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# taz.de -- Folgen aus US-Einsatz in Afghanistan: Die Kriegskörper
> Soldat Bruce trat in Afghanistan auf eine Sprengfalle und verlor beide
> Unterschenkel. Mit Beinprothesen aus San Diego will er zurück zum
> Militär. Wie so viele.
Bild: Arbeitet in einer boomenden Branche: Peter Harsch.
SAN DIEGO taz | Die Spezialisten, die amputierten US-Soldaten das Gefühl
geben sollen, alles wäre wie früher, arbeiten auf einem Hügel in San Diegos
Balboa Park, beste Lage, der einzige Zufahrtsweg gesichert wie eine
Landesgrenze. Hier residiert einer der größten Arbeitgeber der Stadt, das
Naval Medical Hospital, von über 6.000 Mitarbeitern werden hier rund um die
Uhr Soldaten und deren Angehörige behandelt. Ausschließlich.
Vor vier Jahren wurde eine neue Abteilung geschaffen, sie heißt C 5 und
kümmert sich um amputierte Soldaten. Mehr als 2.000 davon haben die
Vereinigten Staaten bis heute durch die Kriege in Afghanistan und dem Irak
zu beklagen, im Schnitt macht das seit Kriegsbeginn fast täglich einen
neuen Soldaten mit Behinderung.
Das Naval Medical Center ist eines von nur drei Krankenhäusern in den USA,
das auf die Anfertigung von Prothesen spezialisiert ist, sie für Patienten
passgenau macht, ihnen damit das Laufen beibringt und mit aufwändigen
Reha-Maßnahmen die Integration ins neue Leben leichter machen will. Das
Center steht für einen Wirtschaftszweig, der boomt, weil der Krieg ihn
nötig gemacht hat. Für das Geschäft mit künstlichen Gliedmaßen.
## "Die Prothesen heute sind viel besser"
Peter Harsch sitzt in der Mitte des Bionic Room, eines kleinen Zimmers mit
Computer, Ordnern, Schubfächern, um ihn herum Metallprothesen, beklebt mit
Namenschildern. Harsch, blondes Haar, jugendlich, Polohemd, nestelt an
einer hüfthohen Beinprothese und zieht einen Akku aus dem unteren Teil.
"Die Prothesen heute sind viel besser als früher", sagt er, "sie haben drei
Sensoren, mit denen die Prothese zum Beispiel berechnen kann, in welcher
Position sich der Körper gerade befindet."
"Die Soldaten hier verlangen die beste Technik", so sagt das der
40-Jährige. "Wir liefern sie." Viele der Fortschritte seien erst seit
wenigen Jahren oder gar Monaten gemacht worden. "Kriege schaffen Geld - und
Geld schafft Forschung", sagt Harsch. Von den neuen Herausforderungen der
Kriege, den Folgen des 11. September, profitiert aber nicht nur das Naval
Medical Hospital. Denn längst nicht alles, was gebraucht wird, wird dort
produziert. Spezielle Bauteile bestellt das Krankenhaus bei privaten
Unternehmen in aller Welt, wie auch der Duderstädter Firma Otto Bock.
In den USA verdienen viele Unternehmen ihr Geld mit der Herstellung von
Prothesen - oftmals für Kriegsopfer. Die Bilanzen der Firmen sind die
Ausweise dieses prosperierenden Wirtschaftszweiges: Der US-Marktführer
Hangar Group Orthopedics etwa feierte im zweiten Quartal 2011 einen um 29
Millionen Dollar - das sind 14,1 Prozent - gestiegenen Umsatz im Vergleich
zum Vorjahr. Und mit dem Umsatz des 3.800-Personen-Unternehmens wächst auch
die Belegschaft: Seit 2007 arbeiten rund 10 Prozent mehr Mitarbeiter für
die Hangar Group.
## "Es hätte mich auch schlimmer treffen können"
Offizier Robert Bruce hat auf einer Couch im Aufenthaltsraum der Abteilung
C5 Platz genommen und erinnert sich an den Moment, der alles veränderte. Am
9. März diesen Jahres ist der 24-Jährige in der afghanischen Provinz
Helmand mit einer Polizeiausbildungsmission unterwegs, als ein Knall den
Tag erschüttert. Ein befreundeter Soldat war auf eine Sprengfalle getreten
und schwer verletzt. Bruce eilt zu Hilfe, dann trifft es ihn selbst. "Ich
hörte nur ein ,Paff' ", sagt Bruce. Er verliert beide Unterschenkel.
Der Unfall ist mittlerweile fast ein halbes Jahr her. Bruce trägt ein
grünes T-Shirt und Shorts, die Prothesen schauen nackt zwischen seinen
Turnschuhen und Hosenbeinen hervor. Nach den ersten Wochen mit "gemischten
Gefühlen", wie er es umschreibt, sieht er heute aus, als ginge es ihm
einigermaßen gut. "Es hätte mich auch schlimmer treffen können", sagt er.
Und zählt auf, was alles noch funktioniert: "Ich habe meine Knie und meine
Hände."
Bruce konnte wählen, wo er behandelt wird. Er war in Camp Pendleton
nördlich von San Diego stationiert, dort wollte er hin, weil seine Eltern
im nahe gelegenen Mesa, Arizona wohnen. Sämtliche Kosten für die Behandlung
übernimmt der Staat. Zunächst bekommen die Soldaten die perfekte Prothese,
dann die perfekte Behandlung.
Sobald die Prothesen passen und das Laufen wieder gelernt ist, versuchen
sich die Soldaten im Naval Medical Hospital wieder an ihrem Lieblingssport,
ein Team unterstützt sie hierbei. Sogar Tauchen und Surfen ist möglich -
dank wasserfester Prothesen. Robert Bruce hat andere Pläne: "Ich will
zurück auf mein Snowboard." Im Dezember möchte er mit ein paar Betreuern
nach Nevada fahren, den ersten Versuch starten. "Das ist das Ziel", sagt
er.
## Bruce würde wieder zurück nach Afghanistan gehen
Und sonst? "Ich will zurück in meinen Job." Sein Vertrag bei den Marines
läuft noch bis 2014, aber auch darüber hinaus kann er sich vorstellen, beim
Militär zu bleiben. Vielleicht sogar noch einmal in einen Einsatz zu gehen,
vielleicht noch einmal nach Afghanistan. Komische Gefühle dem Militär
gegenüber kenne Bruce nicht.
Für die Vereinigten Staaten ist das ein ziemlich gutes Ergebnis. Die Moral
der Truppen wird durch weniger frustrierte Soldaten weniger geschmälert.
Mit jeder weiteren Erfindung macht die neue Technik die Folgen des Krieges
noch ein kleines Stückchen unsichtbarer.
Doch das Militär profitiert auch direkt. Nie konnten so viele verwundete
Soldaten wieder in den Dienst zurückkehren wie in den vergangenen Jahren.
"Bis zu zwanzig Prozent der Soldaten nehmen nach der Behandlung bei uns
ihren Dienst wieder auf", sagt Prothesenspezialist Peter Harsch. "Das war
beim Zweiten Weltkrieg und in Vietnam noch nicht möglich."
6 Sep 2011
## AUTOREN
Gordon Repinski
## TAGS
Schwerpunkt 9/11
Schwerpunkt 9/11
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