# taz.de -- Fotografin Seewald über Projekt gegen Homophobie: "Wir sehen nur, … | |
> Mann oder Frau? Schwul oder hetero? Für ihr Projekt ,Andersrum-portrait" | |
> hat die Hamburgerin Alexa Seewald 2.000 Menschen von hinten fotografiert. | |
> Ein Gespräch darüber, dass der Schein trügt - und Klischees auch einen | |
> wahren Kern haben können. | |
Bild: Zeichen setzen gegen Diskriminierung und Schubladendenken: zwei von Tause… | |
taz: Frau Seewald, wieso fotografieren Sie Menschen von hinten? | |
Alexa Seewald: Die Idee ist entstanden, als ich im vergangenen Jahr gefragt | |
wurde, ob ich beim Lesben-Frühlingstreff in Hamburg einen Foto-Workshop | |
übernehmen wolle. Ich wollte, denn ich war neugierig: Wie sehen Lesben aus? | |
Wie steht es mit den Klischees? | |
Und das finden Sie heraus, indem Sie Rückseiten fotografieren? | |
Die Projektidee ist simpel: Es geht einfach darum, Personen in dem | |
Wortspiel "Andersrum" für das Andersrum-Sein zu fotografieren. Jedes | |
Portrait setzt ein Zeichen gegen Diskriminierung und Schubladendenken. | |
Ich möchte Vielfalt zeigen und die Zwischenbereiche jenseits der | |
Klischeebilder abbilden. Denn im Alltag sehen wir oft die Welt durch die | |
Brille der Gewohnheit. Und so sehen wir nur, was wir zu sehen erwarten. | |
Auf vielen Ihrer Fotos ist beispielsweise nicht zu erkennen, ob die | |
Porträtierten Männer oder Frauen sind. Die Brille für Frau beziehungsweise | |
Mann funktioniert schon mal nicht. | |
Es geht im Projekt tatsächlich ums Schubladendenken. Ich will das nicht | |
generell verteufeln, weil es im Alltag sogar notwendig ist: Wenn der Mensch | |
nicht gelernt hätte, in Kategorien zu denken, um die Flut an Informationen | |
zu filtern, würde er wohl verrückt werden. Das Hinterfragen solcher | |
festgefahrener Gedankenmuster kann allerdings nicht schaden. | |
Aber ich hasse es, wenn man in Extremen denkt, total feministisch | |
beispielsweise oder wenn man sich in einem Bereich extrem und über die | |
Maßen engagiert. Das führt nämlich auch dazu, dass gerade Menschen, die | |
nicht so viel Kontakt zu Homosexuellen haben, meinen zu sehen, wer schwul | |
und wer lesbisch ist und wer eben nicht. | |
Ein Beispiel? | |
Ich habe zwei junge Frauen mit Hut und Minirock fotografiert, die vom | |
Optischen her überhaupt nicht in das Raster "Lesbe" fallen. Auch wenn die | |
beiden das offen ausleben, werden sie vom Betrachter nicht als lesbisch | |
erkannt, bloß, weil sie in keiner Weise dem Bild entsprechen, das viele von | |
Lesben im Kopf haben. | |
Verstehe. Aber um zu zeigen, dass das Liebesleben nicht an Äußerlichkeiten | |
zu erkennen ist, müssten Sie nicht die Rückseite der Leute fotografieren. | |
Stimmt, aber ich hatte auch angenommen, dass viele sich vielleicht nicht | |
geoutet haben oder ein Problem damit haben, sich fotografieren zu lassen. | |
War diese Sorge denn begründet? | |
Überhaupt nicht, es war vielmehr mein eigenes Vorurteil. Ich musste | |
feststellen, dass die meisten sich im Gegenteil viel lieber von vorne | |
hätten fotografieren lassen. Viele sehen das Projekt als Chance, um Präsenz | |
zu zeigen und ein Zeichen gegen Homophobie, Stigmatisierung und | |
Schubladendenken zu setzen. | |
Mittlerweile sind bei großen Shootings in Berlin, Hamburg und Karlsruhe | |
insgesamt an die 2.000 Porträts entstanden. Haben Sie denn jetzt eine | |
Antwort auf Ihre Frage gefunden: Wie sieht die Szene aus? | |
Naja, durch das Projekt hat sich schon bestätigt, dass jedes Klischee ja | |
wie jede Sage und wie jedes Märchen auf einem Kern Wahrheit beruht. Aber es | |
gibt viel mehr, als man meint und denkt. Es gibt alles, querbeet, ein | |
Querschnitt durch die Bevölkerung, das Äußere ist völlig egal. | |
Auf Ihren Fotos sind dann ja auch nicht nur Frauen in Holzfällerhemden, | |
sondern beispielsweise auch sehr schicke Frauen, jugendlich in Baggy Pants | |
zu sehen. Oder ältere Herren. Oder Familien. | |
Ich will eben auch zeigen, dass lesbisch, schwul, queer, inter-, trans- und | |
bisexuell zu sein, keine Frage des Alters, der sozialen Schicht, des | |
Kleiderstils oder auch des Berufs ist. | |
Bei Ihren offenen Shootings beispielsweise auf Straßenfesten können Sie | |
aber nicht beeinflussen, wer kommt. Sie wissen also nicht, ob die | |
Porträtierten nicht doch einfach Heteros sind. | |
Indirekt beeinflusse ich über die Wahl des Shooting-Ortes wer auf die Fotos | |
kommt. Wenn ich also beim CSD, beim Lesben-Frühlingstreff, beim L-Beach, | |
beim Schwul-lesbischen Neujahrsempfang oder beim Regenbogenfamilientag | |
fotografiere, weiß ich ja ungefähr, wer kommt. | |
Ich klammere aber niemanden aus, der sich fotografieren lassen will. Doch | |
es bleibt natürlich ein Projekt gegen Homophobie und deswegen fotografiere | |
ich in erster Linie Homosexuelle. Oder sagen wir: Alle, die nicht der | |
Heteronormativität entsprechen. | |
Was soll dabei herauskommen? | |
Das Ziel ist, dass es irgendwann nicht mehr wichtig ist und akzeptiert | |
wird, dass die sexuelle Orientierung überhaupt keine Rolle spielt. Wir | |
diskutieren ja auch nicht darüber, ob ich Schütze bin oder blonde Haare | |
habe. Outing ja oder nein, im Beruf oder nur privat? All diese Fragen | |
sollte es gar nicht mehr geben. | |
1 Aug 2011 | |
## AUTOREN | |
Ilka Kreutzträger | |
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