# taz.de -- Kanupolo im Selbstversuch: Rugby im Wasser | |
> Es wird gerammt, geschubst und geworfen: Die Sportart Kanupolo ist nichts | |
> für sensible Gemüter. Der Bundesligist BSC Schwalbe Hamburg ist auf dem | |
> Fluss Bille beheimatet und lässt auch mal Neulinge mitspielen. Ein | |
> Selbstversuch. | |
Bild: Kampf um den Ball: Beim Aufwärmen verzichten die Spieler noch auf den He… | |
HAMBURG taz | Das Kajak neigt sich nach links, dann nach rechts. Wieder | |
nach links und wieder nach rechts. Aus der leichten Neigung wird ein | |
heftiges Wackeln. Ich weiß, was jetzt kommt: Rums! Das Kajak kippt um, mein | |
Gesicht klatscht auf das Wasser und der Blick richtet sich in die Tiefen | |
der Bille. Ich stecke im Kajak fest, die Luft weicht langsam aus den | |
aufgeblasenen Wangen, kleine Blasen steigen zur Oberfläche auf. | |
Vielleicht klappt ja dieses Mal die Eskimorolle, die es ermöglichen würde, | |
sich schnell samt Kajak wieder aufzurichten. Aber keine Chance. Also warte | |
ich auf den rettenden, muskulösen Arm, der mich wieder an die Oberfläche | |
zieht. Doch irgendetwas stimmt nicht: Der Arm lässt auf sich warten - und | |
die Luft wird knapp. | |
Ich reiße mir unter Wasser den Helm vom Kopf. Helfen tut dies nicht. Wie | |
komme ich bloß aus diesem Boot heraus? Hektisch schüttele ich meinen Körper | |
hin und her, die Situation verbessert sich so nicht. Die Panik ist jetzt | |
riesig, ich verliere das Orientierungsgefühl. Und da kommt er dann doch: | |
der Arm, der mich wieder an die Wasseroberfläche holt. | |
"Das ist kein Sport für Weicheier", wurde mir vor meinem ersten | |
Kanupolo-Training beim Bundesligisten BSC Schwalbe Hamburg gesagt. Auf der | |
kleinen Billerhuder Insel im industriell geprägten Stadtteil Rothenburgsort | |
ist der Verein zu Hause. | |
Zwischen qualmenden Schornsteinen und Schrebergartensiedlungen wird | |
Kanupolo gespielt. Hart, aber herzlich ist nicht nur die Umgebung, sondern | |
auch der Umgangston unter den Spielern. | |
Der Begriff Kanupolo ist dabei irreführend. Diesen Sport verbindet rein gar | |
nichts mit dem bourgeoisen, adrett gestylten Polo-Sport. Für ein Spiel wird | |
benötigt: Eine Wasserfläche, auf der ein 23 mal 35 Meter großes Spielfeld | |
Platz findet, zwei Tore, die zwei Meter Höhe über der Wasseroberfläche | |
hängen, ein Wasserball, zehn Kajaks mit zehn Paddeln und insbesondere zehn | |
Verrückte, die sich in die Kajaks setzen, um sich in das Abenteuer Kanupolo | |
zu stürzen. | |
Ziel ist es, den Ball per Hand oder per Paddel ins gegnerische Tor zu | |
bugsieren. Um Missverständnissen vorzubeugen, könnte man wohl eher | |
Kanu-Rugby sagen. | |
Nils, 32, ist einer der Führungsspieler vom BSC Schwalbe. Seine Glatze ist | |
frisch rasiert und schimmert im Abendlicht, der Oberkörper gestählt und ein | |
Lächeln sitzt stets auf seinen Lippen. Der Konstrukteur für | |
Schiffsinneneinrichtungen scheint gefallen daran zu finden, einen | |
Ahnungslosen in die Geheimnisse seiner Sportart einzuführen. Wir stehen am | |
Steg und er gibt mir Tipps. "Wenn du kenterst, bleib ruhig", ist einer | |
davon. | |
Wenig später geht die Partie los. Nils hat zwei Teams eingeteilt. Gelbe | |
gegen schwarze Schwimmwesten. Meine gelben Mannschaftskameraden - im | |
Schnitt einen Kopf größer und ein ganzes Stück breiter als ich - scheinen | |
nicht sonderlich begeistert, dass sie mich im Team haben. | |
## Boote krachen aufeinander | |
Wir positionieren uns vor dem eigenen Tor. Alle sind einen Moment still. | |
Mein Boot wackelt bedenklich. Dann klatscht der Ball, vom Steg geworfen, | |
