# taz.de -- Film "Shit Year" mit Ellen Barkin: Eine Parodie des Independentkinos | |
> Eine Diva altert und träumt von vergangenen Filmen: "Shit Year" von dem | |
> Regisseur Cam Archer ist zwar teilweise maniriert, aber auch von | |
> lakonisch-absurdem Humor. | |
Bild: Ellen Barkin als Colleen West. | |
Colleen West (Ellen Barkin) ist ein Echo der Filmgeschichte. Wie sie durch | |
die Wälder rings um ihr neues Haus streift, in ihrem mottenzerfressenen | |
Pelzmantel, eine Schauspielerin Ende 50, die sich gerade zur Ruhe gesetzt | |
hat und deutlich Wert auf ihren erhaben lässigen Post-Punk-Chic legt, wie | |
sie da über sich und ihr Leben räsonniert, oft abstrakt, nicht selten | |
erratisch, das hat schon etwas von Edith "Big Eddie" Beale, jener im Leben | |
glücklos vor den Toren New Yorks gescheiterten Sängerin. | |
Ihr setzte die Kult-Doku "Grey Gardens" in den 70ern ein Denkmal. Und dann | |
wieder denkt man an Norma Desmond, die Stummfilmdiva, die in Billy Wilders | |
"Sunset Boulevard" tief in ihre Biografie versunken nächtlich durch ihren | |
Hollywood-Prunkpalast zieht. | |
Ein Echo der Filmgeschichte ist auch Cam Archers Film "Shit Year", der von | |
Colleen West handelt. Die kommt kaum damit zurecht, nicht mehr im Business | |
zu sein, und nabelt sich ab von der Welt in einem neuen Haus. Mit dem | |
deutlich jüngeren Schauspielerkollegen Harvey (Luke Grimes) hat sie zudem | |
gerade erfolgreich eine Beziehung in den Sand gesetzt. Kurz: West durchlebt | |
ein Scheißjahr. | |
## Kein Psychokammerspiel | |
Cam Archer erzählt jedoch kein Psychokammerspiel über eine zerfallende | |
Persönlichkeit, vielmehr tupft er ein zielloses Mäandern in zahlreiche | |
Filmschnippsel, die oft eher nebeneinander stehen, statt aufeinander | |
aufzubauen. Hierzu bedient er sich filmästhetischer Verfahren, die | |
vergangenen randständigeren Filmformen eigen waren: Grobkörniges | |
Schwarz-Weiß, ein sanftes Pendeln zwischen stilisierten und im Vorbeigehen | |
aufgeschnappten Bildkompositionen, die assoziative Montage, die zwischen | |
Story und Impression, zwischen Sinnbild und faktischer Realitätswiedergabe | |
changiert. | |
All das steht deutlich - und in solcher Deutlichkeit an Parodie grenzend - | |
in der Tradition eines heute fast klassisch anmutenden Independentkinos, | |
für das Gus van Sants Debütfilm "Mala Noche" (1986) steht. Andere Bilder - | |
die wunderbaren Großaufnahmen von Ellen Barkin etwa, die ihr eigenes Alter | |
mit voller Würde in den Film einbringt - nähern sich den ästhetischen | |
Registern von Ingmar Bergman an. Ein lose in den Film eingewobener | |
Science-Fiction-Plot - West will sich Harvey über Erinnerungssimulationen | |
zurückholen - erinnert sachte ans Mitternachtskino der 70er Jahre. | |
Es ist ein Traum vom Filmemachen, den "Shit Year" sich gestattet: West, die | |
nie damit aufhört, ihre Person hinter stetem Schauspiel zum Verschwinden zu | |
bringen, hängt einer zur Lebensperlenschnur geronnenen Filmografie von 35 | |
Filmen nach. Archer wiederum erträumt sich einen Filmkosmos, in dem sich | |
teils subversive, teils persönliche Formen des Filmemachens miteinander | |
verschränken. "Irgendwann wird man süchtig danach, eine andere Person zu | |
sein", sagt West mit ihrer wunderbar papierenen Stimme an einer Stelle. | |
Genauso ist Archers Film süchtig danach, ein anderer Film zu sein. | |
Mitunter grenzt seine Methode an das narzisstische Vergnügen, das andere | |
beim Pflegen ihrer Schmetterlingssammlung empfinden mögen - und doch | |
schiebt sich dabei neben Manieriertes immer auch Geglücktes, neben brav | |
erfüllte auteuristische Konventionen treten wunderschöne Filmpartikel, in | |
denen sich mitunter ein lakonisch-absurder Humor ausdrückt. | |
Vor allem aber ist "Shit Year" ein Film, der gehört sein will: Wie lange | |
kein zweiter Film mehr ist "Shit Year" an den Rändern seinen Bilder | |
akustisch offen und holt damit die Textur einer ganzen Welt ins klanglich | |
Erfahrbare: Es rumort und hämmert aus der Baustelle neben dem Haus, es | |
raschelt und weht im Wald, mitunter hört man die Filmkamera still surren, | |
dann wieder wägt Ellen Barkin im Voiceover jeden Konsonanten auf selten | |
gehörte, körperliche Weise ab. Was dabei im Verbund mit den assoziativen | |
Bildern, mit den sachten Kamerabewegungen entsteht, ist reiner, sinnlicher | |
Ambient - nicht so sehr die Geschichte eines Psychodramas, sondern dessen | |
Aufschichtung. | |
## "Shit Year". Regie: Cam Archer. Mit Ellen Barkin, Luke Grimes u. a. USA | |
2010, 95 Min. | |
11 Aug 2011 | |
## AUTOREN | |
Thomas Groh | |
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