# taz.de -- BFC Dynamo im DFB-Pokal: Das Spiel mit der Geschichte | |
> BFC Dynamo trifft Samstag auf den 1. FC Kaiserslautern. 1979 nutzte | |
> BFC-Star Lutz Eigendorf ein Spiel dieses Clubs zur Flucht in den Westen. | |
Es spielt keine Rolle mehr. Nicht an diesem Samstag. Nicht 32 Jahre danach. | |
Es soll keine Rolle mehr spielen. Dabei ist es die verbindende Geschichte | |
der beiden Vereine, die am Samstag im DFB-Pokal aufeinandertreffen. Die | |
Flucht von Lutz Eigendorf von Ost nach West. Vom BFC Dynamo Berlin zum 1. | |
FC Kaiserslautern vor 32 Jahren. Und Eigendorfs Tod wenige Jahre später. | |
In Fanforen wird vor allem über Tickets, TV-Übertragungen und die Form des | |
Gegners diskutiert. Die beiden Clubs möchten sich auf das Spiel | |
konzentrieren. "Das spielt überhaupt keine Rolle", heißt es bei Sven | |
Radicke vom BFC Dynamo. "Das ist heute kein Thema", sagt auch Christian | |
Gruber, Pressesprecher des 1. FC Kaiserslautern. "Nur uns, die wir uns mit | |
dem Spiel und der Geschichte beschäftigen, ist das ungefähr noch bekannt." | |
Ein Freundschaftsspiel hatten die Pfälzer und der von der Stasi protegierte | |
DDR-Klub im März 1979 ausgetragen. BFC-Star Lutz Eigendorf nutzte | |
anschließend einen Stadtbummel in Gießen zur Flucht. Der | |
DDR-Nationalspieler fuhr mit Taxi, aber ohne Geld nach Kaiserslautern zur | |
Geschäftsstelle des FCK, wie man den Klub abkürzt. "Jetzt bin ich hier und | |
bleibe hier", sagte er, erinnert sich der damalige FCK-Geschäftsführer | |
Norbert Thines, der auch gleich die Taxirechnung zahlen durfte. | |
Nach einjähriger Sperre kickte Eigendorf zwei Saisons für den FC | |
Kaiserslautern, dann für Eintracht Braunschweig in der Bundesliga. 1983 kam | |
Eigendorf bei einem Verkehrsunfall um. Indizien, dass es ein von der | |
DDR-Staatssicherheit initiierter Unfall, vielleicht gar ein Mordanschlag | |
war, haben sich in den letzten Jahren gehäuft. Doch nicht nur in | |
Kaiserslautern ist das heute kein Thema. | |
Dabei verweist das Jahr 1979, in dem sich Eigendorf absetzte, eine große | |
sportliche Zeit beider Mannschaften: Der FCK gehörte zu den besten vier | |
Teams der Bundesliga, der Ostberliner Klub stand gerade vor dem Gewinn | |
seiner ersten DDR-Meisterschaft - zehn weitere folgten. Und im Europapokal | |
der Landesmeister, dem Vorläufer der heutigen Champions League, erreichte | |
der BFC in der Saison 1979/80 das Viertelfinale, wo er gegen Nottingham | |
Forest ausschied. 1982/83 flog der BFC gegen den westdeutschen Meister | |
Hamburger SV raus: Einem 1:1 im heimischen Jahn-Stadion, direkt an der | |
Mauer gelegen, folgte eine 0:2-Niederlage in Hamburg. Ganz große | |
Sportgeschichte schrieb der BFC 1988/89: In der ersten Runde des | |
Landesmeistercups gewann er zu Hause vor den Augen seines Oberfans Erich | |
Mielke gegen Werder Bremen mit 3:0. Doch das Rückspiel war ein 5:0-Sieg von | |
Bremen. | |
Vor Begegnungen mit Westklubs hatte der BFC nicht nur sportliche Angst. | |
Gleich am Tag des Mauerbaus, am 13. August 1961, nutzten Emil Poklitar und | |
Rolf Starost, zwei Spieler des SC Dynamo Berlin, dem Vorgängerklub des BFC, | |
ein Freundschaftsspiel im dänischen Kopenhagen zur Flucht. Poklitar | |
schaffte es zwar nicht in die Bundesliga, feierte aber beim FC Saarbrücken | |
in der damals zweitklassigen Regionalliga große Erfolge. | |
1979, wenige Tage nach Eigendorf, nutzte Jörg Berger, damals | |
Jugendauswahltrainer der DDR, ein Spiel in Jugoslawien, um zu fliehen. Und | |
1983 setzten sich nach einem Europapokalspiel in Belgrad wieder zwei der | |
privilegierten Spitzenspieler ab: Dirk Schlegel und Falko Götz, der Jahre | |
später bei Hertha BSC spielte und als Trainer arbeitete. | |
Der Fall Eigendorf ist jedoch von allen Fluchtgeschichten des BFC die | |
mysteriöseste. Bei Fans anderer DDR-Vereine, die den BFC als Stasiklub | |
hassten, löste er Häme aus. "Der Eigendorf ist abgehaun, wie kann man da | |
die Bullen traun?", sang man beim Rivalen FC Union Berlin auf den Rängen. | |
Auf Eigendorfs in der DDR gebliebene Ehefrau und kleine Tochter setzte die | |
Stasi 17 inoffizielle Mitarbeiter an. Ein Versuch, mithilfe eines | |
professionellen Fluchthelfers die Familie in den Westen zu holen, | |
scheiterte. Eigendorf im Westen wurde von vier IMs beobachtet. | |
Aktennotizen, die der Journalist Heribert Schwan vor wenigen Jahren fand, | |
legen die Möglichkeit nahe, dass der Autounfall, bei dem Eigendorf 1983 ums | |
Leben kam, von der Stasi initiiert wurde. | |
Die deutschlandpolitische Bedeutung des morgigen BFC-Gegners, des 1. FC | |
Kaiserslautern, bei dem Eigendorf 1979 angeheuert hatte, ist nicht minder | |
gering. Nur liegt sie ein paar Jahre länger zurück: 1956, als in der DDR | |
das Leipziger Zentralstadion mit vor 110.000 Zuschauern eingeweiht wurde, | |
war es der damalige Spitzenklub aus der Pfalz, der eingeladen wurde, gegen | |
den damaligen DDR-Meister Wismut Karl-Marx-Stadt ein Freundschaftsspiel | |
auszutragen. Der FCK gewann 5:3 und schrieb Sportgeschichte - durch einen | |
als "Jahrhunderttor" geltenden Treffer von Fritz Walter: Gestreckt flog der | |
Weltmeister von 1954 auf den von der Ecke getretenen Ball - und traf mit | |
der Hacke! | |
28 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Martin Krauss | |
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