# taz.de -- Digitaler Datenschutz in Kanada: Privatsphäre? Überbewertet! | |
> In Kanada möchte die konservative Regierung künftig ohne richterlichen | |
> Beschluss auf private Online-Daten zugreifen. Und im Zweifel auch ohne | |
> Verdachtsmoment. | |
Bild: "Wir wissen, wo du um 07:41 gewesen bist" - zwar nicht mehr fürs Jahr 20… | |
Wer dem kanadischen Ministerpräsidenten im Netz folgen möchte, hat leichtes | |
Spiel. Stephen Harper ist überall – ganz professioneller Politiker. Auf | |
Facebook, Twitter und Google+ wirbt Harper für sich, über YouTube und | |
Flickr können die schönsten PR-Maßnahmen bewundert werden. | |
Doch Harper sollte darauf achten, nie mit den staatlichen Behörden in | |
Konflikt zu geraten. Denn geht es nach seinen eigenen Plänen, sollen die | |
Spuren, die Bürger online hinterlassen, künftig ohne große Hürden von | |
Ermittlern verfolgt, überwacht und gesammelt werden können. Auch ohne | |
konkrete Verdachtsmomente. | |
Als Harper im Mai 2011 die Parlamentswahlen in Kanada mit einer stabilen | |
Mehrheit gewann, versprach seine Konservative Partei innerhalb von 100 | |
Tagen ein allgemeines Gesetzespaket zur Abstimmung zu bringen. Darin | |
enthalten: drei Gesetze, die den Schutz digitaler Daten massiv schwächen | |
würden. Die Pläne gibt es schon länger, bis dato wurden die Gesetze aber | |
noch nicht umgesetzt. | |
## Offener Brief | |
Nun nähert sich die 100-Tage-Frist ihrem Ende, das Parlament kommt ab | |
September wieder zusammen. Da bleibt keine Zeit für eine ordentliche | |
Anhörung und Diskussion der diversen, in einem Gesetz versteckten | |
Maßnahmen. Datenschützer fürchten, dass das Paket unauffällig durchgewunken | |
werden soll. Anfang August schickten kanadische Akademiker, | |
Watchdog-Gruppen und andere Unterzeichner daher einen | |
[1][//www.documentcloud.org/documents/230754-letter-to-harper-re-lawful%20a | |
ccess.html:offenen Brief] an Ministerpräsident Harper, um auf die | |
Missstände der geplanten Gesetze aufmerksam zu machen. | |
Die Datenschützer kritisieren vor allem Verstöße gegen das fundamentale | |
Recht auf Privatsphäre. Wird das Gesetz verabschiedet, sollen Behörden in | |
bestimmten Fällen ohne richterliche Erlaubnis Daten über Personen von | |
Internet-Providern anfordern dürfen. Dazu gehören nicht nur Name, Adresse, | |
Telefonnummer oder IP-Adrese, sondern auch die Standortermittlung über | |
Handys und GPS-Geräte sowie Fotos oder Kommentare in sozialen Netzwerken, | |
die getagged wurden. Bisher kann der Zugriff der Behörden auf persönliche | |
Nutzerdaten nur mit Hilfe einer juristischen Legitimation erfolgen. | |
"Strafverfolgunsbehörden werden viel freiere Hand haben, das Privatleben | |
der Kanadier auszuspionieren", kritisiert Kolumnist Lawrence Martin in The | |
Globe & Mail. | |
Darüber hinaus sollen Unternehmen die Daten über Nutzer länger speichern, | |
wenn eine Behörde das möchte – ebenfalls ohne richterlichen Beschluss. Das | |
Watchdog-Gruppe [2]["Open media.ca"], die den offenen Brief unterzeichnet | |
hat, hat im Zusammenhang mit den geplanten Gesetzen den Aufruf [3]["Stop | |
Online Spying"] ("Stoppt Online-Spionage") gestartet. Knapp 46.000 Kanadier | |
haben bisher unterschrieben, um ihrem Protest gegen die geplanten | |
Änderungen zu demonstrieren. | |
## "Gruseliges Spionage-Modell" | |
Darüber hinaus stoßen die geplanten Maßnahmen in der eigenen Regierung auf | |
Kritik. Die nationale Datenschutzbeauftragte Jennifer Stoddart hat | |
gemeinsam mit regionalen Datenschutzbehörden bereits im März [4][einen | |
Brief] ans Ministerium für Öffentliche Sicherheit in Kanda geschrieben. | |
"Zusammengenommen würden die Gesetze … die Privatrechte der Kanadier | |
substanziell schwächen", schreibt Stoddart. Die Gesetzesänderungen würden | |
Ermittlern mehr Macht geben, um digitale Informationen zu verfolgen, zu | |
suchen und in Besitz zu nehmen. | |
Das alles, so kritisieren Stoddart sowie Datenschützer, würde darüber | |
hinaus nicht mit einer verstärkten unabhängigen Kontrolle der Behörden | |
einhergehen. "Mit derartigen Bedenken über dieses gruselige Spionage-Modell | |
muss die Regierung erkennen, wie problematisch ihre Pläne sind", sagt Tamir | |
Israel, Anwalt an der "Samuelson-Glushko Canadian Internet Policy & Public | |
Interest Clinic" auf "Open media.ca". Israel hofft, dass die Regierung noch | |
einmal umdenkt – oder wenigstens mehr Zeit einräumt für eine ordentliche | |
Anhörung im Parlament. | |
Doch das scheint unwahrscheinlich. Ministerpräsident Harper selbst hat noch | |
nicht auf den offenen Brief reagiert. Ein Sprecher des Justizminister Rob | |
Nicholson versicherte dem staatlichen kanadischen Rundfunk CBC, Klauseln | |
zum Schutz der Privatsphäre würden natürlich Bestandteil der Gesetze sein. | |
Darüber hinaus sei es Aufgabe des Gesetzgebers, mit dem Fortschritt der | |
Technologie mitzuhalten, "um die Sicherheit der Kanadier zu schützen". | |
Kommt es zur Abstimmung über das Gesetzespaket, können die Konservativen | |
diese Sicherheit mit ihrer Stimmenmehrheit von 166 von 308 Sitzen | |
gewährleisten. | |
24 Aug 2011 | |
## LINKS | |
[1] http://(http | |
[2] http://www.stopspying.ca/ | |
[3] http://www.stopspying.ca/ | |
[4] http://www.priv.gc.ca/media/nr-c/2011/let_110309_e.cfm) | |
## AUTOREN | |
Rieke Havertz | |
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