl des
Bürgermeisters!" Immer wieder unterschreiben Passanten.
Worum es hier geht, braucht Jürgen Lehmann nicht zu erklären: Adolf
Sauerland, der Oberbürgermeister von der CDU, politisch verantwortlich für
21 Tote und mehr als 500 Verletzte bei der Loveparade vor einem Jahr, muss
weg. "30.000 Stimmen haben wir schon", sagt Lehmann hinter seiner
Goldrandbrille. "Die andere Hälfte schaffen wir bis Ende Oktober locker."
Dann könnten sie die Duisburger abstimmen lassen über die Abwahl ihres
Oberbürgermeisters.
Blickte Petra Vogt aus dem Fenster, dann sähe sie die
Unterschriftensammler. Die CDU-Fraktionschefin im Duisburger Stadtrat sitzt
im kargen Besprechungsraum ihrer Parteizentrale und erklärt ihre Sicht der
Dinge. Vogt will die Abwahl ihres Amtsvorgängers verhindern. Die 42-Jährige
hat die Nase voll von Presseleuten und einer Bürgerinitiative, die zu
glauben scheinen, sie wüssten besser als die ermittelnde
Staatsanwaltschaft, wer Schuld trägt an der Katastrophe vom 24. Juli 2010.
"Kein Pressevertreter hat vorher gesagt: Das geht nicht", sagt Vogt. "Nach
dem Motto: Keiner weiß, was genau passiert ist, aber jeder weiß, wer schuld
ist." Zugleich aber verweist die Lehrerin vorwurfsvoll auf andere: Trägt
der Landesinnenminister, zugleich SPD-Kreisvorsitzender in Duisburg,
vielleicht Mitverantwortung für den Polizeieinsatz? Und warum fehlten rund
500 vom Veranstalter zu stellende Ordner?
## 56 Jahre Opposition
Kein Blatt soll passen zwischen Adolf Sauerland und seine Partei. Das lange
Leben in der Opposition schweißt zusammen. Die CDU war hier 56 Jahre in der
Opposition. Dann kam der kumpelhafte Exberufsschullehrer und gewann 2004
die Bürgermeisterwahl. Im Büroflur hängt noch ein Wahlplakat mit einem
lächelnden Sauerland und dem Wahlspruch: "Einer von uns". Nur zwei Jahre
ist das her, und doch tiefe Vergangenheit.
"Für uns ist die Frage: Was stellen unabhängige Gerichte fest?", sagt die
42-Jährige und streicht sich durchs blonde glatte Haar. "Sollte sich
zeigen, dass die Stadtverwaltung ursächlich verantwortlich war, müsste der
Oberbürgermeister Konsequenzen ziehen."
Darin besteht der Graben zwischen den Leuten oben und unten auf der
Königstraße, den Anhängern und Gegnern Adolf Sauerlands. Beide Seiten haben
sehr unterschiedliche Antworten auf die Frage: Worin besteht politische
Verantwortung?
Dies sind die unstrittigen Fakten: Der Stadtrat stimmte einstimmig dafür,
die Loveparade 2010 in Duisburg stattfinden zu lassen. Damit gaben alle
Parteien und Wählergemeinschaften einen politischen Auftrag an den
Oberbürgermeister. Der OB ist auch Chef der Stadtverwaltung. Diese hat die
Loveparade amtlich genehmigt. Sauerland gibt an, er habe von
Sicherheitsbedenken in seiner Verwaltung nichts gewusst. Die Stadt Duisburg
hat für mehrere hunderttausend Euro ein juristisches Gutachten in Auftrag
gegeben, das belegen soll, dass die Verwaltung alles richtig gemacht hat.
Hingegen soll ein vertraulicher Zwischenbericht der Duisburger
Staatsanwaltschaft besagen, die Erteilung der Genehmigung für die
Loveparade sei wohl rechtswidrig gewesen.
Die fünf zuständigen Staatsanwälte ermitteln derzeit nicht gegen den OB,
sondern gegen elf Stadtbedienstete, vier Mitarbeiter des
Loveparade-Veranstalters Lopavent und einen Polizisten. Bis zu einem
Gerichtsurteil können Jahre vergehen.
Wer also ist in diesem Dickicht der Kompetenzen verantwortlich?
CDU-Ratsfrau Vogt spricht von der "ursächlichen" Verantwortung. Sauerland
ging in einem Zeitungsinterview vom vergangenen Sonntag noch einen Schritt
weiter und sagte: "Die Verwaltung der Stadt hat keinen Fehler gemacht, der
ursächlich zu dieser schrecklichen Katastrophe geführt hat."
Beide wählen ihre Worte genau: Wenn die fatale Massenpanik vermutlich durch
die Ballung vieler Fehlentscheidungen entstand, wo ist da die genau
benennbare Ursache? Und worin liegt dann Sauerlands viel beschworene
politische Verantwortung?
Auch dieses Schwarze-Peter-Spiel treibt die Leute von der Bürgerinitiative
"Neuanfang für Duisburg" auf die Straße. Sie verstehen politische
Verantwortung als die Pflicht eines demokratisch gewählten
Entscheidungsträgers, im Zweifel den Kopf hinzuhalten für
Fehlentscheidungen, die in seinem Zuständigkeitsbereich gefällt worden sind
- juristisch nachweisbares Fehlverhalten hin oder her. Eine gütliche
Einigung zwischen Sauerland-Verteidigern und -Verächtern kann es da nicht
geben.
