# taz.de -- St. Pauli gegen Frankfurt: Disziplinierte Teamplayer | |
> Am Montag spielte der FC St. Pauli gegen Eintracht Frankfurt. Es durften | |
> nur 17.000 Karten verkauft werden. Über alte und neue Fans, | |
> Linkssentimentale und Aufbauhelfer. | |
Bild: Wegen Ausschreitungen gab es nun ein "Geisterspiel". | |
Endlich wieder Bundesliga. Die ersten Spiele, Zeit der Orientierung, wenn | |
man nicht zu denen gehört, die sich aus mehr oder weniger guten Gründen | |
lebenslänglich an einen Verein binden. Es gibt mehr schlechte als gute | |
Gründe, einem Bundesliga-Club als Fan treu zu sein. Zu den schlechteren | |
gehört eine antrainierte linkssentimentale, folklorisierende | |
Heimatverbundenheit. | |
Der postmoderne Fan dekoriert seine Attitude mit globalisierungs- und | |
modernisierungskritischen Phrasen und wohlfeiler Grundironie. Alles nicht | |
so ernst gemeint. Dem unironisch biertrinkenden Dumpfbacken-Fan fühlt er | |
sich überlegen, er will ja nur spielen. Und interessiert sich fürs Spiel | |
eher weniger. | |
Dabei ist es doch so spannend. Man verfolgt die Wechselbörsen, studiert die | |
neuen Mannschaftsaufstellungen, kauft sich das Kicker-Sonderheft. In puncto | |
Nachrichtenwert fällt beim Traditionsblatt allerdings das Erscheinungsdatum | |
mit dem Verfallsdatum zusammen, seitdem die Wechselfrist über den | |
Saisonstart ausgedehnt wurde. Die Folge: bunte Mannschaftsfotos mit | |
Spielern, die längst weg sind: "Yesterdays News is Tomorrows Fish 'n Chip | |
Paper" (Elvis Costello). | |
## Im Denkgefängnis | |
Man will herausfinden, wo vielleicht Interessantes passiert (Augsburg? | |
Düsseldorf?), wo Absturz droht (Bremen? Leverkusen?), wo alles beim Alten | |
bleibt (Bochum. Bochum.). Dafür gehe ich auch an einem Montagabend in ein | |
Stadion, das heißt wie meine Bank. Absteigerduell in der Commerzbank-Arena. | |
Eintracht Frankfurt gegen FC St.Pauli. Im März hatte ich meine Kollegen Jan | |
Möller und Wolf Schmidt zum Erstliga-Match der beiden Clubs begleitet. Die | |
beiden kommentieren Pauli-Spiele für das Blindenradio AFM. | |
Die Eintracht gewann glücklich 2:1, es war das schlechteste | |
Bundesliga-Spiel, das ich je gesehen habe. Danach wurde Trainer Skibbe | |
entlassen, aus dem Vorruhestand wurde Christoph Daum geholt. Der Sieg gegen | |
St. Pauli sollte der Letzte bleiben, am Ende stiegen beide ab. Geblieben | |
ist ein schönes Wort: Denkgefängnis. Aus dem wollte Daum den verunsicherten | |
Torjäger Gekas befreien, auf den das Spiel der Eintracht alternativlos | |
(Angela Merkel) zugeschnitten war. Beim neuen Trainer Armin Veh sitzt Gekas | |
auf der Bank. | |
Absteigerduell also. Historisches Spiel an historischer Stätte. Es ist das | |
erste Spiel in der Commerzbank-Arena nach dem ersten Spiel, bei dem ein | |
japanisches Fußball-Team den WM-Titel geholt hat. Nach dem ersten | |
WM-Endspiel, bei dem zwei Fußballschuhe der Größe 34 eine entscheidende | |
Rolle gespielt haben. Die Füße von Aya Miyama steckten in 34er-Schuhen, mit | |
dem linken erzielte sie den 1:1-Ausgleich, mit dem rechten traf sie beim | |
Elfmeterschießen. Außerdem schoss sie alle Ecken für Japan, von links mit | |
