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# taz.de -- Kommentar China: Ein kurzer Informationsfrühling
> Ein Bahnunglück zeigt, dass auch Chinas Führungsspitze manchmal Tage
> braucht, um zu reagieren. Druck aus dem Internet und Streit ums Wachstum
> machen dies möglich.
Brennende Reisebusse, Minenunglücke, explodierende Fabriken - fast jeden
Tag ereignet sich in der Volksrepublik eine Katastrophe, bei der viele
Menschen ums Leben kommen. Deshalb reagierten Chinas Politiker auf das
Zugunglück auf einer neuen Hochgeschwindigkeitsstrecke mit 40 Toten wie
gewohnt: Sie feuerten ein paar Bahnfunktionäre, ließen die Schienen
freiräumen und wollten zum Alltag zurückkehren.
Was für ein Irrtum! Wie von einer unsichtbaren Hand gelenkt, einigten sich
Millionen Chinesen im Netz auf ein großes Thema: das Recht auf die
Wahrheit. Per Mikroblog - einer in China mittlerweile höchst beliebten
Form, Fotos, Videos und ein paar Sätze blitzschnell unter den Leuten zu
verbreiten - und in den Diskussionsforen des Internet kursieren
Informationen und Fragen über die offenbar fehlenden
Sicherheitsvorkehrungen des Paradeprojekts des Eisenbahnministeriums und
der Regierung.
China habe seine Seele verloren und die Menschen dem Geschwindigkeitswahn
geopfert, hieß es. Getrieben von der Wucht der Emotionen in den Blogs,
scherten sich auch die offiziellen Medien nicht um die ersten
Zensuranweisungen.
Dass es eine Woche brauchte, bis die KP-Spitze am Wochenende ein Machtwort
sprach ("Nur noch positive Berichte"), verrät, dass es bis in die oberste
Führungsspitze keine Einigkeit darüber gab, wie man auf diese Entwicklung
reagieren sollte.
Die KP steht nun vor der Wahl: Versucht sie, die Debatte mit ihrem
gewaltigen Spitzel- und Polizeiapparat zu ersticken, ist ein neuer Ausbruch
des Volkszorns beim nächsten Anlass sicher. Gibt sie hingegen den
Forderungen nach mehr Transparenz nach, dürfte dies auf heftigen Widerstand
mächtiger KP-Funktionäre stoßen, die Chinas Staatskassen zur privaten
Bereicherung nutzen. So ist zu fürchten, dass die kurze Woche des
Informationsfrühlings einen hohen Preis haben wird: eine weiter verschärfte
staatliche Repression.
1 Aug 2011
## AUTOREN
Jutta Lietsch
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