# taz.de -- Vegan Einkaufen: Hackbraten ohne Hack | |
> Ein Supermarkt in Prenzlauer Berg zeigt, dass vegane Ernährung nichts mit | |
> Verzicht zu tun haben muss. | |
Bild: Die dicksten Kartoffeln gibt's im veganen Supermarkt nicht unbedingt - ab… | |
Dieser Laden ist der Beweis: Es geht ohne. Fleischsalat ohne Fleisch, | |
Mayonnaise ohne Ei, Hackbraten ohne Hack, Scampi ohne Garnelen. "Wir wollen | |
zeigen, dass Veganismus nichts mit Verzicht zu tun hat", sagt Juliane | |
Kindler, Geschäftsführerin von Veganz. Der vegane Supermarkt hat Ende Juli | |
in der Schivelbeiner Straße in Prenzlauer Berg eröffnet und gehört zu den | |
ersten seiner Art in ganz Europa. | |
Auf 250 Quadratmetern werden nur Produkte verkauft, die auf Tierisches | |
komplett verzichten, auch während der Herstellung. Es gibt weder Fleisch | |
noch Fisch noch Ei, keine Milch und keinen Honig, aber auch keine | |
Apfelsäfte oder Weine, die durch eine Fischblase gefiltert wurde, wie es in | |
manchen Betrieben üblich ist. 6.000 verschiedene Artikel umfasst das | |
Sortiment, von der Tiefkühlpizza über veganes Hundefutter bis hin zu | |
Lippenstiften, die garantiert ohne Tierversuche hergestellt wurden. Das | |
sind fast sechsmal so viele Produkte wie im Angebot eines | |
durchschnittlichen Discounters. | |
"Vor zwei Jahren haben mein Freund und ich angefangen, das heutige | |
Sortiment im Internet zusammenzurecherchieren", erzählt Kindler. Die | |
ausgebildete Sängerin ist selbst Veganerin und hat den veganen Supermarkt | |
als Marktlücke entdeckt. "Wenn man nicht dem Klischee entsprechen und sich | |
nur von Möhren und Äpfeln ernähren möchte, ist die Nahrungssuche sehr | |
zeitaufwändig", sagt sie. Viele tauschten sich im Internet aus, in welchen | |
Supermärkte es vegane Artikel gebe, der Wocheneinkauf werde so zum | |
zeitraubenden Suchen, Studieren und Sammeln. "Wir haben diesen Teil der | |
Arbeit für unsere Kunden übernommen und ein weltweites Netzwerk von | |
Lieferanten aufgebaut, von deren Produkten wir sicher wissen, dass sie | |
nichts mit Tieren zu tun haben." Einige davon kämen zum ersten Mal in | |
Deutschland in den Handel. | |
Auf den ersten Blick unterscheidet sich der Laden nicht sehr von den vielen | |
Biomärkten in der Nachbarschaft. Beim Betreten läuft man auf eine Theke mit | |
Backwaren zu, in der Bagels mit vermeintlichem Wurstbelag neben Sahnetorten | |
liegen. Auch Nachfrage erfährt man, dass die Torten mit aufschlagbarem Soja | |
hergestellt werden, welches durch Meeresalgen die Konsistenz von | |
Schlagsahne erhält. | |
Das große Gemüseregal mit saisonalen Produkten aus der Region ist für | |
Biomarkt-Erprobte keine Überraschung, ebenso wenig wie die große Auswahl an | |
Gemüsepasten, die man statt Leberwurst aufs Brot schmiert. Im Kühlregal | |
liegen jedoch Würste und Käse auf der Grundlage von Soja oder Weizeneiweiß, | |
und die Milch im Milchregal kommt nicht von der Kuh, sondern wird aus Reis, | |
Dinkel, Hafer oder Gerste hergestellt. | |
"Wir wollen den Veganismus aus seiner Nische herausholen", sagt Kindler. | |
Daher sei es wichtig, dass der Laden wie ein normaler Supermarkt aussehe | |
und die Produkte modern designt seien. Wer auf tierische Produkte | |
verzichte, sei eben nicht zwangsläufig ein weltfremder Öko, das wolle man | |
zeigen. "In Berlin gibt es 9.000 Veganer - das sind nicht alles Punks und | |
radikale Linke." | |
Einer der 9.000 ist Michael Gräser. Der hagere Mann mit der braunen | |
Schürze, auf der das grüne Veganz-Logo prangt, war selbstständiger | |
