# taz.de -- Kolumne Die Farbe Lila: Das ist keine Pipi-Kacka-Geschichte | |
> An der Windelfrage kommt man nicht vorbei, wenn man Nachwuchs erwartet. | |
Keine Pipi-Kacka-Geschichten!, lautet die grundlegende Konversationsregel, | |
die ich mir vor der Geburt des Kindes verordnete. Trotzdem muss das Thema | |
Windeln auf den Tisch. Beziehungsweise das Thema: keine Windeln. | |
Bevor das Kind bei uns einzog, haben wir kurz mal darüber nachgedacht, ob | |
wir es in Baumwollwindeln kleiden sollten. Es erschien uns ökologischer | |
Wahnsinn, zwei Jahre lang jeden Tag fünf bis sieben Windeln in den Müll zu | |
werfen. Aber dann fanden wir heraus, dass auch das ganze Gewasche der | |
Baumwollwindeln nicht so viel umweltfreundlicher ist. Und fanden | |
gleichzeitig die Aussicht wenig attraktiv, täglich mit vollgekackter | |
Baumwolle zu hantieren. Damit waren die Baumwollwindeln aus dem Rennen. | |
Im Onlinebücherladen begegnete mir die Superökolösung: das Buch "Es geht | |
auch ohne Windeln! Der sanfte Weg zur natürlichen Babypflege". Ich las dem | |
Mann die Inhaltsangabe des Buches vor und wir lachten uns gemeinsam kaputt. | |
Funktionieren soll das Ganze nämlich so: Man müsse sein Kind nur genau | |
genug beobachten, dann würden einem veränderte Mimik und Quietschlaute | |
auffallen, die es immer dann mache, bevor es ein kleines oder großes | |
Geschäft abschließe. In diesem Falle halte man das Kind geschwind über die | |
Toilettenschüssel - und spare sich also so die Windel. | |
Ich versuchte mir die vergangenen drei Monate meines Lebens vorzustellen: | |
vor dem Kind hockend, unablässig auf seinen Gesichtsausdruck fixiert und | |
bei jedem neuen Quietschen ins Bad rennend, das Kind am ausgestreckten Arm, | |
Hose runter, übers Klo haltend. Klar, gut definierte Oberarme kriegt man so | |
vermutlich in wenigen Tagen. Aber sonst eher nicht allzu viel auf die | |
Reihe. So ein Kind schließt nämlich viele, sehr sehr viele Geschäfte ab. | |
Noch während wir lachten, rief Freundin P. an und ich erzählte ihr von den | |
Babys, die schon in einem Alter aufs Klo gehen sollen, in dem sie noch | |
nicht einmal den Hauch einer Ahnung haben, was ein Klo überhaupt ist. | |
Freundin P. blieb unerwartet ernst und sagte, das Ganze sei im Moment in | |
den USA der letzte Schrei. | |
Nicht so sehr aus Ökogründen. "Das ist Teil dieses ganzen bescheuerten | |
Zurück-zur-Natur-Booms. Die armen Frauen!" Noch so ein Natur-Trend, der es | |
Frauen wieder ein kleines bisschen schwerer macht, trotz Kind ein halbwegs | |
normales Leben zu führen. Der Stillboom der letzten Jahre war erst der | |
Anfang. Und selbstgekochter Babybrei ist im Vergleich zu der Windelsache | |
nur eine Fingerübung. "Natürlichkeit" und Emanzipation passen manchmal | |
einfach nicht zusammen. | |
Beim Stillen fällt zwar kein Verpackungsmüll an, aber wenn sich Eltern das | |
Füttern teilen wollen, tut es auch die Packerlmilch. Selbstgekochter Brei | |
ist eine gute Idee, aber manchmal ist eine Stunde Freizeit eine noch | |
bessere Idee. Baumwollwindeln sparen Müll, wer aber mehr Pläne hat als | |
Füttern, Schmusen, Wickeln und Waschen, nimmt halt Wergwerfmodelle. Der | |
Nachwuchs wird es einem später nicht danken, dass er "natürlich" aufwachsen | |
durfte und Mutti ihm 24 Stunden des Tages gewidmet hat. Also trägt das Kind | |
jetzt eine Art Kompromiss, der mein Ökogewissen und meinen Freiheitsdrang | |
einigermaßen vereint: Ökowindeln aus Recyclingzellstoff. So viel Öko muss | |
in diesem Fall reichen. | |
14 Aug 2011 | |
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