| # taz.de -- 3sat-Doku über Putsch gegen Gorbatschow: Nichts bereuen | |
| > 3sat bringt einen sehenswerten Film über den Moskauer Augustputsch des | |
| > Jahres 1991. Auch die Putschisten kommen zu Wort und haben sich dafür in | |
| > Schale geschmissen. | |
| Bild: Überstand den Putschversuch und verlor die Macht: Michail Gorbatschow. | |
| BERLIN taz | Es gibt diese historischen Augenblicke, in denen die ganze | |
| Welt den Atem anhält. Der Mauerbau in den Tagen ab dem 13. August 1961 war | |
| so ein Moment oder die 13 Tage der Kubakrise im Oktober 1962. Oder der | |
| Augustputsch in Moskau, der sich genau jetzt zum fünfundzwanzigsten Mal | |
| jährt. | |
| Zwischen dem 18. und 21. August 1991 setzte eine Gruppe allerhöchster | |
| KPdSU-Funktionäre den Staatspräsidenten Michail Gorbatschow in seiner | |
| Urlaubsvilla am Schwarzen Meer fest, um mit dem letzten Mittel des | |
| Staatsstreichs die dahinsiechende, erodierende gute alte Sowjetunion noch | |
| zu retten. Sie hatten also nur die besten Absichten und wurden deshalb | |
| später alle begnadigt. | |
| Später, nachdem Panzer aufgefahren und Moskaus Innenstadt belagert hatten. | |
| Nachdem sie nur Warnschüsse abgefeuert und doch drei junge Männer getötet | |
| hatten. Nachdem die Hardliner ihre Elitesoldaten erst hatten anrücken | |
| lassen, dann aber vor der Erteilung des Schießbefehls auf das eigene Volk | |
| zurückgeschreckt waren. | |
| Nachdem insbesondere die Deutschen sehr froh gewesen waren, dass sie ihre | |
| Einheit gerade vorher noch unumkehrbar unter Dach und Fach gebracht hatten. | |
| Nachdem Boris Jelzins große Stunde geschlagen hatte und Gorbatschow | |
| standhaft geblieben war. Nachdem Gorbatschow am Ende ebenso verloren hatte | |
| wie die Putschisten, aber deutlich mehr Zeit brauchte als diese, um das | |
| auch zu begreifen. | |
| Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod – und für Printjournalisten bedeutet es | |
| immer eine kleine Genugtuung, wenn sie Filmjournalisten Nachlässigkeiten im | |
| Umgang mit der Sprache nachweisen können. So heißt es in dem Film, den 3sat | |
| heute anlässlich des Jubiläums zeigt: „Es rollen mehr Panzer und | |
| Militärfahrzeuge in Moskau ein als bei der Einnahme Berlins 1945.“ Logisch, | |
| warum sollten damals auch Panzer in Moskau eingerollt sein – wenn die doch | |
| alle in Berlin gebraucht wurden. | |
| Unterm Strich aber bleibt der verzeihliche Patzer das Einzige, was es an | |
| dem dokumentarischen Film, von dem der Pressetext behauptet, dass er sich | |
| „erstmals ausführlich“ mit jenen Ereignissen befasst, auszusetzen gibt. | |
| Ignaz Lozo moderiert seine dreiviertelstündige Collage aus Archivbildern | |
| und O-Tönen mit einem nur etwas pathetischen und gelegentlich reißerischen | |
| Off-Kommentar. | |
| ## Interessant sind vor allem die Äußerungen der Putschisten selbst | |
| Beeindruckend ist schon die schiere Zahl an Interviews, die Lozo | |
| zusammengetragen hat. Interviews mit alten Männern, deren Beschreibung in | |
| den Bauchbinden ausnahmslos mit der Abbreviatur „ehem.“ oder mit dem Wort | |
| „damals“ beginnt. Es kommen etwa Rudolf Seiters – „ehem. Chef des | |
| Bundeskanzleramtes“ – und Gerd Ruge – „damals ARD-Studioleiter in Moska… | |
| zu Wort. Und natürlich Michail Gorbatschow – „ehem. Staatspräsident der | |
| Sowjetunion“. | |
| Vor allem aber äußern sich, und da wird es spannend, die Putschisten | |
| selbst, sie haben sich für die Interviews noch einmal in ihre schicksten | |
| Paradeuniformen werfen dürfen: der „ehem. Verteidigungsminister“, sein | |
| „ehem. Stellvertreter“, der „ehem. KGB-Chef“, der „ehem. Chef der | |
| Rüstungsindustrie“ und einige mehr. | |
| Interessant ist, dass sie ihre Verschwörung offenbar nie bereut haben und | |
| das auch nicht mussten. Dass sie zudem Gorbatschow zwar für führungsschwach | |
| hielten, sich aber bei ihrem Vorgehen gleichwohl von ihm ermutigt sahen. Um | |
| dann von seiner mangelnden Kooperationsbereitschaft ebenso überrascht | |
| worden zu sein wie von der Konsequenz des zivilen Widerstandes auf der | |
| Straße. | |
| Und weil sich das alles in Russland abspielte, darf Gawril Popow, der zu | |
| den am Ende reüssierenden Leuten Jelzins zählende „ehem. Moskauer | |
| Bürgermeister“, auch noch ein anrührendes Geschichtchen aus jenen Tagen | |
| erzählen: „Ein Junge kam zu uns ins Weiße Haus und bat uns, ihm eine Waffe | |
| zu geben. Wir sagten zu ihm, du bist zu klein, geh wieder heim! Das kann | |
| ich nicht, erwiderte er. Warum nicht? Meine Oma hat mich geschickt. Sie | |
| sagte, Opa ist im Krieg gefallen, dein Vater ist auch tot, jetzt bist nur | |
| noch du da. Geh und kämpfe!“ | |
| 19 Aug 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Jens Müller | |
| ## TAGS | |
| Michail Gorbatschow | |
| Russland | |
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