# taz.de -- Berlin vor der Wahl: Groß gedacht, schlecht gemacht | |
> Die BIG-Partei will in die Bezirksparlamente einziehen. Auf ihrem | |
> Programm steht die kulturelle Vielfalt. Beim Thema Sexualität ist die | |
> aber alles andere als erwünscht. | |
Bild: Für Vielfalt nach eigener Definition: Die Kleinpartei BIG. | |
Wie Spatzen auf der Leitung drängen sich die Plakate der BIG-Partei an der | |
Ecke Hermannplatz/Sonnenallee am Zaun des Grünstreifens aneinander. Zwölf | |
Stück sind es, unterbrochen nur von einem zerfledderten Plakat der | |
Linkspartei und dreien der PSG, der trotzkistischen Partei für soziale | |
Gleichheit, die für eine Gesellschaft ohne Rassismus wirbt. Die BIG-Plakate | |
harmonieren inhaltlich gut mit ihren Nachbarinnen: "Mut zur Vielfalt" | |
wünschen sich drei fröhliche Kinder auf einigen von ihnen, auf anderen | |
posiert ein ernst blickender Direktkandidat mit türkischem Namen. "Nein zu | |
Sarazzin" [sic!] steht quer über seiner Brust. | |
An der Bushaltestelle gegenüber warten Menschen, die zu den potenziellen | |
Adressaten gehören, denen Ex-Finanzsenator Thilo Sarrazin in seinem | |
rassistischen Manifest pauschal rationale Fähigkeiten abspricht. Auf | |
Nachfrage reagieren die meisten jedoch irritiert, die Plakate haben sie | |
noch nie wahrgenommen. "BIG-Partei? Kenne ich nicht", ist zu hören. | |
Die mangelnde Bekanntheit der Partei mag ihrer sehr jungen Existenz | |
geschuldet sein: Gegründet wurde das Bündnis für Innovation und | |
Gerechtigkeit im März 2010 durch den Zusammenschluss von drei regionalen | |
Wählervereinigungen. Seither trat BIG bei den Landtagswahlen in NRW, | |
Baden-Württemberg und Hamburg an und erreichte einmal 0,2 und zweimal 0,1 | |
Prozent der Stimmen. | |
Vorderstes Ziel der Partei ist es laut ihrem Wahlprogramm, der | |
multikulturellen Gesellschaft gerecht zu werden und allen Menschen | |
Gleichbehandlung zu ermöglichen. Auf ihren Listen kandidieren fast | |
ausschließlich Menschen mit Migrationshintergrund, so wie Selçuk Saydam. | |
Der gelernte Bäcker türkischer Herkunft engagierte sich zunächst in einer | |
Weddinger Moscheegemeinde, bis er auf die BIG-Partei stieß und dort schnell | |
zum Bezirksvorsitzenden von Mitte aufstieg. Doch warum engagiert sich | |
Saydam nicht in einer der klassischen Parteien? "Ich wollte einfach, dass | |
mein Werteverständnis akzeptiert wird - Beten und Fasten kommt nicht | |
überall gut an", sagt der praktizierende Muslim. Saydam legt jedoch Wert | |
darauf, dass die BIG-Partei allen offensteht, selbstverständlich auch | |
Nichtgläubigen jeder Herkunft: "Wichtig ist uns nur, dass sich alle | |
gegenseitig respektieren und dass Verschiedenheit anerkannt wird." Das ist | |
scheinbar noch nicht zu jedem durchgedrungen, auf den Berliner Wahllisten | |
stehen ausschließlich türkisch- und arabischstämmige Männer. | |
Vielfältig ist hingegen das Wahlprogramm, das wie eine bunte Mischung aus | |
linken und rechtskonservativen Positionen wirkt. Neben der Forderung nach | |
besseren Integrationsmaßnahmen finden sich dort Plädoyers für ein längeres | |
gemeinsames Lernen und den Ausbau regenerativer Energien. An anderer Stelle | |
wird die Familie, ausdrücklich verstanden als Zusammenschluss von Mann und | |
Frau, zur Grundlage der gesellschaftlichen Ordnung erhoben, und zum Thema | |
innere Sicherheit schreibt die Partei: "BIG sieht die Notwendigkeit | |
strenger Gesetze […] und fordert deren vorurteilsfreie konsequente | |
Umsetzung." | |
Als "realpolitisch" wird dieses Konglomerat von Standpunkten bezeichnet, | |
Saydam hingegen nennt die Ausrichtung seiner Partei | |
konservativ-werteorientiert. "Ordnung und Sicherheit sind uns wichtig", | |
betont er. Dennoch ist er nicht glücklich über den neuen Flyer seiner | |
Partei, auf dem gegen die Einführung eines "Schulfachs Schwul" gewettert | |
wird. Diese Polemik gegen die "Initiative Sexuelle Vielfalt" des Berliner | |
Senats wirft die Frage auf, ob die von der BIG-Partei eingeforderte | |
Gleichbehandlung nur für Heterosexuelle gelten soll. Saydam bestreitet | |
dies: Die harsche Wortwahl sei dem Wahlkampf geschuldet, prinzipiell würden | |
Homosexuelle bei BIG jedoch respektiert. | |
Für die anstehenden Wahlen am 18. September hoffe die Partei auf einige | |
Plätze in den Bezirksverordnetenversammlungen, sagt Saydam. Der Einzug ins | |
Abgeordnetenhaus gilt als langfristiges Ziel. In zwei Jahren allerdings | |
will die BIG-Partei auf die große Bühne und zur Bundestagswahl antreten. | |
Getreu ihrem Slogan: "Think BIG!" | |
23 Aug 2011 | |
## AUTOREN | |
Helen Keller | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Wahlen in Berlin | |
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