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# taz.de -- Über 90 Tote in Norwegen: Verdächtiger für Doppelattentat gefasst
> Insgesamt über 90 Tote bei den zwei Anschlägen in und bei Oslo. Norweger
> richtet Blutbad an. Hinweise auf rechtsextremen Hintergrund.
Bild: Das Facebook-Profil des festgenommenen Norwegers
STOCKHOLM taz | Das Doppelattentat in und bei Oslo hat wesentlich mehr
Menschenleben gekostet, als noch am Freitagabend befürchtet. Neben sieben
Toten, die bei dem verheerrenden Bombenanschlag im Regierungsviertel der
norwegischen Hauptstadt umkamen, fand die Polizei auf der Insel Utøya, auf
der das traditionelle Sommerlager der norwegischen Jungsozialisten
stattfand, bis Samstagmorgen 84 Tote. Alle wurden offensichtlich von dem
32-jährigen Norweger erschossen, der am Freitagabend dort kurz nach dieser
Bluttat festgenommen worden war. Hinweise, dass es mehr als diesen einen
Täter geben könnte, hatte die Polizei nach eigenen Aussagen zunächst nicht.
Am Samstagmittag wollte man aber aufgrund von Zeugenaussagen über die
Vorgänge auf Utøya nicht ausschliessen, dass es einen zweiten Schützen
geben könnte.
Der verhaftete Anders Bering Breivik ist nach den bisherigen Erkenntnissen
der norwegischen Polizei auch für den Bombenanschlag am Freitagnachmittag
im Zentrum von Oslo verantwortlich. Er soll an diesem Anschlagsort
verkleidet in derselben „Polizeiuniform“, in der er zwei Stunden später auf
Utøya auftauchte, von Zeugen gesehen und von Überwachungskameras
registriert worden sein.
Nach einem ersten Verhör mit ihm sprach die Polizei ohne weitere
Einzelheiten zu nennen von einem „klaren Zusammenhang“. Dass die Polizei zu
einem so frühen Zeitpunkt nach einer Verhaftung mit Namen und Details an
die Öffentlichkeit geht, spricht dafür, dass sie sich ihrer Sache sehr
sicher ist.
Nach norwegischen Medienrecherchen waren auf Breivik legal zwei Waffen
registriert, eine Pistole und ein automatisches Gewehr. Er war Mitglied
eines Schützenvereins. Er habe Wehrdienst geleistet, sei aber nicht
Berufssoldat gewesen. Mit Polizei und Justiz soll er bislang – bis auf ein
Verkehrsvergehen vor 10 Jahren – nichts zu tun gehabt haben. Im Juni habe
der Junggeselle eine eigene Wohnung bezogen, vorher habe er mit in der
Wohnung seiner Mutter gelebt.
Laut norwegischem Handelsregister gründete Breivik in den letzten beiden
Jahren in rascher Abfolge verschiedene Firmen, die aber nur kurzfristig
bestanden. Darunter eine Gartenbaufirma, für die er im April und Mai 6
Tonnen Künstdünger eingekauft hatte - eine mögliche Bombenbausubstanz.
In Medien wurde über Verbindungen Breiviks ins rechtsextreme Milieu
spekuliert, die Polizei verneinte jedenfalls eine Kenntnis
organisatorischer Verbindungen zu einschlägigen Gruppen. Die
rechtspopulistische „Fortschrittspartei“ teilte am Samstag mit, Breivik sei
von 1997 bis 2007 Mitglied ihrer Parteijugendorganisation und zeitweise
auch Parteimitglied gewesen.
Ein Polizeisprecher meinte am Samstag, aufgrund seiner
Internet-Debattenbeiträge könne man wohl eher von einem „christlichen
Fundamentalisten“ sprechen. Ob hier eine Motivation für die ihm zur Last
gelegten Taten zu finden sei, könne man aber noch nicht sagen. Man gehe von
„komplizierten Ermittlungen“ aus.
