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# taz.de -- Sicherheitslage in Afghanistan: Die Unsicherheit wächst
> Der Westen zieht nach und nach Truppen und Geld aus Afghanistan ab. Bei
> der Bevölkerung vor Ort schwindet die Hoffnung auf Stabilität.
Bild: Wie lange noch? Amerikanischer GI in Afghanistan.
KABUL taz | "Ich habe auf Ruhe gehofft", sagt Assadullah Fallah. Der
hochgewachsene Mann mit weißen Haaren und Bart sitzt im Garten seines
Hauses in Kabul. Der 52-jährige Politiker ist alles andere als zufrieden.
In der vorvergangenen Woche hat die Nato mit ihrem Abzug vom Hindukusch
begonnen. Sieben Gebiete sind nun in die Sicherheitsverantwortung der
afghanischen Kräfte übergegangen. Fallah sieht das mit Sorge. "Ich bin ein
alter Mann. 35 Jahre habe ich für mein Land gekämpft. Aber ich muss
weitermachen", sagt er resigniert.
Fallah hat als Mudschaheddin gegen die Sowjetunion gekämpft. Doch der Kampf
ist für ihn nicht zu Ende. Der frühere Weggefährte von Präsident Hamid
Karsai diente nach dem Sturz des Taliban-Regimes als Provinzgouverneur in
Farah, im Westen Afghanistans. Inzwischen hat er wenig Hoffnung, dass die
Regierung von Karsai den Verfall aufhalten kann.
"Der Bürgerkrieg wird wieder beginnen", prophezeit Fallah, der immer noch
respektvoll "Commander" genannt wird. Nach dem Abzug der Sowjetunion aus
Afghanistan stürzte das Land in einen blutigen Konflikt, in dem Tausende
Menschen starben. Fallah glaubt, dass die Geschichte sich wiederholen wird.
Der Chef der afghanischen Menschenrechtskommission, Nader Naderi, ist nicht
ganz so pessimistisch, doch auch er sieht eine Menge Fragezeichen. Die
internationale Unterstützung für den Nato-Militäreinsatz in Afghanistan
schwinde "von Tag zu Tag", erklärt er. Es sei daher gut, dass man darüber
nachdenkt, wie es ohne den Westen weitergehen soll.
Doch seiner Meinung nach hapert es an Quantität und Qualität der
afghanischen Kräfte. "Ich sehe nicht, wie sie für Sicherheit sorgen
können." Die Unsicherheit sei heute viel größer. Naderi glaubt, dass die
aufständischen Taliban inzwischen viel systematischer vorgehen: "Allein
2010 wurden 400 Stammesälteste und andere Autoritäten umgebracht. Das ist
eine andere Taktik als Bodenminen und Selbstmordanschläge." Es erzeuge weit
mehr Furcht in der Bevölkerung.
Vor ein paar Tagen wurde nahe dem Wohnhaus Naderis in Kabul ein enger
Freund und Verbündeter von Präsidenten Hamid Karsai, Jan Mohammed Khan,
umgebracht. "Ich habe mehr als 50 Telefonanrufe bekommen in dieser Nacht",
erzählt Naderi. Er wertet das als Zeichen, wie viel Angst die Menschen
inzwischen selbst in der Hauptstadt Kabul haben, in der es lange ruhig war.
Die gezielten Morde an einflussreichen Politikern und anderen Machtfiguren
der Karsai-Regierung werde die bereits schwache Regierung weiter schwächen,
glaubt der Leiter der Kommission. "Und wir werden mehr davon sehen", sagt
er.
## "Ethnische Armee"
Auch der Parlamentarier Ramazan Barshadost ist skeptisch. "Die Situation
könnte nicht schlimmer sein", meint er. Er erinnert daran, dass vor kurzem
erst Ahmed Wali Karsai, der mächtige Halbbruder des Präsidenten, erschossen
wurde. "Wenn die Nato Afghanistan verlässt, könnten die Taliban zurück an
die Macht kommen", glaubt der Politiker. Wenig überzeugt ihn die Qualität
der afghanischen Truppen. Es seien viel zu wenige Paschtunen dort
vertreten, die im Süden des Landes beheimatet sind und aus deren
Gemeinschaft sich die Taliban rekrutieren. "Wir haben eine ethnische und
keine nationale Armee. Viele paschtunische Soldaten weigern sich, die
Taliban zu töten", meint Barshadost.
