# taz.de -- Die syrische Opposition über einen Neustart: "Die Scharia ruft zu … | |
> Die Chefs der Muslimbrüder fordern das Ende von Syriens Präsident Baschar | |
> al-Assad. Sie machen Werbung für die Scharia und wollen die Opposition im | |
> Exil wieder einen. | |
Bild: In Syrien protestieren die Bürger gegen Präsident Assad. | |
taz: Meine Herren, was sind denn die Forderungen der Muslimbrüder in der | |
Revolution? | |
Riyadh Shafqa: Sie entsprechen den Forderungen des syrischen Volkes: Sturz | |
dieses Regimes. | |
Einige Intellektuelle oder Angehörige konfessioneller Minderheiten | |
befürchten, die Muslimbrüder könnten Syrien in einen islamischen Staat nach | |
iranischem Vorbild verwandeln. | |
Riyadh Shafqa: Die Muslimbrüder glauben an einen demokratischen Staat aller | |
Bürger, in dem die Wahlurne entscheidet, wer regiert. Sollten wir die | |
Mehrheit erringen, werden wir keinen Unterschied zwischen Muslimen, | |
Christen oder Alawiten machen. Alle sind gleichberechtigte Bürger. Im | |
Gegenteil: Wir sind bereit, die Minderheitenrechte zu verteidigen gegen | |
jeden, der diese infrage stellt. Unser Programm gründet sich auf die | |
Scharia. Denjenigen, die Angst vor der Scharia haben, haben sie nicht | |
verstanden. Die Scharia ruft zu Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit auf. | |
Das schließt auch Religionsfreiheit ein. "La ikraha fil-din" heißt es im | |
Koran: Es gibt keinen Zwang im Glauben. | |
Faruq Taifur: Wir haben unsere ganze Organisation zur materiellen und | |
moralischen Unterstützung der Revolution mobilisiert. Die syrische | |
Opposition ist zersplittert. Die alten Parteien existieren faktisch nicht | |
mehr. Wir haben hingegen auf der ganzen Welt Gruppen: in Deutschland, | |
Frankreich, Kanada, den USA, in Jordanien, Saudi-Arabien und vielen anderen | |
Ländern, selbst in Neuseeland. Das prädestiniert uns für die Rolle, die | |
Leute zu vernetzen. Wir verstehen uns dabei als Moderatoren. Im Vordergrund | |
steht die Unterstützung der Bewegung im Inneren. Wenn wir mitbekommen, dass | |
es in irgendeiner Stadt oder einem Dorf in Syrien Probleme zwischen | |
verschiedenen Gruppen gibt, versuchen wir mit den beteiligten Parteien | |
Kontakt aufzunehmen, um zu vermitteln. | |
Oppositionelle Intellektuelle im Inneren haben einen Dialog mit dem Regime | |
gefordert, um noch mehr Blutvergießen zu verhindern. Würden Sie einen | |
solchen Dialog denn unterstützen? | |
Faruq Taifur: Zu Beginn der Bewegung wollten die meisten Leute in Syrien | |
einen demokratischen und friedlichen Wechsel. Deswegen gab es immer wieder | |
Forderungen nach einem nationalen Dialog, der zu einem demokratischen | |
Wechsel führen sollte. Aber statt auf die Initiativen einzugehen, hat das | |
Regime Panzer in die Städte geschickt und sie aus der Luft bombardiert. Das | |
syrische Volk will keine Gewalt. Es ist das Regime, das beschlossen hat, | |
den Weg der Gewalt zu gehen. Heute sind die Leute, die Eltern, Brüder oder | |
Kinder verloren haben, deren Häuser zerstört wurden oder deren Verwandte im | |
Gefängnis sitzen, nicht mehr bereit zu einem Dialog mit Menschen, die sich | |
selbst als Schwerstverbrecher entlarvt haben und die das Volk mit allen | |
Mitteln dazu zwingen wollen, ihr Herrschaftsmonopol zu akzeptieren. | |
Durch wen soll das Assad- Regime ersetzt werden? | |
Riyadh Shafqa: Die Alternative ist ein Übergangsrat. Wichtige Voraussetzung | |
für die Bildung eines Übergangsrates ist eine vereinigte Opposition im Exil | |
und dass sich die kokalen Koordinationskomitees in Syrien zusammenfinden. | |
Ein solcher Übergangsrat würde dann das Land bis zu demokratischen Wahlen | |
führen. Die Opposition wird in allernächster Zeit einen solchen | |
Übergangsrat, an dem alle Kräfte beteiligt sind, bilden. Diese Initiative | |
mag spät kommen. Diese Verspätung hängt damit zusammen, dass wir alle | |
Kräfte - Muslimbrüder, Kurden, Kommunisten und andere - sammeln wollten, | |
damit dieser Übergangsrat wirklich repräsentativ ist. | |
