# taz.de -- Jürgen Ehlers, Geologe und Krimi-Autor: "Abgründe sind überall" | |
> Jürgen Ehlers ist Eiszeitexperte und schreibt historische Kriminalromane. | |
> An den realen Fällen reizt ihn, dass der Handlungsablauf keinem | |
> Krimi-Schema folgt. Und dass es wie in der Geologie darum geht, | |
> Zusammenhänge zu rekonstruieren. | |
Bild: Schürft gerne tief: Der Eisexperte und Krimi-Autor Jürgen Ehlers. | |
taz: Herr Ehlers, Sie haben mir um 6 Uhr morgens auf meine Mail | |
geantwortet! Was machen Sie denn um diese Uhrzeit schon in der | |
Umweltbehörde? | |
Jürgen Ehlers: Ich bin sogar schon um 5.30 Uhr da! Niemand stört, das | |
Telefon klingelt nicht und man kann ganz in Ruhe arbeiten. | |
Und offenbar haben Sie so früh Muße, nachzusehen, auf welchem Untergrund | |
die taz in Altona steht. | |
Ja, das habe ich hier im Amt schnell nachgesehen, ich dachte, es | |
interessiert Sie vielleicht. Wahrscheinlich haben Sie in Altona etwa 16 | |
Meter eiszeitliche Grundmoräne unter sich, also Geschiebelehm und | |
Geschiebemergel und darunter dann Schmelzwassersande. | |
Schauen Sie immer nach, auf welchem Untergrund jemand sitzt, wenn Sie sich | |
mit ihm treffen wollen? | |
Nein, aber als Eiszeitforscher interessiert mich das eben. Alle Spuren der | |
Eiszeit interessieren mich. Wenn ich zum Beispiel auf Sylt am Strand bin, | |
dann gucke ich zur falschen Seite - nämlich zum Kliff und nicht aufs Meer. | |
Müssten Sie Ihre Urlaube nicht eigentlich eher in den Bergen verbringen? | |
Wegen der Abgründe meinen Sie? Ich bin nicht schwindelfrei. Menschliche | |
Abgründe ertrage ich leichter als steile Felshänge. Und die Vergletscherung | |
der Alpen reizt mich auch nicht besonders. Da sind die Gletscher der | |
Eiszeit eben die Berge runter bis an den Alpenrand gelaufen, dann liegen | |
geblieben und fertig. Das ist relativ klar rekonstruierbar. Hier im Norden | |
liegen die Dinge komplizierter, und es macht mehr Mühe, die verschiedenen | |
Eisvorstöße gegeneinander abzugrenzen. | |
Wie wurde Ihre Leidenschaft für die Eiszeit denn geweckt? | |
Im Studium, und zwar relativ spät. Für mich war immer klar, dass ich | |
Deutsch studiere und Lehrer werde. Und als Lehrer braucht man ein zweites | |
Fach, und ich dachte, Erdkunde ist einfach, das nehme ich. Dann kam die | |
Sache mit der Geologie. Ich hatte Seminare bei dem damaligen Leiter des | |
Geologischen Landesamtes, mit ihm waren wir in Baugruben unterwegs und | |
haben die eiszeitlichen Ablagerungen vor Ort in Augenschein genommen. Das | |
hat mir gefallen, und da habe ich gesagt, Germanistik lasse ich mal und | |
mache das Diplom in Geographie. Außerdem glaube ich, dass ich kein guter | |
Lehrer geworden wäre. Ich bin nicht gelassen genug. | |
Sie haben dann 1978 im Geologischen Landesamt, also der heutigen | |
Umweltbehörde, angefangen und geben dort bis heute Auskunft über die | |
Untergründe der Stadt, wenn jemand beispielsweise bauen möchte. Sehr treu. | |
Naja, ich habe Familie, es ist eine sehr sichere Stelle, wir sind ein | |
nettes Team und es gibt keinen Grund, da auszuscheren. | |
Offenbar doch, sonst müssten Sie sich ja nicht in Ihrer Freizeit mit | |
menschlichen Abgründen beschäftigen. | |
Ja, das ist so ein Hobby! Geschrieben habe ich immer gern. Das ging schon | |
mit sechs Jahren los, bevor ich richtig schreiben konnte. Es gibt | |
seitenweise Texte von mir, die ich mit Buntstiften verfasst habe, jedes | |
Wort in einer anderen Farbe, sozusagen in Lautschrift ohne Rücksicht auf | |
die Rechtschreibung. | |
Worüber haben Sie geschrieben? | |
Über die Hühner. Wir hatten damals Hühner. Aber wenn Sie die Texte lesen, | |
merken Sie gar nicht, dass von Hühnern die Rede ist. Sie agieren wie | |
Menschen, die irgendwelche Abenteuer bestehen. Verbrechen spielten damals | |
noch keine Rolle. | |
Und wie sind Sie zu den Krimis gekommen? | |
Durch Lesen. Das fing an mit einem verregneten Urlaub im Harz. In unserer | |
Pension standen Bücher von Edgar Wallace und Agatha Christie. Die habe ich | |
alle gelesen. Später kamen dann deutsche Autoren dazu. Hansjörg Martin und | |
