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# taz.de -- Press-Schlag: Nur der Moment zählt
> Wer einen 23 Jahre alten Fußballspieler heutzutage ein Talent nennt, der
> ist Jahrzehnte zurück im Denken.
Zu den beliebten Debattenspielchen des Fußballs gehört seit ehedem die
Aufzählung erfolgreicher Akteure in anderen Clubs, die einstens bei den
eigenen Lieblingen kickten. Am besten: die aus der Jugend des eigenen
Herzensklubs stammen. Mensch, die noch bei uns, was wäre das ne Mannschaft!
Meisterverdächtig! Frappierend wird es im Blick von unten nach oben, etwa
von Liga zwei nach Liga eins. Beste Versuchsanordnung bietet hier derzeit
Alemannia Aachen: Desasterstart in der Zweiten Liga mit Unfußball -
punktloser Tabellenletzter.
Und wer sorgt für Furore im Oberhaus? Etwa Alemannia-Gewächs Lewis Holtby.
Schnell wurde er Löw-Spieler, wie es längst auch Simon Rolfes ist. Wer gab
die Vorlage zu Holtbys Tor (und zwei weiteren) am Samstag? Marco Höger,
Schalkes Überraschungstransfer. Bei Tabellenführer Mainz wirbelt der neue
Ex-Aachener Zoltan Stieber. Und in Hannover erwacht gerade Jan Schlaudraff
nachhaltig aus seiner Gelegenheits-Lethargie, hinter ihm grätscht die
Konstante Sergio Pinto, es managt der schrullige Jörg Schmadtke.
Wo der Erfolg fehlt, heißt es: Gebt uns Zeit, wir sind (mal wieder) im
Neuaufbau. Etwa auch beim HSV: Klingt gut, sieht aber momentan nach
Desaster aus. Schon murren Arrivierte wie Marcell Jansen, jetzt Reservist:
"Umbruch hin oder her - wir haben auch viele Nationalspieler." Damit meinte
er sich selbst. Ob Jansen den Exhamburger Tunay Torun hätte stoppen können,
der bei Gegner Hertha brillierte und torte? Gern wird das Reset auch mit
einer Systemumstellung verbrämt. Das lässt die Liga gerade über Köln
herzlich lachen. In Wahrheit zählt nichts als der Moment. Bis Samstag waren
die Bayern in schwerer Krise, Schalke kurz davor, Dortmund unstoppbar. Tja.
Besonders gern wird die Jugend gefeiert. Eine Hochrechnung auf die Zukunft
("Lass den mal noch zwei Jahre erfahrener werden") ist grottennaiv.
Manchmal kommt die Wirklichkeit blitzschnell angerobbt - wie bei Mario
Götze, 19: Eben noch wurde er zu Recht gefeiert, sofort mit blöden
Etiketten bepappt wie Mini-Messi oder Weißer Brasilianer und seine tiefe
Stimme bestaunt, als habe man es mit einem Pubertierenden zu tun. Am
Samstag nach mäßiger Performance wurde Götze früh ausgewechselt.
Früher musste man mit U21 noch die Eltern um ein Autogramm zur
Vertragsunterzeichnung bitten, heute gehen 17-Jährige auf monatelange
Weltreise. Wer einen Fußballer heute mit 23 ein Talent nennt, ist
Jahrzehnte zurück im Denken. Wer mit 23 den Spung nicht geschafft hat, ist
meist zu spät dran. Einst mussten Torhüter Hünen sein und routiniert. Heute
fliegen lauter gute Fußwerker U23 durch die Strafräume, mit 26 droht
Arbeitsplatzverlust. In vier Jahren, wenn Aachen gerade den Wiederaufstieg
in die 3. Liga gefeiert hat, wird auch Mario Götze die junge Konkurrenz
schon fürchten gelernt haben.
15 Aug 2011
## AUTOREN
Bernd Müllender
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