rechts, von rechts mit links, Schnitt zum Tor. Beidfüßig 34. Size matters. | |
Dass es bei Ecken auf die Schuhgröße ankommt, das weiß man in Frankfurt | |
seit Bernd Nickel. Der Mittelfeldspieler der Eintracht trug Schuhgröße 40, | |
die kleinsten Füße der Liga. Damit schoß er 141 Bundesligatore und stellte | |
einen Rekord für die Ewigkeit auf. In seinem Waldstadion verwandelte Nickel | |
von jeder Ecke direkt einen Eckball, alle mit links, von rechts per | |
Innenspann, von links per Außenspann, so am 22. November 1975, gegen Sepp | |
Maier im Tor der Münchner Bayern. Es war der Treffer zum 6:0-Endstand. | |
Sind die Ecken in der Commerzbank-Arena eigentlich an denselben Ecken wie | |
im alten Waldstadion? Oder liegt das Feld jetzt anders, quer statt längs? | |
Mit der neuen Architektur geht das Raumgefühl flöten, das neue Stadion | |
überschreibt die Erinnerung. Nickels Ecken-Rekord kann schon deshalb nie | |
gebrochen werden, weil man dafür ewig beim selben Verein bleiben muss. | |
426-mal spielt Nickel für die Eintracht, sie nennen ihn "Dr. Hammer". | |
Solche Namen gibts heute kaum noch, die muss man sich verdienen, das | |
dauert. | |
Auf YouTube kann man sehen, dass Nickels Eckball gegen Bayern im von der | |
Haupttribüne aus gesehen rechten Tor einschlug, also dicht am Block G des | |
alten Waldstadions. Da standen die harten Fans, unironisch, nicht | |
linkssentimental, hohe Böhse-Onkelz-Dichte auf den Kutten der Adlerfront. | |
Im neuen Stadion stehen (und sitzen) die lautesten Fans direkt hinter | |
diesem Tor, keine Laufbahn dazwischen. Beim Bundesligaspiel gegen Köln, das | |
den Abstieg der Eintracht besiegelte, durchbrachen ein paar Dutzend Fans | |
die Absperrzäune und stürmten den Rasen, Schlägereien, Tumulte, unschöne | |
Fernsehbilder. | |
## Brüllen wie sonst | |
Zur Strafe bleibt beim ersten Heimspiel der neuen Saison die ganze Wand | |
hinterm Tor leer, nur 17.000 Karten werden verkauft, davon 3.000 nach | |
Hamburg. "Die Eintracht bedankt sich bei 16.500 Zuschauern, damit fast | |
ausverkauft", verkündet der Stadionsprecher in signalroter | |
hr3-Trainingsjacke, leicht beleidigt. Die auf ein Drittel reduzierte | |
Kulisse möge doch bitte dreimal so laut brüllen wie sonst. Beim Verlesen | |
der Mannschaftsaufstellung funktioniert das noch so einigermaßen, das | |
gelehrige Publikum kennt auch die neuen Spieler und antwortet brav | |
"Hoffer", wenn der Einpeitscher "Mit der Nummer zehn: Jimmyyyyy" brüllt. | |
Der aus Kaiserslautern gekommene Stürmer heißt Erwin, Jimmy klingt halt | |
mehr nach Dr. Hammer. Schwierig wird das Call-&-Response-Ritual bei | |
"unserem Brasilianer mit der Nummer 30". Caio, teuerster Einkauf der | |
Vereinsgeschichte, ewiger Hoffnungsträger, ewiges Sorgenkind, Caio hat | |
keinen Vornamen. Also brüllt der Signalrote: "Caaaaaa", die Massen | |
antworten: "Joooooo." | |
Eine Stunde später führt St. Pauli verdient 1:0 durch Bartels, die | |
Eintracht knüpft an das desolate Pauli-Spiel aus dem Frühjahr an, Caio | |
spielt konfus und wird ausgewechselt. Der Signalrote macht Stimmung: "Wir | |
bedanken uns bei unserer Nummer 30: Caaaaaa" brüllt er. Und erntet ein | |
müdes "Ooh" von vielleicht 100 Leuten. Zusammen klingt das wie K.o. | |