auf die Bille, die Spieler stürmen in Richtung Ball und krachen mit ihren | |
Booten aufeinander. Das Wasser spritzt durch die Luft und ich kann so | |
schnell gar nicht sehen, wer in Ballbesitz ist. | |
Das Spiel läuft rasant von der einen Seite zur anderen und wieder zurück. | |
Ich versuche zum gegnerischen Tor zu paddeln, doch da ist der Angriff | |
bereits vorbei. Bevor ich die eigene Abwehr erreicht habe, sind wir längst | |
wieder in Ballbesitz. Während die Partie so richtig Fahrt aufnimmt, bin ich | |
insbesondere damit beschäftigt, nicht umzukippen. | |
Irgendwann ist es dann soweit: Mein erster Ballkontakt. Nils spielt mir mit | |
einer Mischung aus Freundlichkeit und Mitleid den Ball zu. Zwei Hünen in | |
schwarzen Westen fahren in voller Geschwindigkeit auf mich zu. "Ich komme", | |
schreit der eine. Schnell weg mit dem Ball. | |
Dieser erreicht glücklicherweise den Mitspieler, doch bevor ich mich freuen | |
kann ist mein Gegner bereits volle Breitseite in mich hineingekracht. Er | |
gibt mir mit seinen Armen einen Stoß, das Kajak kippt um und ich lande mit | |
dem Gesicht im Wasser. Die Eskimorolle scheitert. Der Angreifer reißt mich | |
wieder hoch. "Sah doch schon ganz gut aus", sagt er und grinst. | |
Ich lächle - noch. In diesem Moment weiß ich noch nicht, dass ich in an | |
diesem schönen Sommerabend genau zehn Mal kentern werde. | |
Es ist allerhand erlaubt im Kanupolo: Der Gegner darf geschubst und ins | |
Wasser geschickt werden und es ist auch gern gesehen, wenn mit dem eigenen | |
Boot über das Kajak des Gegners hinweggefahren wird. | |
Das rüde Bedrängen - gepaart mit den durch die Luft wirbelnden Paddeln - | |
hat es in sich. Glücklicherweise ist ein Helm mit Gesichtsschutz Pflicht. | |
Denn die Paddel-Schläge auf den Kopf sind keine Seltenheit. Mit dem | |
Material möchte man nicht tauschen. Während der Trainingseinheit gehen zwei | |
Paddel zu Bruch, die Kajaks weisen eine erhebliche Anzahl von Schrammen und | |
Dellen auf, brechen tun sie aber nicht. | |
Für Sportwart Olaf Rosenbauer, der als junger Spieler in den 1970er und | |
1980er Jahren vier Mal mit dem BSC Schwalbe Deutscher Kanupolo-Meister | |
wurde, liegt der besondere Reiz des Sports in seiner Vielfältigkeit. | |
"Gleichgewichtsgefühl, Kraft, die Koordination des gesamten Körpers und | |
dazu noch taktische Fähigkeiten, all das brauchst du für Kanupolo", sagt | |
der 52-Jährige. | |
Diese Komplexität könnte auch ein Grund für das Nischendasein der Sportart | |
sein. Fehlende Öffentlichkeit und Sponsoren bedingen, dass bei dem reinen | |
Amateursport auch die Bundesliga-Spieler selber für Ausrüstung, Anfahrt, | |
Unterkunft und Verpflegung aufkommen müssen. "Für die Deutschen zählt nun | |
mal nur der Fußball", sagt Nils, der trotz fehlender Würdigung "nicht mit | |
anderen Sportarten tauschen" würde. | |
Das sanfte Grün des Fußballrasens ist zumindest weit weniger bedrohlich als | |
die Wassermassen, von denen ich nach einer knappen Stunde Spielzeit jede | |
Menge geschluckt habe. Nachdem ich den letzten Kenterauftritt hinter mir | |
habe, ist für mich das Training vorüber. Ich bin fix und fertig, physisch | |
und psychisch. | |
Kanupolo ist wirklich "nichts für Weicheier". Falls ich mich jemals wieder | |
an Kanupolo heranwagen sollte, wären MitspielerInnen und GegnerInnen | |
wünschenswert, die nicht unbedingt in der Bundesliga aktiv sind. Zwei Dinge | |
sind vorher allerdings noch zu erlernen: das Kanufahren und - ganz wichtig | |
- die Eskimorolle. | |
31 Aug 2011 | |
## AUTOREN | |
Frederik Schäfer | |
## TAGS | |
Wassersport | |
Olympische Spiele | |
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