Webdesigner, bevor er beim veganen Supermarkt das Marketing übernahm. Als | |
Rohköstler hat er noch strengere Nahrungsregeln: Er isst nichts, was über | |
42 Grad erhitzt wurde. "Das bewusste Essen trifft den Nerv der Zeit", meint | |
Gräser. Zum Rohköstlertum sei er mit der Geburt seines ersten Kindes | |
gekommen. "Man wird sich plötzlich bewusst, wie wichtig gute, gesunde und | |
nachhaltige Ernährung ist." Auch seine Frau und die beiden kleinen Kinder | |
ernährten sich überwiegend als Rohköstler: "Wenn man weiß, wie es geht, | |
bekommt man keine Mangelerscheinungen." Lebensmittel bezeichnet der junge | |
Mann als "Vitalmittel": "Sie sind mehr als reine Mittel zum Leben." Daher | |
sei es ihm auch wichtig, dass seine Nahrung auch biologisch und ohne | |
Gentechnik angebaut sowie fair gehandelt sei. | |
"Wer vegan lebt, dem sind Nachhaltigkeit und ökologische Verträglichkeit | |
wichtig", sagt Gräser. Folgerichtig erfüllten auch die Produkte des | |
Supermarktes diese Kriterien - soweit das möglich sei. Die Preise lägen | |
dadurch deutlich über dem Niveau herkömmlicher Läden, aber das seien die | |
Kunden ja schon aus dem Bioladen gewohnt. | |
Sogar für ganz spezielle Esser wie Michael Gräser gibt es im veganen | |
Supermarkt eine eigene Ecke mit Produkten, die nicht stark erhitzt wurden. | |
Auch an Menschen, die sich ihre eingeschränkte Nahrungsauswahl nicht selbst | |
ausgesucht haben, sondern unter Allergien leiden, wurde gedacht: Über jedem | |
Preisschild prangt eine kleine Hinweistafel, auf der Symbole auf den ersten | |
Blick ersichtlich machen, ob ein Produkt Nüsse, Soja oder Weizen enthält. | |
Das lange Studieren von Inhaltslisten wird einem so erspart. Nur wer gerne | |
mal ein Bier trinkt, geht völlig leer aus, Alkohol sucht man vergebens. | |
"Bei uns geht es um Gesundheit, da gehört dieser Verzicht mit zur | |
Philosophie", sagt Gräser. | |
Der Laden in Prenzlauer Berg ist erst der Anfang. Noch in diesem Jahr | |
sollen zwei weitere Standorte in Friedrichshain und Leipzig folgen, bis | |
2013 sind 20 Filialen in ganz Deutschland geplant. "Das Ganze ist auf ein | |
Filialsystem ausgelegt", erklärt Juliane Kindler. Da viele der importierten | |
Produkte containerweise abgenommen werden müssten, würde sich das sonst | |
nicht lohnen. "Derzeit brauchen wir zwei große Zwischenlager." | |
Noch sind direkt neben dem Supermarkt Gewerbeflächen frei. Dort sollen bald | |
ein veganer Schuhladen und eine Showküche einziehen. "Wir wünschen uns, | |
dass ein Zentrum entsteht, wo die Leute sich über Gesundheit und Veganismus | |
informieren und austauschen können", sagt Kindler. Um zu testen, ob das | |
funktioniere, dafür sei ein Ökokiez wie Prenzlauer Berg natürlich ein guter | |
Standort. | |
Dabei sind es nicht nur die gut gekleideten Menschen mit den teuren | |
Kinderwagen, die sich durch die Gänge des Marktes schieben. Auch ein | |
Rentnerpaar hat sich hierherverirrt. "Guck mal, Sprühsahne", sagt die alte | |
Dame zu ihrem Mann mit der praktischen beigen Weste. "Die bekommen wir beim | |
Penny viel billiger", erwidert der. Stattdessen legt er eine Sojasalami in | |
den Korb neben die Rohköstler-Kekse, die bei maximal 42 Grad getrocknet | |
wurden. Wissen die beiden, was es mit diesen speziellen Produkten auf sich | |
hat? "Die sind vegan. Ob das trotzdem schmeckt, das wollen wir jetzt mal | |
ausprobieren." | |
15 Aug 2011 | |
## AUTOREN | |
Juliane Wiedemeier | |
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