Horst Bieber zum Beispiel. Und schließlich habe ich gedacht: Das kann ich | |
auch. Ich schreibe auch einen Krimi. Es hat aber Jahre gedauert, bis ich es | |
wirklich konnte. | |
Später sind Sie dann bei historischen Krimis gelandet? | |
Am Anfang wollte ich das nicht, vor allem wegen der vielen schlechten | |
Beispiele. Wenn man die Handlung seines Krimis zum Beispiel in das | |
Mittelalter verlegt, dann funktioniert das einfach nicht. Die Figur eines | |
Detektivs ist in der damaligen Welt einfach unvorstellbar. Hinzu kommt, | |
dass die Rekonstruktion der Lebensumstände äußerst schwierig ist. Man macht | |
viele Fehler. Da habe ich gedacht, ich bleibe besser in der Gegenwart. | |
Aber? | |
Aber dann kam eine Gelegenheit, die ich nicht auslassen mochte. Bei den | |
Kurzkrimis ist es ja so, dass man die nicht auf gut Glück für den Stapel | |
schreibt, sondern dass es irgendein Projekt gibt, an dem man sich | |
beteiligen will. Das nächste Projekt, bei dem ich mitmache, ist eine | |
Anthologie über Haare: "Waschen, schneiden, umlegen". Und dann muss man | |
sich dazu was einfallen lassen. Das Projekt, das mich zu den historischen | |
Krimis brachte, war eine englische Anthologie "Murder through the Ages", | |
für die ich mir eine Geschichte ausgedacht habe, die in Hamburg während der | |
Zeit der Cholera spielt. Und ich glaube, sie ist ganz gut gelungen. | |
Jedenfalls wurde sie abgedruckt. | |
Seitdem nehmen Sie reale Fälle als Grundlage für Ihre Krimis. Wieso? | |
Was mich an den realen Fällen reizt, ist, dass der Handlungsablauf keinem | |
bestimmten Schema folgt. Er ist anders, als man das in einem Krimi | |
erwartet. Das heißt, die zweite Leiche kommt nicht auf Seite 50. Vielleicht | |
gibt es überhaupt keine zweite Leiche. Die meisten Autoren haben Tabus, die | |
nicht gebrochen werden dürfen. Kinder kommen nicht ums Leben. Oder Tiere. | |
Daran halte ich mich nicht. In meinem letzten Buch stirbt zum Beispiel | |
jemand, den wir gerade lieb gewonnen haben. Im wirklichen Leben ist alles | |
möglich. | |
Aber die realen Geschichten brauchen fiktive Elemente, damit der | |
Krimi-Leser bekommt, was er gewohnt ist. | |
Er bekommt eine Mischung aus Realität und Fiktion. Bei meinem letzten Buch | |
"In deinem schönen Leibe", das im Nazi-Hamburg der 30er Jahre spielt, hatte | |
ich nur zwei Quellen - ohne Fiktion kommt man da natürlich nicht weit. Und | |
für mein nächstes Buch, das Anfang des Zweiten Weltkrieg spielen wird, ist | |
die Vorlage auch recht dünn, das ist einfach nur ein Mord. Da steckt keine | |
dramatische Geschichte dahinter. Aber natürlich wird es jede Menge Drama | |
geben. | |
Woher kommt Ihre Leidenschaft für Abgründe? | |
Abgründe sind einfach da. Überall. Man muss sie nur sehen wollen. Das kann | |
unbequem sein. Und: Krimi funktioniert eben. | |
Sie schreiben aber nicht bloß Krimis, weil die sich gut verkaufen lassen. | |
Nein, nein, das macht schon Spaß, den Leser ein bisschen zu provozieren. | |
Außerdem gefällt mir die Arbeitsweise eines Krimiautors - und es gibt | |
natürlich eine Ähnlichkeit zu den geologischen Arbeiten. Es ist in beiden | |
Fällen so, dass man aus Indizien die Zusammenhänge rekonstruieren muss. In | |
der Geologie geht es darum, herauszufinden, woher das Eis gekommen ist und | |
wenn man einen historischen Krimi schreibt, geht es darum, anhand der | |
überlieferten Fakten herauszufinden, was sich abgespielt haben könnte und | |
warum das so war. | |
Haben Sie bei Ihrer Arbeit für die Umweltbehörde schon mal Inspiration für | |
eine Geschichte gefunden? | |
Nein, bisher nicht. Aber vielleicht kommt das ja noch. Vielleicht heute, | |
ich muss noch nach Langenfelde, da hat sich im Garten eines Hauses ein | |
tiefes Loch aufgetan und ich muss mir das mal ansehen. Es könnte der Keller | |
einer alten Ziegelei sein! Oder einfach nur alter Bauschutt, in dem sich | |
ein Hohlraum gebildet hat. Aber wenn eine Leiche in dem Loch steckt, dann | |
werde ich da sicher eine Geschichte draus machen. | |
11 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
Ilka Kreutzträger | |
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