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# taz.de -- Linkspartei in Wilhelmshaven: Verschwörung gegen Komplott
> Zwischen SPD und Antifa, Ex-Nazis und Sarrazin: In Wilhelmshaven reibt
> sich die Linkspartei in internen Querelen auf. Dabei geht es nicht um
> inhaltliche Differenzen, sondern um persönliche Intrigen.
Bild: Matrosenaufstand 1918 - Wilhelmshaven ist eine Stadt mit linker Tradition.
Es wird nichts. Es kann gar nichts werden. Wilhelmshaven hätte alle
Voraussetzungen, eine Hochburg der Linkspartei zu sein. Eine Stadt mit
linker Geschichte: 1918 begann hier der Matrosenaufstand, der Anfang vom
Ende der deutschen Monarchie. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg war die KPD
hier stark: Bis zum Verbot 1956 erzielte sie Ergebnisse nahe zehn Prozent.
Es gibt das Potenzial hier. Es gäbe die nötigen Leutchen. Und die
Sozialstruktur: Jeder Zehnte lebt von Hartz IV.
Wilhelmshaven ist eine der Städte, in denen sich die Zukunft der
Linkspartei im Westen entscheidet. Der niedersächsische Parteichef Manfred
Sohn weiß das: "Wilhelmshaven ist einer der wichtigsten Kreisverbände für
uns", sagt er, "nicht nur historisch." Bei den letzten Wahlen holte die
Linke um die zehn Prozent.
Doch nun hat sich der Kreisverband zerlegt, der Vorstand ist nur noch
kommissarisch im Amt. Zahlreiche Mitglieder haben die Partei verlassen und
erheben Vorwürfe gegen die neue örtliche Parteispitze: "Rechtspopulisten",
"Frauenfeinde" und "Ex-Nazis" hätten die "Macht ergriffen". Und das alles
jetzt, vor den Kommunalwahlen am 11. September. Es ist ein Trauerspiel -
oder eine Lachnummer.
Von etwa 80 Mitgliedern des Kreisverbands verließen in den letzten Wochen
elf die Linkspartei, sagt zumindest Ralph Herrmann, derzeitiger Sprecher
des Kreisverbandes und seit Februar im neuen Parteivorstand. Der wurde
nicht satzungsgemäß gewählt. "Völlig untertrieben" nennt das Annette
Nowack, die zuvor im Vorstand war. Nowack hat mittlerweile selbst das
Parteibuch abgegeben.
Etwa 20 Leute kenne sie, die es ihr gleich getan hätten. "Keine
Karteileichen", sagt sie, "das waren engagierte Mitglieder." Die
Aktivitäten in der Partei hätten sich halbiert. Viele haben offenbar das
sinkende Schiff fluchtartig verlassen. "Ich will nicht die Letzte sein, die
austritt", schrieb ein ehemaliges Vorstandsmitglied im Wilhelmshavener
Gegenwind. Die linke Monatszeitschrift wurde vor über 30 Jahren gegründet,
um Gegenöffentlichkeit zu schaffen. Auch in deren Redaktion ist die
Linkspartei abgeschrieben.
Über die Zahl der Austritte herrscht Uneinigkeit, über die Gründe
Unklarheit. "Es ist nichts inhaltliches", sagt Herrmann. Das ist wohl das
Einzige, worin er sich mit seiner Vorgängerin Nowack einig ist. Doch woran
liegt die Misere dann? Am "undemokratischen" Stil der einen, heißt es hier,
an zu wenig "basisdemokratischem Verständnis" der anderen, dort.
Die einen, das ist die Gruppe um den ehemaligen Vorstand mit Annette
Nowack. Die anderen, das sind Ralph Herrmann und der neue Vorstand. Nach
monatelangen Streitigkeiten wurde auf einer außerordentlichen
Mitgliederversammlung im Februar der Wechsel vollzogen. Landesparteichef
Sohn kam dafür eigens aus Hannover, mit Landesgeschäftsführerin Maren
Kaminski im Schlepptau. Angereist waren sie, um endlich für Ruhe im
Kreisverband zu sorgen. Doch geholfen hat es nicht.
Die Versammlung sei ungewöhnlich voll gewesen, sagt Sohn. Beide Seiten
hätten einander Vorwürfe gemacht. Eine knappe Mehrheit stimmte für ein
Misstrauensvotum gegen den alten Vorstand. "So was ist nie so richtig
schön", sagt Sohn.
Doch danach wurde es noch unschöner. Vor der Landesschiedsstelle legte der
alte Vorstand Beschwerde ein, es seien Formalien nicht eingehalten worden.
Der Kreisverband, nicht die Landesgeschäftsführerin hätte zur Versammlung
einladen müssen.
Dabei habe Nowack die Landesführung darum gebeten, sagt Manfred Sohn. Sie
habe lediglich den Raum organisiert, sagt hingegen Nowack, und das nur als
Privatperson. Die Landesschiedsstelle gab ihr recht. Es war der letzter
Hieb gegen die parteiinternen Feinde. Wenig später sind die alten Vorstände
und ihre UnterstützerInnen aus der Linken ausgetreten. Zur Kommunalwahl
treten viele auf einer freien Wählerliste an.
"Ein Komplott", sagen die einen. Noch im Amt habe der alte Vorstand die
zukünftige Kandidatur auf der Wählerliste vorbereitet, so
Landesgeschäftsführerin Maren Kaminski. Die Schwächung des Kreisverbandes -
ein Schachzug, von langer Hand geplant?