Leidgeprüfte Fans üben sich in Galgenhumor: "Da geh ich doch lieber zur | |
Frauen-WM", trötet einer und lacht laut. Keiner lacht mit, er verschwindet | |
im Klo. Da ist es schön, keine Schlange, freie Pissoirs. Neu sind die | |
weißen Klohäuschen am Rande der Trainingsplätze. Die sollen verhindern, | |
dass die Männer nach dem Spiel das getrunkene Bier massenhaft in den Wald | |
des ehemaligen Waldstadions pissen. Der Erfolg der Baumaßnahme ist | |
überschaubar. Homosozial gegen Bäume pissen ist ja mehr als bloßes | |
Notdurftverrichten. | |
Was ist eigentlich mit St. Pauli? Der Abstieg bringt Umbrüche, für manche | |
Kulturbrüche. Ein Bulle als Kapitän beim Autonomenclub, und Stani weg. Der | |
ewige Spieler-Präsident-Trainer Holger Stanislawski heuert nebst | |
Fellow-Urgestein André Trulsen beim Retortenclub Hoffenheim an, in keinem | |
Kommentar fehlt an dieser Stelle das Wort "ausgerechnet". Er wird ersetzt | |
durch André Schubert, vormals Paderborn. | |
Neuer "Spielführer", so die altdeutsche Diktion der Eintracht-Pressestelle, | |
bei St. Pauli wird Fabian Boll. Ausgerechnet. Bolls Alleinstellungsmerkmal: | |
Der Profi geht halbtags einem Zweitberuf nach, er ist Kriminalkommissar. | |
Und Spielführer des kiezesten aller linken Kiezclubs. Konflikte gibt es | |
darüber keine. "Heute hören ja auch Polizisten Blumfeld", hat Ted Gaier von | |
den Goldenen Zitronen mal gesagt. Hat er Boll gemeint? Der könnte gut | |
Blumfeld hören und er könnte auch wissen, dass die Pauli-Fans auf ihrem | |
Transparent keinen Reeperbahn-Mafioso grüßen: "In Memoriam C. Guiliani. | |
Assassinato Il 26.7.01", steht da neben einem Bild des von Polizisten in | |
Genua erschossenen Demonstranten. Nur für ein paar Sekunden halten sie das | |
Transparent hoch, der geisterhafte Einbruch einer ganz anderen Realität ins | |
Geisterspiel. | |
Der schlaksige Polizist Boll steuert von der Sechserposition das Spiel | |
seiner Mannschaft effektiver als sein fahriges Pendant Pirmin Schwegler und | |
dessen Partner Matthias Lehmann. Ausgerechnet schon wieder. Ausgerechnet | |
Lehmann wird nach mattem Auftritt gegen seine ehemaligen Kollegen | |
ausgewechselt. Dabei hatten sie ihn als "Willensspieler" geholt. Lehmann | |
ist ein Feuerwehrmann neuerer Prägung. Er hat sich profiliert als | |
projektorientierter Aufbau- bzw. Aufstiegshelfer. Ambitionierte | |
Zweitligisten wie 1860 München, Alemannia Aachen, der FC St. Pauli und | |
jetzt die Eintracht holen disziplinierte Teamplayer wie Lehmann, um | |
aufzusteigen. Der Spitzname Matze signalisiert Fighter Spirit, die | |
Bereitschaft, für den Erfolg im Dreck zu wühlen, Matthias ist dafür zu | |
feingeistig. Ist das Projekt Aufstieg realisiert, ziehen Willensspieler wie | |
Lehmann weiter, lieber Leader in der Zweiten als Mitläufer in der Ersten | |
Liga. | |
Ohne Lehmann fällt kurz vor Schluss doch noch der Ausgleich, der | |
sphinxhafte Alex Meier trifft mit einer anspruchsvollen Volleyabnahme nach | |
missglückter Kopfballabwehr von Boll. Der Bulle, ausgerechnet. | |
26 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Klaus Walter | |
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