# taz.de -- Blaues Licht: Dunkelheit macht schlaflos | |
> Blaues Licht ist die Grundlage unseres Zeitgefühls. Weil Brigitte | |
> Hoffmann es nicht sehen kann, ist ihr Biorhythmus völlig durcheinander. | |
Bild: Die Farbe Blau: Manch eine/r wird nie erfahren, wie schön sie sein kann. | |
Wie fühlt sich die Nacht an? Und wie die Morgendämmerung? Für Brigitte | |
Hoffmann gibt es diese Gefühle nur noch in der Erinnerung. Als kleines Kind | |
konnte sie sie spüren, bevor ihre Wahrnehmung von Licht verschwand. | |
Hoffmann hat Glaukom - ihre Sehnerven wurden nie richtig mit Blut versorgt, | |
sie nahmen mehr und mehr Schaden, bis sie zerstört waren. | |
Heute ist sie vollblind: Keiner der Rezeptoren auf ihrer Netzhaut gibt | |
Signale weiter. Ihre Augen nehmen keine Farben, Formen und Umrisse mehr | |
wahr. Und sie registrieren auch kein blaues Licht, das die Grundlage | |
unserer Zeitgefühls ist. | |
Brigitte Hoffmann läuft sicheren Schritts durch ihre Wohnung, berührt zur | |
Orientierung hin und wieder ein Schränkchen, eine Wand. Ganz leicht nur, im | |
Vorbeigehen. Sie ist klein, ihre roten Haare sind kurz geschnitten. Die | |
Böden sind mit Teppich belegt, in den Vitrinen stehen Glaspüppchen und | |
riesige Bücher - geschrieben in Blindenschrift. Die Türen sind mit dunklen | |
Lederpolstern bespannt. Ihr Ehemann macht Marzipankaffee in der kleinen | |
Küche, doch sie trinkt lieber den kalten Kaffee vom Vormittag. Den mag sie | |
besonders gern, sagt sie. | |
Wenn Hoffmann einen Brief bekommt, legt sie ihn auf ihren Scanner. Der | |
schleust die Buchstaben in ein Computerprogramm und übersetzt sie in | |
Blindenschrift. Über die Braillezeile an ihrer Tastatur kann sie den Text | |
dann mit ihren Fingern lesen. Den Bildschirm schaltet sie nie an. Wozu | |
auch? | |
Begeistert führt Hoffmann weitere Geräte vor, die ihr das Leben ein | |
bisschen leichter machen. Eines sieht aus wie eine kleine Fernbedienung. | |
Wenn sie es an eine Lampe hält, klackern hintereinander kurze Töne. So kann | |
sie Lichtquellen erkennen, herausfinden, wo in einem Raum Fenster sind. | |
Eine andere Fernbedienung hält sie morgens an ihre Klamotten. "Helles | |
Beige", tönt aus dem Lautsprecher. "Ich freue mich, dass das alles so | |
klappt", sagt sie. Sie spricht langsam, ihre Stimme ist ruhig und hell, sie | |
lacht viel. | |
Hoffmann kommt gut zurecht im Leben, ohne zu sehen. Nur eines kann sie | |
nicht: regelmäßig schlafen. | |
Als sie noch gearbeitet hat, sagt sie, war das eine große Belastung. | |
Hoffmann ist gelernte Stenotypistin und arbeitete jahrelang in einem | |
Ingenieurbüro: "Ich konnte nicht einschlafen oder wachte nachts auf und war | |
dann hellwach", erzählt sie und fährt mit ihren zierlichen Fingern über | |
ihren engen, halblangen Rock. Morgens aufstehen war eine Qual, sie litt oft | |
an Schlafentzug. "Das war eine ganz dumme Zeit. Ich war ja auf mein Gehirn | |
angewiesen, aber irgendwie fühlte ich mich tagsüber immer wie im Nebel." | |
Sie sitzt bequem in der großen dunklen Couch, lehnt sich mit einer Seite an | |
die Rückenlehne. Sie ist nun siebzig Jahre alt und in Rente. "Jetzt ist es | |
nicht mehr so schlimm", sagt sie. Sie kann sich hinlegen, wann sie will. | |
Hoffmann wird nicht müde, wenn die Sonne untergeht, und nicht wach, wenn | |
sie aufgeht. Ihre innere Uhr ist aus dem Takt. Über die Ursache weiß man | |
heute ein wenig mehr: Vor einigen Jahren entdeckten Forscher neben Stäbchen | |
und Zapfen, die Formen und Farben erkennen, einen dritten Rezeptortyp in | |
der Netzhaut unseres Auges. Dieser Rezeptor reagiert vor allem auf | |
Lichtwellen mit 480 Nanometer Länge - auf blaues Licht also. Trifft das | |