Auch Commander Fallah hält nicht viel von den afghanischen
Sicherheitskräften. Er erinnert sich an die Nacht Anfang Juli, in der ein
Trupp bis an die Zähne bewaffneter Taliban-Kämpfer das Luxushotel
Intercontinental stürmten. Vom Garten des Kommandeurs kann man den Hügel
mit der Fünf-Sterne-Herberge sehen. "Ich habe unsere Soldaten beobachtet.
Sie konnten die Gäste dort nicht vor neun Angreifern schützen. Wie sollen
sie dann das Land beschützen?", fragt Fallah.
Das hektische Bemühen der letzten zwei Jahre, mit Milliarden-Mitteln die
afghanische Nationalarmee in die Lage zu versetzen, die
Sicherheitsverantwortung für das Land zu übernehmen, um den Abzug der
Nato-Truppen vorzubereiten, gehört zu den ambitioniertesten Projekten des
Westens in der zehn Jahre währenden direkten Intervention. Die afghanischen
Soldaten waren kaum motiviert, schlecht ausgebildet und zum größten Teil
Analphabeten, viele schieden schon nach den ersten Wochen wieder aus.
Die Stärke der Truppe ging in manchen Monaten zurück, obwohl ständig neue
Soldaten rekrutiert wurden. Inzwischen wird mehr in die Ausbildung
investiert und die Gehälter sind höher. Doch das alles kostet sehr viel
Geld: Allein in diesem Jahr beläuft sich der Unterhalt der afghanischen
Armee auf 12 Milliarden US-Dollar - etwa so viel wie das gesamte
afghanische Bruttoinlandsprodukt.
## "Beginn eines Prozesses"
Andere sehen deutliche Fortschritte. Die Übergabe der sieben Gebiete sei
"der Beginn eines Prozesses", sagt der Sprecher der Internationalen
Schutztruppe in Afghanistan (Isaf), General Carsten Jakobson. Es sei
normal, dass die Isaf manchmal noch zur Hilfe gerufen werden müsse.
Andere glauben, dass die Kämpfe im Land nun härter werden, weil der Westen
weniger Geld ausgibt und viele Staaten und Hilfsorganisationen ihr
finanzielles Engagement zurückfahren. "Der Kuchen wird kleiner", sagt Luc,
ein Franzose, der für eine amerikanische Firma in Kabul arbeitet. Das
Welternährungsprogramm hat weniger Spenden eingenommen und wird in diesem
Jahr vermutlich Projekte kürzen müssen.
Bis zu 5 Millionen Menschen sind wegen der schlechten Ernte in Afghanistan
vom Hunger bedroht und müssen unterstützt werden. Auch die Organisation
Internews, die Journalisten ausbildet und bisher Radio- und
Fernsehstationen in Afghanistan aufbaute, hat ihre Mittel für das Land um
70 Prozent gekürzt. Das Geld fließt woanders hin: nach Afrika, in den
Mittleren Osten und in andere Krisengebiete.
"Für 2011 ist noch Geld da", sagt Naderi von der afghanischen
Menschenrechtskommission, aber ab 2012 werde es weniger werden. "Dann wird
man den wirklichen Effekt des Kampfs um Ressourcen sehen. Das ergibt ein
ernstes Risiko für die Sicherheitslage." Naderi sieht darin eine
zusätzliche Herausforderung für die Übergabe der Sicherheitsverantwortung
an die Afghanen.
Vor dem Präsidentenpalast im Zentrum Kabuls wird in diesen Tagen ein neuer
Ring von Betonmauern mit riesigen Kränen aufgebaut. Der neue Schutzwall
soll den Präsidenten noch besser vor Bomben und Attentätern schützen. "Das
ist unsere Regierung", sagt Sabir, ein 26-jähriger Afghane, der sich das
Treiben auf der Straße anschaut. "Sie glaubt, dass sie sich so an der Macht
halten kann."
3 Aug 2011
## AUTOREN
Agnes Tandler
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