Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Solo-Pauker und Schmetterlingssammler: B-UM, B-UM, B-UM
> Rainer Seegers lebt für Pauke und Schmetterlinge. Die eine schlägt er bei
> den Berliner Philharmonikern, die anderen sammelt er. 150.000 Exemplare
> bewahrt er auf.
Bild: Neben den Pauken gehören Schmetterlinge zu den Leidenschaften von Rainer…
Sie sind wieder da. Zitronenfalter, Tagpfauenaugen, mehrere Kleine Füchse.
Und Rainer Seegers freut sich darüber an diesem heißen Sommertag in
Berlin-Zehlendorf. Und die Pauken sind weit weg. Pauken? Ja, um die geht es
auch. Kesselpauken, die Krach machen können wie startende Flugzeuge. Es
sind die beiden Leidenschaften von Rainer Seegers, in dessen grün
wucherndem Garten wir uns treffen: flirrende Schmetterlinge, bunt
schillernd und - die allermeisten Arten - ganz leicht und leise, und seine
Pauken.
Seegers schlägt sie mit einer Könnerschaft, die es selten gibt. Er ist seit
1986 Solopauker der Berliner Philharmoniker, im Orchester immer ganz oben
sitzend, für alle sichtbar und - wenn er dran ist - deutlich hörbar. Ein
Spitzenmusiker, der schon unter Karajan spielte und dem der Beruf so ans
Herz gewachsen ist, dass er es bis auf sein Autonummernschild geschafft
hat: B-UM.
An anderen Tagen streift er durchs Land, um Falter zu sehen. Die
vergangenen Wochen saß er nächtelang am Beetzsee in Brandenburg im Schein
einer Leuchte, Nachtfalter beobachten. Er hat dort 500 Arten gezählt, eine
sagenhafte Vielfalt. Zwei Gegenden wurden auf seine Initiative zu
Naturschutzgebieten, weil er dort seltene Arten nachweisen konnte.
Mehrere Nachtfalterarten sind nach ihm benannt. Er träumt von einem
Schmetterlingshaus mitten im Berliner Tiergarten, in dem Besucher durch die
bunte Vielfalt laufen könnten. Das Konzept liegt in der Schublade, doch der
Stadt fehlt das Geld. Seine Sammlung hat er in eine Stiftung umgewandelt,
deren Trägerin das Berliner Museum für Naturkunde ist.
Ganz laut und sehr leise, stark und fein kommen also im Leben von Rainer
Seegers zusammen.
Wobei ihm eben nur die Leisen ins Haus kommen, die denkbar Leisesten: Sie
sind tot, aufgespießt auf Stecknadeln, nach Arten sortiert in flachen
Holzkästen mit Glasscheibe an der Unter- und der Oberseite. 150.000
Exemplare bewahrt Seegers so unter dem Dach auf, wo es trocken und warm
ist, genau richtig für die Falterwesen, die empfindsam sind, lange über den
Tod hinaus.
Würden sie feucht, sagt er, faulen sie weg. Und dunkel muss es sein, um die
Farbpigmente zu bewahren. Das Schillernde verblasst sonst. Den kleinsten
Teil der Sammlung hat er selbst gefangen. Musikfreunde, sagt er, sind oft
Leute mit so skurrilen Hobbies, und so tauscht er, wenn die Philharmoniker
auf Tour in Asien sind, Konzertkarten gegen Schmetterlinge.
Auch dadurch ist seine Sammlung groß geworden, "ich war längst nicht in all
den Ländern, aus denen das Material stammt". Material, sagt er, aber das
ist zärtlich gemeint.
## Geübt wird nicht zu Haus
"Die Pauken kommen mir nicht ins Haus", sagt er. Die stehen in der
Philharmonie, dort haben sie Übungsräume, da spielt er sich ein, trainiert
die Muskeln, schlägt ordentlich drauf, stopft die Ohren mit Pfropfen zu,
weil auch ihm das dann zu laut ist. Dort werden Arme, Hände und Schlegel
eins. Hände, die fein sind und ebenso gut eine Pinzette führen können, die
er braucht, um die Falter in seine Sammlung zu sortieren.
