# taz.de -- Agroindustrie: Der Kämpfer von Wietze | |
> Früher war Norbert Juretzko Führungsoffizier beim BND. Jetzt kämpft er im | |
> niedersächsischen Wietze gegen Europas größte Geflügelschlachtfabrik. Ein | |
> Besuch. | |
Bild: Norbert Juretzko war mal beim Geheimdienst, jetzt ist er für die Wietzer… | |
HANNOVER taz | Einen knappen Kilometer, so weit ist es von Norbert | |
Juretzkos Haus bis zu Europas größter Geflügelschlachtfabrik. Richtung | |
Autobahn, am Ortsausgang von Wietze steht das grau-grüne Fabrikgebäude. | |
Vier silberne Schornsteine ragen in den Himmel, Zäune mit Stacheldraht rund | |
ums Areal, zahllose Überwachungskameras. Hier sollen jährlich 130 Millionen | |
Hühner getötet werden, am Montag ging die Anlage bereits in den | |
Probebetrieb. | |
Norbert Juretzko will die Anlage stoppen. Der Vorsitzende der | |
Bürgerinitiative (BI) Wietze kandidiert bei den niedersächsischen | |
Kommunalwahlen am 11. September: Er will Bürgermeister der | |
8.000-Seelen-Gemeinde im Landkreis Celle werden. | |
Juretzko lebt mit seiner Familie in einem Idyll. Das Fachwerkhaus hat ein | |
rotes Ziegeldach, der Blumengarten einen Teich, die Kürbisse auf dem | |
Komposthaufen leuchten orange. Geht der Schlachthof wie geplant in den | |
Dauerbetrieb, wird der 57-Jährige bald täglich von seinem Wohnzimmer aus | |
die Lastwagen mit dem Schlachtvieh über Wietzes Hauptstraße rollen sehen. | |
Allerdings, das steht jetzt schon fest, wird die Produktion kleiner sein | |
als ursprünglich geplant. Mit 400 Geflügelmastställen als Zulieferer hatte | |
Schlachtfabrik-Investor Franz-Josef Rothkötter, Chef von "Emsland | |
Frischgeflügel", kalkuliert. Juretzko weiß von maximal 20 | |
Maststall-Gründungen - auch ein Verdienst der BI Wietze, deren Vorsitzender | |
er seit gut anderthalb Jahren ist. Etwa 200 Mitglieder hatte die BI, bevor | |
Juretzko kam. Mittlerweile sind es rund 1.400. Von den Agrar-Inis, die | |
überall in Niedersachsen entstehen, ist die BI Wietze die präsenteste - | |
bestens organisiert, bestens vernetzt. "Mit Diskussionszirkeln, bei denen | |
nichts herauskommt, kann ich nichts anfangen", sagt Juretzko. | |
Wenn Juretzko spricht, fixieren seine Augen sein Gegenüber, sein Gesicht | |
bleibt ruhig. 16 Jahre hat er für den Bundesnachrichtendienst (BND) | |
gearbeitet. "Das System Rothkötter ist nichts dagegen", sagt er. | |
60 Millionen Euro steckt Rothkötter, der Geflügelbaron aus dem Emsland, in | |
das Schlachthof-Projekt, 6,5 Millionen schießt die schwarz-gelbe | |
Landesregierung zu. Vor Ort rühmt Juretzkos Kontrahent, der amtierende | |
CDU-Bürgermeister Wolfgang Klußmann, die Rothkötter-Jobs, spricht von | |
steigenden Gewerbesteuereinnahmen. Die seien bei dem Abschreibungsprojekt | |
frühestens in zehn Jahren zu erwarten, hält Juretzko entgegen. Außerdem | |
würde Rothkötter wohl ungern Leute aus Wietze einstellen - schließlich | |
könnten sich Aktivisten der BI in die Schlachtfabrik einschleusen. | |
Beim BND war Juretzko jahrelang Führungsoffizier für russische | |
Spitzenquellen - auch vom Wietzer Fachwerk-Idyll aus, wo er seit 1993 lebt. | |
Wohnort war Dienstort. Das pittoreske Backhaus neben dem Wohnhaus hat er | |
nachträglich bauen lassen - für die Observanten. Mittlerweile schlafen dort | |
Gäste. Die Überwachungskameras hängen noch immer, die Alarmanlage hat eine | |
direkte Leitung zur Polizei. | |
"Der Juretzko", sagen langjährige Weggefährten, "will endlich ein neues | |
Kapitel aufschlagen." Lange Zeit von Personenschützern umgeben, selbst Frau | |
und Kinder mit Bodyguards unterwegs: Das machte es schwer, mit Nachbarn zu | |
plauschen, im Dorf Freundesbande zu knüpfen. Aber es wäre falsch, sein | |
Engagement darauf zu reduzieren: das Leben nach dem BND, die Fleischfabrik | |
vor der Tür. Bei seiner Kandidatur gehe es "um das Politische", sagt er, | |
"wie mit den Bürgern umgegangen wird." Die Schlachthof-Pläne seien den | |
Wietzern neun Monate vor Baubeginn präsentiert worden. "Beim Bolzplatz hat | |
das über drei Jahre gedauert." | |
Dass er ein politischer Mensch durch und durch ist, bezweifelt niemand. | |
Selbst seine Kritiker werfen ihm höchstens "politische Wandlungsfähigkeit" | |
vor. 39 Jahre war Juretzko SPD-Mitglied, zeitweise Parteichef in Celle. | |
Wegen der Agenda-Politik und Afghanistan stieg er aus. "Meine Positionen | |
haben sich nicht verändert", sagt er heute. Es folgte eine kurze Eskapade | |
bei der Linken, bei der Kommunalwahl tritt er als Parteiloser an. Mit der | |
Wählergemeinschaft "Wir unabhängigen Wietzer". | |
Im Jahr 2000 schied Norbert Juretzko beim BND aus. "Der Dienst", wie er den | |
BND bloß nennt, ist noch immer eine feste Größe in seinem Leben. Die Gesten | |
werden fahrig, der Blick ein wenig misstrauisch, wenn er davon erzählt. | |
Zwei Enthüllungsbücher hat er seit seinem Ausstieg veröffentlicht, arbeitet | |
mittlerweile als Autor und Journalist und ist bei Geheimdienst-Themen ein | |
gefragter Experte. "Der Dienst" sitze ihm deshalb bis heute "im Nacken". | |
"Wer aus dem Nähkästchen plaudert, dem soll es nie wieder gut gehen", sagt | |
er. Mehrere Hausdurchsuchungen verliefen im Sande, die letzte 2009. Mehrere | |
Prozesse hat der BND gegen ihn geführt. Das Berliner Landgericht hat ihn | |
2006 vom Vorwurf des Geheimnisverrats freigesprochen. "Ein Geschmäckle | |
bleibt trotzdem", argwöhnt Juretzko. | |
Also legt er alles auf den Tisch. Bei seinem Wahlkampfauftakt im Juli hat | |
er im Dorfgemeinschaftshaus eine Fernseh-Doku über seine BND-Zeit gezeigt. | |
Gefragt wird er an dem Abend vor allem nach dem Schlachthof. Der | |
Geheimdienstmann Juretzko ist in der Wahrnehmung der Wietzer längst | |
verblasst. Für sie ist er der Vertraute Juretzko, der gegen Schlachtfabrik | |
und Agroindustrie Extremveganer bis Wertkonservative zusammenbringt. Ein | |
unabhängiger Wietzer eben. Einer wie sie. | |
5 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
Teresa Havlicek | |
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