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# taz.de -- Ortstermin auf dem Schlampenmarsch: Die Macht über Frauen brechen
> In mehreren Großstädten demonstrierten am Samstag Tausende auf
> "Schlampenmärschen" für selbstbestimmte Kleidungswahl. Das ist nicht
> immer ganz leicht.
Bild: Es geht um Freiheit: Schlampenmarsch in Berlin.
BERLIN taz | Annika und Jasmin stehen oben ohne inmitten einer
Menschenmenge in der Berliner City-West. Ihre Brustwarzen haben sie mit
Klebeband abgedeckt, dazu tragen sie schwarze Röcke und dezentes Make-Up.
Für die beiden zwanzigjährigen Studentinnen ist der Berliner Slutwalk, zu
dem sie sich am Samstagnachmittag mit rund 3.000 weiteren DemonstrantInnen
versammelt haben, das erste öffentliche feministische Engagement ihres
Lebens.
Die Kunstgeschichts- und die Tiermedizinstudentin wollen aber nicht nur für
die ursprüngliche Idee des Schlampenmarsches – das Recht auf
selbstbestimmte Kleidungswahl, ohne im Falle einer demütigenden Anmache
oder einer Vergewaltigung dafür verantwortlich gemacht zu werden –
demonstrieren.
Sie protestieren auch, weil sich bei den Frauen ihrer Generation wieder ein
Gefühl von "Heim an den Herd" breitmache. Sie berichten von
Altersgenossinnen, die "einfach nur geheiratet werden" wollen – und über
ihr Unverständnis darüber.
## Bitte kein PorNo
Über den Popstar "Pink" begannen Annika und Jasmin sich vor einigen Jahren
für die Riot-Girl-Bewegung zu interessieren und forschten in der Geschichte
des deutschen Feminismus. Durch die Zeitschrift Emma und Alice Schwarzer
fühlen sie sich nicht repräsentiert, sie wollen ein neues feministisches
Selbstbewusstsein. "Dieser Männerhass ist total überholt, genauso wie die
PorNo-Bewegung", sagt Annika, "ich will doch nicht immer ein schlechtes
feministisches Gewissen haben, wenn ich einen gutgemachten Pornofilm
anschaue und mir das gefällt."
Die beiden hoffen, dass die weltweiten Slutwalks eine neue Welle der
Frauenrechtsbewegung anstoßen, die das Engagement gegen Ungleichbehandlung
auch für junge Frauen wieder "schmackhaft macht". Es sei "eine
Katastrophe", dass Frauen bei gleicher Qualifikation in Deutschland immer
noch weniger verdienen und die junge Generation das einfach so hinnehme
oder sich aus Resignation wieder in die Hausfrauen- und Mutterrolle
flüchte.
## Sexualität ohne Angst ausleben
Micha, 47, trägt lange schwarz-violette Haare und eine schwarze
Lederkorsage. Er will vor allem dafür demonstrieren, dass alle Menschen
ihre Sexualität ohne Angst vor Übergriffen, schiefen Blicken und
Beleidigungen ausleben dürfen. Die "Queer Crips", eine Gruppe
körperbehinderter Menschen mit queerem Hintergrund, sind ebenso vertreten
wie junge Lesben, schwule Männer und AktivistInnen für bessere - oder
überhaupt eine - lustorientierte Sexualerziehung an den Schulen.
"Es geht uns auch darum, dass die Vielfalt der Sexualität gelehrt wird,
darum, dass gegenseitiges Einverständnis vorausgesetzt werden muss, bevor
es zum Sex kommt, und um die Aufklärung, dass jeder Körper verschieden
aussieht", sagt Alice, 50, die schon in den 1970ern für Frauenrechte auf
die Straße ging. Sie macht sich Sorgen um junge Frauen, die sich auf eine
vermeintliche Idealfigur runterhungerten, um den Trend, sich die
Schamlippen verkleinern zu lassen, damit ein durch Pornos geprägter
Idealzustand der weiblichen Geschlechtsorgane erreicht werde.
Alarmierend findet sie den in Deutschland neuen, in islamischen Ländern
schon lange existierenden Trend, sich vor der Ehe das Hymen rekonstruieren
zu lassen: "Sexuelle Ethik muss in der Schule ein Thema werden." Wer sich
dazu beraten lassen will, bevor es in den Lehrplänen steht, den lädt Alice
in den frauengeführten Sexshop "Sexclusivitäten" ein, in dem Workshops zum
Thema "weibliche Prostata", "das lachende Becken" und Paar-Sex-Beratung
angeboten werden.