Seinen Anfang nahm alles, als 2009 nach der Bundestagswahl sechs
SozialdemokratInnen in die Linkspartei wechselten. Darüber waren zuerst
alle froh. Sie hatten Erfahrung in der Wilhelmshavener Politik. Sie kannten
sich aus in der lokalen Wirtschaftslage.
Bald darauf wurden zwei von ihnen in den neunköpfigen Vorstand gewählt.
Doch, sagt Ralph Herrmann, hätten sie die bis dahin geübte Basisdemokratie
durch autoritären Stil ersetzt. "Mitgliedern wurde auf Treffen das
Rederecht entzogen, Geheimsitzungen abgehalten und Mitgliederlisten
manipuliert", sagt er. "Alles Quatsch" sagt Annette Nowack. Die Listen
seien um nicht-zahlende Mitglieder bereinigt worden. Nur wenn es um
persönliche Daten ging, seien Treffen nicht öffentlich gewesen. Mit der
anderen Gruppe um den neuen Vorstand hingegen gingen Intransparenz und
Heimlichtuereien einher.
Im Frühjahr 2010 verließ unter anderem Ratsmitglied Johann Janssen den
Vorstand. Um ihn bildete sich eine "Fraktion", die sich fortan im
"Epizentrum" traf. Ein abrissreifes Haus, in dem ein autonomes Pärchen
einen "selbstverwalteten politischen Aktionsraum" betreibt. Oder betreiben
möchte, denn dort sei nicht viel los, heißt es. Sektenartig sei das
gewesen, sagt Nowack. Wer mal nicht kam, sei gleich angerufen worden.
Mit dem "Epizentrum" hat das Antifa-Café Oldenburg ein Problem. Im August
2010 warnte es auf dem linken Onlineportal "Indymedia" vor dem autonomen
Pärchen. Die Frau sei vor Jahren tief in die organisierte Neonaziszene
involviert gewesen, habe laut Antifa jedoch auch nach ihrem Ausstieg noch
Kontakt zu Nazikadern gehabt und sei ungewöhnlich unkooperativ. In
Gesprächen mit Vertretern der Antifa habe sie unterschiedliche Versionen
ihres Ausstiegs erzählt, habe wichtige Fakten nicht erwähnt oder gelogen.
Gerüchte über eine Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz tauchen auf.
Bis heute bleibt die Antifa-Szene in Wilhelmshaven und der Region auf
Distanz zu dem Pärchen und auch zu allen Gruppen, die mit ihm
zusammenarbeiten. "Unfair" findet das Ralph Herrmann. Die Frau werde
verfolgt, auch von Nazis angegriffen. Auch Landeschef Sohn weiß um die
rechte Vergangenheit der Frau. "Die Frau ist schon lange in der linken
Szene aktiv und hat sich gewandelt", sagt er. "Man muss ihr eine Chance
geben."
Eine Verschwörung hingegen sieht Annette Nowack. Das Pärchen habe
ungewöhnlich viel Einfluss auf den neuen Vorstand, wirke aus dem
Hintergrund. "Ob es V-Leute sind, kann man nicht wissen", sagt sie. Auch
andere erfolgreiche Kreisverbände seien schon solchen Intrigen ausgesetzt
gewesen.
Im September 2010 gab Ratsmitglied Johann Janssen der Wilhelmshavener
Zeitung ein Interview zu den Integrationsthesen Thilo Sarrazins. Darin sagt
Janssen: "Ich finde es mutig und richtig, dass Sarrazin sich zu diesem Buch
getraut hat." Eine ungewöhnliche Gesellschaft für einen Linksparteiler, für
die er von Nowack und Co. aus dem alten Vorstand harsch angegriffen wird.
Auch Ralph Herrmann sagt, er und seine MitstreiterInnen aus der "Fraktion"
seien über die Position nicht glücklich gewesen.
Jedoch sei es eher ein Fehlgriff gewesen und die Kritik unsolidarisch
vorgebracht worden. "Janssen hat sich seit Jahren mehr um Migranten
gekümmert als seine Kritiker", so Herrmann. Auch Landeschef Sohn stellt
sich hinter Janssen. "Alles was er gemacht hat, ist Sarrazin ernst zu
nehmen." Dass sich Nowack und Janssen überworfen hätten, sei Teil der
Problematik. "Sie sind die beiden Granden des linken Wilhelmshaven." Er
hofft noch immer auf eine Versöhnung.
Doch Nowack wird nicht in zurückkehren. Vielmehr fragt sie sich, wie der
Einfluss der "Fraktion" und der Ex-Nazis bis nach Hannover habe reichen
können. Vom Landesvorstand ist sie enttäuscht. "Sie haben uns im Stich
gelassen, waren nicht loyal." Von Anfang an seien sie nicht gekommen um zu
vermitteln, sondern um sie abzusetzen.
Eine Einigung habe der alte Vorstand nicht gewollt, sagt dagegen
Landesgeschäftsführerin Kaminski. Um die kommende Wahl macht sie sich
dennoch wenig Sorgen: "Der Kreisverband in Wilhelmshaven ist gut
aufgestellt." Sie habe den Eindruck, dass der Wahlkampf dort sehr ernst
genommen werde.
24 Aug 2011
## AUTOREN
Jean-Philipp Baeck
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