# taz.de -- Social-Sharing-Projekt: Dein Kaffee geht auf mich! | |
> Teile und tue Gutes: Das war die Idee für das Experiment einer digitalen | |
> Kaffeekasse. Die User zahlten und tranken - bis der Fonds geplündert | |
> wurde. | |
Bild: Kein Geld für Kaffee? Egal - im Netz gab es eine Zeitlang willige Spende… | |
Wenn in Neapel ein Cafébesucher einen caffè pagato ordert, wird dies auf | |
einer kleinen Tafel vermerkt. Und betritt dann ein Gast das Café – | |
vielleicht hat er sein Portemonnaie neben der Frühstücksmarmelade vergessen | |
oder ist überhaupt meist mittellos –, fragt dieser, ob es noch einen caffè | |
pagato gebe, einen bereits bezahlten Kaffee. Der Strich auf der Tafel wird | |
dann ausradiert. | |
Aus dieser Solidarität unter Fremden machte der US-Amerikaner Jonathan | |
Stark ein Experiment: Über eine Kaffeekasse im World Wide Web wurde jedem | |
Durstigen ein Starbucks-Kaffee spendiert – zumindest solange die anderen | |
User genug in den Pott eingezahlt hatten. Nun wurde die | |
Social-sharing-Offensive boykottiert: Denn 625 US-Dollar sind vom | |
Kaffee-Konto gestohlen worden. | |
Alles begann am 7. Juli. Stark stellt auf der Internetpräsenz | |
"[1][Jonathan's Card]" einen Screenshot zum Download bereit. Darauf | |
abgebildet: der Schlüssel zu einem munteren Morgen – der Barcode von Starks | |
digitalem Starbucks-Konto. So konnte jedermann ohne Zugangsdaten und | |
aufwändigem Login auf das Konto zugreifen: Wurde der Barcode via | |
Smartphone, Notebook oder knitterigem Ausdruck bei einer Starbucks-Filiale | |
vorgezeigt, dann erhielt der Glückliche einen Kaffee - oder auch fünf. | |
Oder eben 312 – so wie Sam Odio. Nur kann niemand solche Mengen an Kaffee | |
trinken und das wollte auch Odio nicht. Er transferierte das Geld, 625 | |
US-Dollar, mithilfe eines selbstgeschriebenen Skripts auf sein eigenes | |
Starbucks-Konto. Für Odio wurde das mehr zur Misere als zum großen Glück. | |
Die Kaffeekränzchen-Gemeinschaft war empört und fühlte sich um ihre | |
Prinzipien betrogen. Obwohl das Experiment keine festen Regeln oder gar | |
Gesetze hatte. So hatte Stark lediglich empfohlen, den Kaffee-Kauf nicht | |
teurer als 3 US-Dollar werden zu lassen. Dagegen verstieß Odio natürlich. | |
Starbucks sperrte Starks Karte am 12. August schließlich wegen Betrugs. | |
## Anonym und unerkannt | |
Nur 30 US-Dollar hatte Stark zu Beginn auf sein Starbucks-Konto überwiesen. | |
Diese verzehrten Starks Freunde so schnell, dass er bald weitere 50 | |
US-Dollar überwies und noch mehr Freunde zur Teilnahme einlud. Wieder sank | |
der Kontostand. Doch dann wurde die Karte 6061006913522430 aufgeladen – von | |
fremder Hand, anonym und unerkannt. | |
Starks Experiment über das Teilen begann. Inspiriert hatte den 42-jährigen | |
Berater aus Providence eine berufsbedingte Recherche über das Bezahlen per | |
Mobiltelefon, wie die US-amerikanische Online-Zeitung [2][Good] berichtete. | |
Er wollte untersuchen, wie das soziale Teilen über das Internet | |
funktioniert. Geht auch hier die Rechnung "get a coffee, give a coffee" | |
auf? | |
Das "crowd-sharing" fand schnell Komplizen. Am 12. September hatte | |
"Jonathan's Card" noch 14.280 Follower bei Twitter - obwohl die Karte | |
längst gesperrt war. | |
Die digitale Kaffee-Kasse und ihre Mikroökonomie funktionierten so: Stark | |
postete regelmäßig die Kontostände im Internet. Sie beeinflussten dann | |
