Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Der Brite SBTRKT stimmt mild: Arrangement mit dem Markt
> Der junge Londoner SBTRKT fusioniert R&B-Chartsfutter mit den
> Klangsignaturen des Dancefloors. Er landet dabei zwischen James Blake und
> Jamie Woon.
Bild: SBTRKT - Mann mit Maske.
Postdubstep als Arrangement mit der Krise, das war einmal. Inzwischen hat
sich herausgestellt, er arrangiert sich mit dem Markt, und die Krise findet
woanders statt. Postdubstep wurde Pop. Guter Pop, so scheint es, besitzt
den spekulativen Geist, den ihm eingeschriebenen Widerspruch zwischen
Mainstream und Avantgarde aufzuheben. Guter Pop stimmt milde.
Aber kann man das neue Album des Londoner Produzenten SBTRKT auch schlecht
finden, das perfekt, künstlich, glamourös, antiauthentisch und ein bisschen
abgehoben ist? Dieser mixt mit viel Gespür Postdubstep und R&B, und sein
Sound kann demzufolge zwischen James Blake und Jamie Woon verortet werden.
Kristallin und bürgerlich der eine, ein Schnulzenkopp der andere.
Dazwischen nun SBTRKT, ein Hexenmeister urbaner Popmusik des 21.
Jahrhunderts, sein ästhetisch ansprechendes Gesicht hinter einer Maske
versteckend, um das Augenmerk auf die Ästhetik des Sounds zu lenken.
## Mann mit Maske
Wen interessiert noch, ob es sich bei der Musik von James Blake und Jamie
Woon um ein verfeinertes Produkt der Kulturindustrie oder um bürgerliche
Subjektivität handelt, angesichts eines Produzenten, der eines sicher nicht
will: sein Bewusstsein in irgendeiner Form in Musik widergespiegelt sehen.
Der Ausdruck des Individuellen rückt bei Aaron Jerome, dem Mann hinter der
Maske, in den Hintergrund. Die eigene Krise wird subtrahiert für das Ganze,
das mehr als die Summe der Teile ist.
In diesem Sinne spiegelt SBTRKT den Geist der HipHop-Kultur wider. Die
posse ist wichtiger als der einzelne Künstler - nur, dass die posse nicht
mehr aus der Nachbarschaft kommt, sondern eine internationale
Facebook-posse ist. Die einzelnen Songs erhalten ihre Ausdrucksstärke
sowohl von britischen Sängerinnen wie Jessie Ware und Roses Gabor (die
durch ihre Zusammenarbeit mit den Gorillaz bekannt wurde) als auch von der
Schwedin Yukumi Nagano, Sängerin der schwer gehypten schwedischen
Konsensband Little Dragon.
SBTRKTs "Hauptsänger", wenn man so will, ist Sampha. Und Sampha trifft
jeden Ton so, wie er gesungen werden sollte. Und so werden die Songs glatt
und poppig, sind die ghoulischen Entitäten, die in "Trials of the Past" die
Wände der Jugendzimmers hochkriechen, nicht mehr ganz so tief bewegend.
Wirkt der ganze Song so, als gäbe er einen guten Soundtrack ab für eine
neue US-amerikanische Vampirserie.
SBTRKT hat Dubstep aus dem Untergrund geholt und in die Mitte geschoben.
Die seltsamen Sounds und Samples, die er dennoch einsetzt (hier sowohl an
Skream und Burial als auch an Hudson Mohawke erinnernd), werden also auf
seinem Album durch die polierten R&B-Vocals auf Linie gebracht. Natürlich
spiegelt diese Beschreibung auch Hörgewohnheiten wider: Durch Dubstep und
Produzenten wie Burial ist man es so gewöhnt, dass Gesang verhackt und
untergemischt wird, dass man es, wenn sie mal wieder im Vordergrund stehen,
als "antiexperimentell" ansieht.
## Breitwandpop
SBTRKT macht Breitwandpop. Ein Backlash im Kontext eines experimentellen
Undergroundsounds, der, wie das so oft mit verfeinerten Spezialgenres der
Fall ist, nur von einem kleinen Kreis verstanden und goutiert werden kann.
Musikalisches Distinktionsgehabe innerhalb eines autopoetischen Systems
interessiert Jermone nicht die Bohne. Obgleich man auf seinem Album
Referenzen an die sehr britische Form von Broken Beats zu finden sind plus
Verneigungen vor den Londoner Clubsounds (von Jungle bis Dubstep), ist
SBTRKT nicht so hyperbritisch, wie die anderen Acts es sind, die man dem
Genre Postdubstep zuspricht.
Wahrscheinlich trifft auf ihn zu, was man momentan über populäre Kultur im
Allgemeinen sagt: Er ist glokal. Das Lokale, London, ebenso widerspiegelnd
wie einen US-Appeal, der vielleicht gar nichts mit den USA zu tun hat.
US-Mainstream taucht auf diesem Album eher wie ein Geschmack auf, die
sogenannte dominante westliche Kultur ist anwesend, aber nicht unbedingt
hegemonial.
Es ist eben das benutzerfreundliche Moment seines Debütalbums, das einen
erkennen lässt: Massenkompatibilität hat auch ihre schönen Seiten. Auf
"SBTRKT" öffnet Pop seine Arme, und die Gegenwart ist plötzlich nichts
weiter als ein flow.
Aaron Jerome ist nicht vom Lokalhelden zum Geschäftsmann aufgestiegen wie
beispielsweise Dizzee Rascal, der ein Rollenmodell für die Jugend seines
Londoner Viertels war und Songs über Teenager-Schwangerschaften schrieb,
bevor er zum britischen Vorzeigepopstar wurde. Dank Internet ist Jerome wie
ein Deus ex machina aus dem Nichts zum Lenker ganzer musikalischer Welten
geworden. Der Sprung auf die große Bühne ist ihm nicht durch lokale
Unterstützung gelungen. Solidargemeinschaften innerhalb einer Stadt sterben
aus. Theoretisch bedeutet Pop die Auflösung von Gegensätzen. Praktisch oft
dessen Verschärfung.
31 Aug 2011
## AUTOREN
Nadja Geer
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.