## Nur Gutes über Sauerland
"Hier wurde eine regelrechte Lynchkampagne veranstaltet", sagt Muhammed Al.
Hinter seinem schwarzen Schreibtisch, mit grauem Anzug, Schnauzbart und dem
ergrauenden, sich lichtenden Haupthaar sieht Al älter aus als 43 Jahre.
Seit anderthalb Jahren ist der Steuerberater Vorstandsvorsitzender der
großen Moscheegemeinde in Duisburg-Marxloh. Er hat nur Gutes über Sauerland
zu berichten. "Immer, wenn ein besonderer Anlass war, ist er gekommen, zu
allen Migrantenvereinen", sagt Al in seinem Büro im Norden der Stadt.
Aber war Sauerlands Verhalten am Tag nach der Katastrophe nicht trotzdem
fatal? Damals fragte ein Journalist den bleichen OB, ob er sich als
Stadtoberhaupt persönlich verantwortlich sehe, und Sauerland antwortete
verdutzt: "Persönlich?" Ja, persönlich. "Nein." Nicht? "Nein."
Muhammed Al faltet seine kleinen Hände, sein Ehering ist zu sehen, und er
sagt, es müsse damals schwer gewesen sein für Sauerland, die richtigen
Worte zu finden: "Wir haben ein Sprichwort: ,Für Menschen, die nicht
verheiratet sind, ist es einfach, von Scheidung zu sprechen.' Wie sagt man
dazu: Empathie?"
Al und die islamischen Gemeinden haben nicht vergessen, wie sehr sich
Sauerland für sie eingesetzt hat, vor allem bei Planung und Bau der großen
Moschee in Marxloh. Hier, wo Arbeitslosen- und Migrantenquote besonders
hoch sind. Hier, wo sich das Nagelstudio California Nails noch hält, aber
die Trinkhalle Ata nebenan dichtgemacht hat. Weil beim Bau hässliche
Kulturkämpfe wie im nahen Köln ausblieben, sprachen Medien bei der
Moscheeeröffnung 2008 vom "Wunder von Marxloh". Auch deshalb standen, als
der Stadtrat im September 2010 erfolglos über Sauerlands Abwahl abstimmte,
Migranten mit Pro-Sauerland-Schildern vorm Rathaus.
Damals blieb Heinz-Dieter Kantel zu Hause. Offiziell krankgemeldet hatte
sich der Chef der Grünen im Stadtrat, als eines von drei Mitgliedern der
sechsköpfigen Fraktion. In der Causa Sauerland geht der Riss nicht nur
durch die Stadt, sondern auch durch die Fraktion und den Kreisverband der
Grünen. Kantel wollte nicht für Sauerlands Abwahl stimmen müssen, wie es
die anwesende Hälfte seiner Fraktion tat. Warum?
"Wir müssen erst mal gucken, was damals wirklich passiert ist", sagt Kantel
und zieht an seiner Zigarette. Die Packung Gitanes steckt er in die
Brusttasche seines karierten Hemds. Wenigstens hier, in der
"Raucher-Lounge" eines Einkaufszentrums in Duisburgs Innenstadt, darf der
großgewachsene Mann qualmen. An derselben Straße liegen die CDU-Zentrale
und der Stand der Bürgerinitiative. Duisburg ist trotz seiner fast 500.000
Einwohnern eine überschaubare Stadt. "Ich kann die Position von Herrn
Sauerland verstehen." Erst müssten Beweise her, dann die Konsequenzen.
## Keine nostalgischen Gefühle
Kantel klingt fast wie seine Ratskollegin von der Union. Das hat Gründe.
Fünf Jahre lang regierten seine Grünen im Bund mit Sauerland die arme
Stadt. "Ich habe gute Erinnerungen an die fünf Jahre mit der CDU, aber
keine nostalgischen Gefühle." Seine Sympathie für den OB mag auch zu tun
haben mit seiner Antipathie für die SPD.
"Für mich sind die konservativste Kraft in Duisburg die Sozialdemokraten",
sagt Kantel. Eine größenwahnsinnige Dauerregierungspartei, "die
Stadtentwicklungspolitik der 60er Jahre" betrieben habe. "In Sauerlands
größtem Verdienst sitzen wir, dem ,Forum'." Das Einkaufszentrum in der
Einkaufsmeile habe er durchgesetzt und so die Innenstadt wiederbelebt; ein
ähnliches Bauprojekt auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs. Dort,
neben dem Hauptbahnhof, fand die Loveparade statt. "Wir können es uns ja
mal angucken", sagt Kantel.
Der Weg dorthin führt vorbei am Hochhaus, in dem die Einsatzleitstelle die
Übersicht verloren haben soll. Über den Karl-Lehr-Tunnel, in dem Polizisten
zur falschen Zeit Sperren aufgehoben haben sollen. In die Nähe der Rampe,
an der "Pusher" gefehlt haben sollen, um die heranströmenden Menschen zum
Weitergehen aufzufordern. Der Weg zum Ort der Loveparade ist gespickt mit
gegenseitigen Vorwürfen.
Wind kommt auf, es fängt an zu regnen, und schließlich endet der
Schotterweg in einem Dickicht aus Kräutern und Sträuchern. Heinz-Dieter
Kantel guckt ratlos und sagt: "Hier kommen wir wohl nicht weiter."
22 Jul 2011
## AUTOREN
Matthias Lohre
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