# taz.de -- Literaturfest Berlin: Lob des Zweifels | |
> Eine Revolte, aber keine Revolution: Der marokkanische Schriftsteller | |
> Tahar Ben Jelloun hat mit einer Rede zum arabischen Frühling das | |
> Literaturfest Berlin eröffnet. | |
Bild: "Wir schreiben, weil wir nicht auf die Wirklichkeit einwirken können", s… | |
"Wir sollten uns vor jenen hüten, die vorgeben, alles verstanden zu haben, | |
und maßgeschneiderte Erklärungen parat haben. Das sind Fanatiker, | |
Dogmatiker, denn sie leben nur von Gewissheiten. Und wer keine Zweifel | |
kennt, gefährdet die Gesellschaft", sagt Tahar Ben Jelloun. Am | |
Mittwochabend steht er auf der Bühne des Hauses der Berliner Festspiele. | |
Mit seiner Rede über den "Arabischen Frühling und das Schreiben" eröffnet | |
er das 11. Internationale Literaturfestival Berlin. | |
Ben Jellouns Hinweis auf die Fanatiker, die sich und der Welt allzu gewiss | |
sind, mag eine Antwort auf die jüngste Kritik an seiner Person sein. Ihm | |
ist vorgeworfen worden, als Trittbrettfahrer der arabischen Revolution | |
unterwegs zu sein und sich dem marokkanischen Königshaus anzubiedern. | |
1944 wird Tahar Ben Jelloun im marokkanischen Fez geboren. 1965 beteiligt | |
er sich an Studentenprotesten und wird in ein Straflager der Armee | |
geschickt. Er geht an die Universität, wo er Philosophie lehrt. 1971 wird | |
die Universität in Marokko arabisiert, Ben Jelloun emigriert nach | |
Frankreich. Seine Romane, Gedichte und Essays verfasst er in Französisch. | |
## Der König ist kein Zauberer | |
Er gilt als der wichtigste maghrebinische Autor der Gegenwart. Vor Kurzem | |
ist ein schmaler Band über den arabischen Frühling von ihm erschienen. Ben | |
Jelloun widmet sich darin den arabischen Despoten, der Korruption und den | |
Aufständen gegen die autokratischen Regime. Er klagt über die | |
Komplizenschaft des Westens und versetzt sich in die Situation des Mohamed | |
Bouazizi, dessen Selbstverbrennung einer der Funken für die Demonstrationen | |
in Tunesien waren. Ben Jelloun würdigt aber auch die Reformpolitik von | |
König Mohammed VI., der seit 1999 in Marokko viel erreicht habe. | |
Verständlicherweise seien trotzdem viele von ihm enttäuscht, der König sei | |
aber kein Zauberer. Diese Passagen wurden heftig kritisiert. | |
In Berlin hält Ben Jelloun eine belesene, humanistische, vorsichtige, | |
manchmal in allgemeinen Betrachtungen zur Ambivalenz der Tätigkeit des | |
Autoren verharrende Rede. Als in Libyen und Syrien die Demonstranten mit | |
Maschinengewehren niedergemäht worden seien, hätten sich die Welt und die | |
Literatur gleichermaßen ohnmächtig gezeigt. Ungeheuer wie Gaddafi und | |
Baschar al-Assad zermalmten alles, was sich ihnen in den Weg stelle. | |
Ben Jelloun hält nichts von Schlagworten wie "Jasmin-Revolution". In | |
Ägypten und Tunesien hätten sich keine Revolutionen, sondern Revolten | |
abgespielt, in denen "Wut, Erbitterung, radikale Ablehnung eines würdelosen | |
Lebens" zum Ausdruck gekommen seien. Wut aber sei keine Ideologie. Immerhin | |
aber habe der Islamismus in der arabischen Welt ausgedient. Diese | |
"pathologisch gelebte Regression" von Ignoranten, die jeden abweichenden | |
Diskurs ausschließe, überzeuge die Jugend nicht mehr. | |
"Wir schreiben, weil wir nicht auf die Wirklichkeit einwirken können", sagt | |
Ben Jelloun. Der Schriftsteller sei Zeitzeuge. Es reiche aber nicht, | |
Zeugnis abzulegen. "Wir müssen darüber hinausgehen und wagemutig | |
übertragen, was wir nicht sehen können." Und doch habe Thomas Bernhard | |
Recht gehabt: "Kein Schriftsteller hat jemals die Gesellschaft verändert." | |
## Flugzeug zu Van Gogh | |
Über Marokko spricht Ben Jelloun an diesem Abend nicht. Der taz hat er im | |
Mai gesagt, dass er die Reformpolitik des Königs begrüßt, weil er sich | |
einen geordneten Übergang zu demokratischeren Verhältnissen durch die | |
Einführung der konstitutionellen Monarchie erhofft. | |
Demnächst wird ein Buch Ben Jellouns über Jean Genet auf Deutsch | |
erscheinen. Dort zitiert er eine Bemerkung Genets angesichts der auf den | |
Straßen herumlungernden Jugendlichen von Tanger im Jahr 1974: "Wenn dein | |
König nur ein Quäntchen Respekt für sein Volk hätte, würde er Flugzeuge | |
mieten, um diese jungen Leute nach Paris in die Van-Gogh-Ausstellung im | |
Grand Palais zu schicken. Das würde nur wenig mehr kosten, als das, was der | |
König an einem Morgen zum Golfspielen ausgibt!" | |
Dieser "abwegige und herrliche Gedanke" habe ihn lange beschäftigt, | |
schreibt Ben Jelloun. Einmal habe er versucht, den jungen König Mohammed | |
VI. darauf anzusprechen. Das Protokoll sei eingeschritten. Ben Jelloun hält | |
Genets Idee weiterhin für machbar: "Vielleicht wird sie eines Tages ein | |
Kultusminister verwirklichen." | |
8 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Gutmair | |
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