## Ein schnelles Foto mit dem Handy
Als die Demonstration durch ein von vielen türkischstämmigen Migranten
bewohntes Viertel zieht, zücken viele Männer am Straßenrand die
Handy-Kameras. "Ist zwar Ramadan und wir sollten nicht hingucken, aber so
was sieht man ja nicht ständig", sagt ein Mittzwanziger und lacht. "Scheint
ja um Kleidung zu gehen, irgendwie, lustig."
Eine junge Mutter, die aus Istanbul nach Berlin migriert ist – sie trägt
enge Kleidung und starkes Make-Up – würde "glatt mitmachen,
Selbstbestimmung ist doch eine gute Sache". Sie merkt an, dass Frauen doch
gerne mit Reizen spielen würden, das aber dann "natürlich keine
Aufforderung an die Männer sein darf, anzufassen".
Sie würde sich freuen, wenn es demnächst auch in Istanbul oder Izmir
Slutwalks geben würde, die gegen das meist familiär geforderte Kopftuch
gehen würde. "Muss ja nicht gleich nackt sein, aber es sollte die Frauen
stärken und ihnen Kraft geben, sich gegen die Familie durchzusetzen."
Familiäre Gewalt, so bedauert sie, sei aber meist ein Hinderungsgrund für
die Frauen in den ländlichen Gegenden der Türkei, "da muss noch ein langer
Weg gegangen werden".
Wie Diana Drechsel, 29, eine der Mitorganisatorinnen, später bemerkt, sei
die Botschaft nicht unbedingt gut transportiert worden, es habe viele
belustigte Gaffer gegeben, beim nächsten Mal werde es wohl noch einige
große Transparente mit knapp und deutlich formulierten Botschaften mehr
geben müssen. Mit dem ersten Berliner Slutwalk sei sie aber sehr zufrieden.
Diana sagt, dass es bei dieser Art des Feminismus nicht nur um Kleidung
geht, sondern vor allem darum, dass Macht auf Frauen ausgeübt werde, die zu
brechen sei. "Komplimente sind doch viel besser als hinterherpfeifen", sagt
die Gender-Studies-Studentin, und dass an der Zeit sei, Gender-Unterricht
in den Schulen einzuführen.
## Konsens zwischen den Geschlechtern
Nicht nur geht es ihr um anschaulichen Sexualkundeunterricht, sie kann sich
auch "Power-Workshops" für Jungs und Mädchen vorstellen, in denen das Thema
"Konsens" eine wichtige Rolle spielt. Frauen dürften einfach keine Angst
mehr haben, wenn sie nachts auf der Straße Schritte hinter sich hören.
Ein Beispiel staatlicher Ignoranz erlebte sie unlängst selbst, nachts im
Ausgehdistrikt Berlin-Mitte. Als sie und zwei Freundinnen nach mehrfacher
Belästigung durch einen Mann zum Polizeirevier gingen und um Hilfe vor dem
Verfolger baten, fragte eine Polizistin, ob sich die Frauen nicht "ein
anderes Hobby als nachts spazieren gehen" suchen könnten.
Der Slutwalk soll ihrer Meinung nach einen Raum schaffen, damit Menschen
ihren Protest äußern können, dabei sei ganz klar, dass ein Slutwalk in
Indien oder der Türkei nicht aussehen muss wie in den westlichen Ländern.
Candy, 35, ebenfalls Mitorganisatorin, sieht nun endlich die "dritte
Generation" der Frauenbewegung aufziehen, da die Riot-Girl-Bewegung der
neunziger Jahre in Deutschland aufgrund des Aufbruchgefühls der beiden
vereinten deutschen Staaten und der Rave-Generation leider nicht
stattgefunden habeund im "Girlietum" versandet sei.
Ob sie sich vorstellen könne, dass junge Frauen aus dem islamischen
Kulturkreis, die sich ja noch viel direkter mit Kleiderordnungen
auseinandersetzen müssen, auch für Selbstbestimmung auf die Straße gehen?
"Ein schwieriges Thema", findet sie, ebenso wie Diana, denn natürlich seien
verschiedene Kulturen und Religionen zu akzeptieren. Candy würde sich aber
darüber freuen, wenn auch Migrantinnen durch den Slutwalk Lust bekämen, die
eigene Kultur und die Definition der Frau durch die Religion "beginnen
würden zu hinterfragen".
14 Aug 2011
## AUTOREN
Jasna Zajcek
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