Seegers ist ein schmaler Mann, über seine Oberlippe hat sich das selten
gewordene Exemplar eines Schnauzbarts gelegt. Er hat wache Augen, die immer
mal wieder abschweifen, weil gerade ein Schmetterling vorbeifliegt. Sie
sehen ganz genau zu, wenn sich einer auf den von der Sonne erwärmten
Holztisch setzt. "Die Füchse", sagt er, "sind noch sehr frisch." Die Flügel
haben kaum Zacken an den Rändern, die Farben sehen aus, wie gerade erst
draufgemalt.
Er kann voller Leidenschaft von diesen kleinen Tieren und von der Musik
erzählen, und man merkt dann, dass das - auf den ersten Blick - Trennende
gar nicht das Bestimmende dieser Leidenschaften ist. Beides hat viel
miteinander zu tun.
## Stille Ruhephasen
Das Laute und das Leise. Er braucht die Stille in seinem Beruf, einen
Ausgleich. Acht Stunden dauert es, bis sich das Gehör von dem Lärm erholt
hat, der ihn in Konzerten umgibt. Vor allem, wenn sie mit einem Chor
auftreten und hinter ihm die Soprane stehen. Seine Ohrenärztin hat ihm ein
gutes Gehör bescheinigt. Das ist recht selten für einen, der seit über
fünfundzwanzig Jahren im Orchester sitzt.
Dann ist da das Sensible, das die Schmetterlinge und die Pauken verbindet.
Mit Kalbsfellen sind die Instrumente bezogen, die reagieren sofort auf
Temperaturschwankungen. "Wenn die Klimaanlage anspringt, gehen sie sofort
einen Viertelton höher", sagt er.
Er muss dann schnell reagieren und mit dem Pedal nachregeln. Sonst gerät
das ganze große Gefüge Orchester auseinander. Wie die Schmetterlinge: So
sensibel, dass sie auf jede Veränderung ihres Lebensraums reagieren. Nur
dass sie nicht nachregeln, sondern einfach verschwinden.
## Sprachloses Staunen
Es fasziniert ihn, wenn er auf einer Wiese voller Reichtum steht,
umschwirrt von Schmetterlingen, "wenn man den Mund zumachen muss, weil da
so viel los ist". Er ist dann sprachlos - genauso wie nach einem Konzert,
das die Zuhörer spürbar ergreift. Nach Mahlers 9. Symphonie oder dem
letzten Satz von Busonis "Pini di Roma". Da nähert sich auf der Via Appia
ein Konsul mit seinem Heer, "mehrere Minuten dynamische Steigerung bis zu:
Es tut weh."
Bei seiner ersten Japanreise mit den Philharmonikern Mitte der Achtziger
hat er das erlebt, 1.800 Menschen in Osaka schweigen. Durch die Musik. "Für
diese Momente lebe ich", sagt Seegers. Still auf der Wiese stehen und im
Lärm des Konzertsaals sitzen. "Da wird ganz ohne Worte kommuniziert, die
innersten Gefühle werden angesprochen", er empfindet dann "Hochachtung für
das, was um einen herum und mit einem selbst passiert".
Ganz selten kommt Seegers wegen seiner beiden Leidenschaften in Bedrängnis.
Er geht ihnen ja für gewöhnlich an ganz verschiedenen Orten nach. Nur beim
alljährlichen Waldbühnenkonzert der Philharmoniker könnte es schwierig
werden. Da muss er pauken, einerseits. Andererseits wird es dunkel sein,
Schweinwerfer werden leuchten. Nachtfalter werden kommen.
19 Aug 2011
## AUTOREN
Felix Zimmermann
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.