blaue Licht auf diese Sinneszellen, geben sie die Information darüber an | |
einen winzigen Bereich in unserem Gehirn weiter: den Suprachiasmatischen | |
Nucleus. Dort, nur wenige Zentimeter hinter den Augen, sitzt die innere | |
Uhr. | |
## Schlafhormone auf Rezept | |
Der Suprachiasmatische Nucleus lenkt Anstieg und Fall unserer | |
Körpertemperatur, Stoffwechselprozesse und die Aktivität des Gehirns - er | |
bestimmt unseren Tagesrhythmus. Außerdem hemmt das blaue Licht die | |
Ausschüttung von Melatonin, dem Schlafhormon. Abends, wenn die Sonne | |
untergeht und mit ihr das blaue Licht, produzieren wir mehr und mehr | |
Melatonin und werden so müde. Der 24-Stunden-Rhythmus klappt nur mit blauem | |
Licht. | |
Seit etwa zehn Jahren nimmt Brigitte Hoffmann nun Melatonintabletten vor | |
dem Schlafengehen. Es macht sie müde. Für die Behandlung ihrer Krankheit | |
ist das eigentlich gar nicht zugelassen. Ärzte verschreiben es zur | |
kurzfristigen Behandlung von Insomnie, also Schlaflosigkeit. Viele | |
Betroffene, deren Schlaf-Wach-Rhythmus ausgefallen ist, besorgen sich das | |
Melatonin aber auf anderem Wege. Ein anderes Arzneimittel für Hoffmanns | |
Problem existiert noch nicht. Zwar testet eine Pharmafirma gerade weltweit | |
einen Stoff, der im Suprachiasmatischen Nucleus das bewirken soll, was | |
sonst das blaue Licht auslöst. Es ist wie Blaulicht als Tablette. Bis zur | |
Zulassung könnten jedoch noch Jahre vergehen. | |
Rund 150.000 Menschen in Deutschland sind erheblich sehbehindert, schätzt | |
der Blindenverband, etwa 10 Prozent davon vollblind. Für sie ist der | |
Verlust der inneren Uhr oft der belastendste Aspekt an der Blindheit. | |
"Wir müssen ständig konzentriert sein, um uns zu orientieren", sagt | |
Hoffmann. Ein Sehender kann schließlich immer noch gucken, ob da ein | |
Schrank im Weg steht. Wo sie wach sonst sicher durch ihre Wohnung geht, | |
kriegt sie im müden Taumeln auch mal Beulen und blaue Flecken ab. | |
Nachts, wenn sie wach ist, liest sie ein Buch in Punktschrift oder hört | |
Radio. "Ich kenne viele Blinde, denen es genauso geht", sagt Hoffmann. Sie | |
erzählt von Blinden, die nachts bei Radiosendungen anrufen. Sie lacht dabei | |
viel. | |
Hoffmanns Ehemann ist auch sehbehindert. Als Kleinkind raubte ihm eine | |
bakterielle Enteritis, auch bekannt als Ruhr, das meiste Sehvermögen. Heute | |
sieht er nur noch Umrisse - und Licht. Seine innere Uhr funktioniert. Das | |
blaue Licht kommt auf seiner Netzhaut an, so wie es auch bei Sehenden durch | |
die Augendeckel dringt und morgens die Schläfer aufweckt. | |
Brigitte Hoffmanns Erblindung jedoch war nicht zu stoppen - trotz vieler | |
Operationen. "Als Kleinkind habe ich noch Bilderbücher angeguckt", erzählt | |
sie. Lange konnte sie auch Umrisse sehen, von Menschen und Bäumen. An | |
Farben kann sie sich erinnern. Ungefähr. Dann aber lief sie eines Tages | |
einen dunklen Gang in ihrer Schule entlang. Sie war damals sechzehn Jahre | |
alt. Ein Schüler kam ihr entgegen und rempelte sie ungeschickt an. Da | |
platzte Hoffmanns rechtes Auge. Seither ist eines ihrer großen blauen Augen | |
aus Glas. Auch der Sehnerv ihres linken Auges war bald so zerstört, dass | |
sie nun mit beiden Augen nur noch eines sieht: schwarz. | |
Manchmal aber, im Sommer, wenn es zehn Uhr abends ist und draußen noch ein | |
bisschen hell, dann erinnert sich Brigitte Hoffmann daran, wie sich das | |
angefühlt hat. Sie versucht sich hineinzuversetzen in dieses Gefühl. Dann, | |
sagt sie, kann sie es ein bisschen spüren, das Licht. | |
29 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Maria Rossbauer | |
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