sowohl die Trink- als auch die Investitionsfreude der Follower. Die Hälfte | |
der Kaffeetrinker hätte ihren Becher zurückgezahlt, so Stark gegenüber Good | |
– die [3][Fluktuation] war tatsächlich enorm. Der [4][Los Angeles Times] | |
sagte Stark, der Kontostand habe sich bei niedrigem Kontostand zuverlässig | |
von selbst reguliert. | |
## 500 Kaffeetrinker - 8.000 Dollar | |
Laut Good hatten bis zur Sperrung am 12. August mehr als 500 Kaffeetrinker | |
mehr als 8.000 US-Dollar auf das Konto überwiesen. Und nicht nur das: | |
Follower berichteten regelmäßig von weiteren guten Taten. Der Poller vor | |
dem eigenen Parkplatz wurde durch ein "Freies-Parken"-Schild ersetzt, der | |
Feuerwehr wurde Gebäck gebracht und neue Starbucks-Konten wurden öffentlich | |
zugänglich gemacht. Der Funke war übergesprungen. Und er hält selbst nach | |
Odios Transaktionen noch an. | |
Odios Bruder hat dem Starbucks-Konto von Stark unterdessen die 625 | |
US-Dollar erstattet. Und Odio selbst möchte seine eigene Karte samt | |
entwendetem Geld versteigern. Der Ertrag soll an "Save the Children" | |
gespendet werden. Auf [5][seiner Homepage] räumt Odio dann auch ein, dass | |
er zweifellos das Experiment ruiniert habe. Aber seine Kritik äußert er | |
gegenüber [6][TECH:CNN] noch immer selbstbewusst: "Yuppies kaufen den | |
Kaffee von Yuppies." | |
Im Internet wird Odio prompt als | |
[7][//www.facebook.com/jonathanscard/posts/176232239115101:arrogantes Kind] | |
beschimpft und als [8]["fucking dick"] der – sollte er jemals in San | |
Francisco gesehen werden – sich schon darauf vorbereiten könne, dass | |
brühend heißer Kaffee sein Gesicht treffe. | |
Stark wiederum hatte Good gegenüber schon zuvor eingeräumt: "Es ist | |
irgendwie albern, denjenigen Menschen einen kostenlosen 5-Dollar-Kaffee zu | |
geben, die sich ein iPhone leisten können." | |
## "Wir brauchten den Barcode nie" | |
Die Gemeinschaft fühlt sich dennoch dem Diktat eines Einzelnen unterworfen. | |
Das empört. Dabei hatte auch Odio nach eigenem Bekunden eine gute Tat im | |
Sinn. Odio und Stark hatten am Ende die gleiche Vision: Odio wollte Gutes | |
für die Armen tun. Stark wollte Gutes für Alle tun, damit sich so die Güte | |
von allein potenziert. Auf seiner Facebook-Seite schreibt Stark: "Wir hören | |
großartige Geschichten über Großzügigkeit. Besonders lieben wir es, wenn | |
Sandwiches für Obdachlose gekauft werden – und Muntermacher für Fremde und | |
Freunde an einem harten Tag." | |
Stark ist überzeugt, dass auch der kleinste Schritt viel bewirken kann: | |
"Stellen Sie sich vor, Sie hätten eine Apotheken-Karte und Sie könnten | |
jemandem 10 US-Dollar für seine Alzheimer-Medizin geben", sagte er der Los | |
Angeles Times. Und das Ende seines Kaffeeexperiments ist nicht das Ende | |
seiner Vision, wie er Good verriet: "Heute Nacht verlieren wir unseren | |
Barcode. Aber in erster Linie brauchten wir den natürlich nie." | |
13 Sep 2011 | |
## LINKS | |
[1] http://jonathanstark.com/card/ | |
[2] http://www.good.is/post/radical-sharing-works-this-guy-lets-the-world-use-h… | |
[3] http://bheberto.com/devblog.php | |
[4] http://latimesblogs.latimes.com/technology/2011/08/starbucks-card-jonathan-… | |
[5] http://sam.odio.com/ | |
[6] http://articles.cnn.com/2011-08-12/tech/jonathans.card.hacked_1_starbucks-c… | |
[7] http://https | |
[8] http://cl.ly/1c3C2G2I0h1R3i2d1O04 | |
## AUTOREN | |
Lea-Maria Schmitt | |
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