Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kolumne Gott und die Welt: Die letzte Regieanweisung
> Wie das "Kapital", so ist auch der "Ring der Nibelungen" ein im Exil
> verfasstes Werk eines flüchtigen Revolutionärs: Was Wagner mit Marx zu
> tun hat.
Noch stellt Richard Wagners "Ring der Nibelungen" ein für eine Theorie des
Politischen unverzichtbares Lehrstück dar. Zwischen 1852 und 1874 erdacht
und komponiert, steht dieser musikdramatische Zyklus in seiner analytischen
Kraft gleichberechtigt neben dem "Kapital", an dem Marx zur selben Zeit
rastlos arbeitete. Wie das "Kapital", so ist auch der "Ring der Nibelungen"
ein im Exil verfasstes Werk eines flüchtigen Revolutionärs. "Ring" und
"Kapital" stehen als Erben idealistischer Geschichtsphilosophie noch in
deren Bann, wobei Wagner schon deshalb radikaler denkt, weil er auf die
Tröstungen einer optimistischen Geschichtsphilosophie verzichtet.
Im letzten Aufzug der "Götterdämmerung" springt die gekränkte, das Ende
vollziehende Brünnhilde in einen lodernden Scheiterhaufen, der erst die
Königshalle am Rhein einstürzen lässt, um schließlich die Götterburg
Walhall mit all ihren Insassen einzuäschern. In Wagners Regieanweisung
heißt es dazu: "Aus den Trümmern der zusammengestürzten Halle sehen die
Männer und Frauen, in höchster Ergriffenheit, dem wachsenden Feuerscheine
am Himmel zu."
Diese Anweisung forderte die Interpreten immer wieder heraus. Zwei
Deutungen behaupten sich: Der seinen Motiven nie untreu gewordene
Revolutionär Wagner habe dem Ende seines Zyklus eine Lösung entweder im
Geiste des Anarchisten Michail Bakunin oder im Sinn des Philosophen Ludwig
Feuerbach gegeben. Brand und Ende verweisen auf Bakunins Revolution der
Zerstörung, während das Hervorheben der ergriffenen "Männer und Frauen"
Feuerbachs Lehre vom Ende metaphysischer Projektionen auf eine Götterwelt
ausdrückten.
## "Abkehr" von Geschichte und Politik
Die von dem australischen Regisseur Barry Kosky in Essen neu inszenierte
"Götterdämmerung" verweigert sich beiden Deutungen. Im Programmheft weist
der Politologe Udo Bermbach auf eine unaufhebbare Aporie des "Rings" hin:
Es gehe um die Abkehr von einer verdinglichten Welt, die jedoch deshalb
folgenlos bleiben müsse, "weil es in ihr niemanden geben kann, der dieser
Verdinglichung entgehen und sich so als Subjekt seine Handlungsfreiheit
bewahren könnte". War das in der Inszenierung zu sehen? Beim Klang der
perlenden Erlösungsmusik blieb die Bühne kalt und grell ausgeleuchtet, kein
rötlicher Schein deutete das Feuer auch nur an; stattdessen standen "die
Männer und Frauen" mit dem Rücken zum Publikum, um in die Kulissen
hineinzugehen.
Kosky, der sich jedem Illusionstheater versagt und das Bühnengeschehen als
Bühnengeschehen vorführt und die Handlung im Modus ästhetischer Differenz
präsentiert, hat damit ein eindrucksvolles Bild für die "Abkehr" von
Geschichte und Politik gefunden. Eine Abkehr von jener nicht enden
wollenden Gewaltspur, jener Anhäufung von absurden Ereignissen, denen ein
Sinn beim besten Willen nicht mehr abzugewinnen ist. Wagners "Ring"
vollzieht in spiralförmigen Bewegungen eine Entzauberung, eine schrittweise
Rücknahme jeder metaphysischen Überhöhung des unaufhebbaren menschlichen
Begehrens nach Macht, Reichtum und sexueller Erfüllung, eines Begehrens,
mit dem die Menschheit schließlich alleine gelassen ist. Am Ende schließt
sich der Ring und alles beginnt von vorne.
Karl Marx hatte anderes erhofft. Im 51. Kapitel des von Friedrich Engels
herausgegebenen dritten Bandes des "Kapital", kurz vor Abbruch des
Manuskripts, heißt es: "Auf einer gewissen Stufe der Reife angelangt, wird
die bestimmte historische Form abgestreift und macht einer höheren Platz."
## Der Lüge überführt
Die Erfahrungen des katastrophalen 20. und des krisenhaften beginnenden 21.
Jahrhunderts geben zu Hoffnungen im Geiste Bakunins, Feuerbachs oder Marx
keinen Anlass; die derzeit von vielen herbeigesehnte letale Krise eines vom
Finanzkapital bestimmten Wirtschaftssystems verheißt keine auf die Krise
folgende, grundsätzliche Erneuerung zum Besseren. Es ist wie im "Ring": Die
Schönheit der bisweilen tröstlich klingenden Musik scheint durch die
Handlung der Lüge überführt. Freilich: Auch entschlossene Abkehr von der
Politik, vom Drama und der Tragödie führt aus ihrem Bannkreis nicht heraus:
auch sie bleibt politisch.
1 Aug 2011
## AUTOREN
Micha Brumlik
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.