In seinen Debattenbeiträgen in mehreren nationalistischen und
islamkritischen Internetforen, bezeichnete sich Breivik selbst als
„nationalistisch“. In einem dieser Foren
([1][http://www.minervanett.no/2010/01/27/det-imperfektes-politikk/] )
schrieb er im vergangenen Jahr, der „Hauptkampf“ sei heute nicht mehr der
zwischen Sozialismus und Kapitalismus, sondern „zwischen Nationalismus
(Kulturkonservatismus) und Internationalismus (Kulturmarxismus,
Multikulturalismus)“. Der „Multikulturalismus, für den die Islamisierung
nur ein Symptom ist“, werde „Europas Kultur, Traditionen, Christentum,
Identität und auch die Nationalstaaten zerstören“. Parteien, die solchen
„Multikulturalismus“ unterstützten seien auch für diese verhängnisvolle
Entwicklung verantwortlich.
Eines der Debattenforen, in denen er aktiv war, hat mittlerweile eine
komplette Zusammenstellung aller Kommentare Breiviks veröffentlicht
([2][http://www.document.no/anders-behring-breivik/] ) . Hier identifiziert
er sich mit der Politik der „British National Party“ und schreibt über die
Notwendigkeit einen norwegischen Ableger der „English Defence League“ zu
gründen. Er konstatiert, es gebe in Norwegen lediglich rund 30 „islamische
No-Go-Zonen“, in denen nicht-verschleierte Frauen keine Gefahr laufen
würden, vergewaltigt zu werden. Er hofft, dass diese „Zonen“ zahlreicher
würden, denn ausserhalb dieser müssten Norweger mit Begrenzungen ihrer
Freiheit, mit Gewalt und Schikanen rechnen. Weiter bezieht er sich auf die
Ansichten des islamkritischen norwegischen Bloggers „Fjordman“, der
einerseits ein „ethnisch reines“ Europa propagiert, sich andererseits aber
von Neonazis distanziert.
Nachdem ein früherer Facebook-Account Breiviks - mit laut norwegischen
Medieninformationen angeblich offen rechtsextremem Inhalt - entweder vom
Betreiber oder ihm selbst kürzlich geschlossen wurde, öffnete er am
vergangenen Sonntag sowohl einen neuen Facebok-
([3][http://www.facebook.com/profile.php?id=100002651290254] , mittlerweile
wieder vom Netz) , wie einen Twitteraccount
([4][http://twitter.com/#!/AndersBBreivik]) . Im letzteren gibt es nur
einen Tweet, ein Zitat des britischen Philosphen John Stuart Mill: „One
person with a belief is equal to the force of 100 000 who have only
interests“.
Sein neuer Facebook-Account – ohne „Friends“ und alle Beiträge am 17. und
18. Juli online gestellt -, scheint sorgfältig daraufhin konzipiert worden
zu sein, nach seiner Gewalttat entdeckt zu werden, um dann in den Medien
das Bild seiner Person zu prägen. Darin bezeichnet sich Breivik als
christlich und konservativ. Er veröffentlicht offenbar in einem Studio
gemachte Portraitfotos, darunter eines, das ihn in der Uniform einer
Freimaurerloge – er ist Mitglied der Johannes-Loge St. Olaus T D Tre Söiler
- zeigt.
Als Hobbys gibt Breivik Computerspiele, u.a. „World of Warcraft“ an.
Besondere Mühe hatte er sich bei der Zusammenstellung einer Auswahl von
Musikvideos gemacht. Aus den in der von ihm gewählten Reihenfolge der
Song-Titel glaubten User verschiedener Internetforen eine mögliche
Botschaft herauslesen zu können: „Fireworks. Out of the sky. Let it all
out. Faithless: Insomnia. Big sky. After all. Sound of goodbye. Ere the
world crumbles. Holding on to nothing. Freefalling.“
23 Jul 2011
## LINKS
[1] http://www.minervanett.no/2010/01/27/det-imperfektes-politikk/
[2] http://www.document.no/anders-behring-breivik/
[3] http://www.facebook.com/profile.php?id=100002651290254
[4] http://twitter.com/#!/AndersBBreivik
## AUTOREN
Reinhard Wolff
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