Als Reaktion auf die Gewalt des Regimes mehren sich Stimmen in Syrien, die | |
zum bewaffneten Kampf aufrufen. Wie stehen Sie zu einer solchen Option? | |
Riyadh Shafqa: Wir glauben, dass die Revolution unbedingt friedlich bleiben | |
muss. Bewaffnete Aktionen würden dem Regime den Vorwand für noch stärkere | |
Repression geben. Die Folge wären noch höheren Opferzahlen. Es ist zwar | |
verständlich, wenn die Menschen in entlegenen Dörfern oder Stämme in der | |
Wüste sich gegen Überfälle des Regimes mit Waffen zu verteidigen suchen. | |
Aber wir raten ihnen in unseren Erklärungen oder durch direkte Kontakte | |
davon ab. Das Regime möchte, dass die Revolution zu den Waffen greift, um | |
eine Rechtfertigung für noch mehr Repression zu haben. Wir sind absolut | |
dagegen. | |
Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich wie in Ägypten oder Tunesien | |
die Armee am Ende auf die Seite der Revolution schlägt? | |
Riyadh Shafqa: Es gibt zwei mögliche Szenarien. Die erste wäre ein | |
Militärputsch durch hochrangige Militärs, die der Meinung sind, dass es nur | |
ohne die Assad-Familie einen Ausweg aus der Krise gibt. Es ginge ihnen | |
darum, die Alawiten vor Racheakte seitens der Bevölkerungsmehrheit zu | |
schützen. Ein Militärputsch ist nur möglich durch Offiziere der | |
alawitischen Gemeinschaft. Sie würden die Assad-Familie entmachten, selbst | |
die Macht übernehmen und einen demokratischen Prozess einleiten. Die Armee | |
würde dem Volk Freiheiten auf politischem Gebiet gewähren, während sie | |
selbst weiterhin die Rolle als Beschützer der Alawiten spielt. Wir gehen | |
davon aus, dass es Offiziere gibt, die dazu bereit wären. Sie wollen die | |
Alawiten aus dem Dilemma befreien, in das sie das Assad-Regime geführt hat. | |
Aber haben sie die Mittel? Das wissen wir nicht. Das zweite Szenario: Wenn | |
die Repression weitergeht, ohne dass sich an der Militärspitze etwas | |
ändert, rechnen wir damit, dass sich größere Teile der Armee absetzen. | |
Anders als die libysche Opposition hat die syrische Opposition - sowohl im | |
eigenen Land als auch im Ausland - eine militärische Intervention des | |
Auslands in Syrien abgelehnt. Befürchten Sie, falls die Repression | |
weitergeht, dass sich das ändern könnte? | |
Faruq Taifur: Die syrische Opposition und das syrische Volk haben eine | |
militärische Intervention abgelehnt. Aber angesichts der zunehmenden Gewalt | |
und der vielen Toten fordern sie, dass die internationale Gemeinschaft | |
etwas zum Schutz der syrischen Zivilbevölkerung unternimmt. Es gibt | |
sicherlich Möglichkeiten unterhalb einer militärischen Intervention. So wie | |
das syrische Regime geht kein Mensch mit einem anderen Menschen um, nicht | |
einmal mit seinen Feinden. Als ob es geistig verrückt geworden ist. | |
Trotzdem lehnen die Syrer eine militärische Intervention ab. Doch wenn es | |
so weitergeht mit noch mehr Toten und noch mehr politischen Gefangenen, | |
kann ich nicht völlig ausschließen, dass die Leute in Syrien auch zu | |
begrenzten militärischen Schlägen aufrufen, um der Gewalt ein Ende zu | |
setzen. Aber dies kann nur als allerletztes Mittel in Erwägung gezogen | |
werden, wenn wirklich alle anderen Mittel des Drucks ausgeschöpft sind. | |
Der Iran war der größte Unterstützer des Assad-Regimes, jetzt gibt es erste | |
kritische Äußerungen des iranischen Außenministers. Deutet sich hier ein | |
Positionswechsel an? Und welche Auswirkungen hat das auf die Revolution? | |
Faruq Taifur: Jetzt beginnen sich der Iran und die Hisbollah | |
zurückzuziehen, weil sie nicht in die Verantwortung für die Gräueltaten | |
gezogen werden wollen. Natürlich ist das positiv, weil dadurch das Regime | |
noch mehr isoliert wird. | |
Riyadh Shafqa: Wir haben sichere Informationen, dass es in der iranischen | |
Führung Differenzen darüber gibt. Die iranischen Geheimdienste plädieren | |
für einen iranischen Rückzug von der Unterstützung des syrischen Regimes, | |
das sie als stark geschwächt einschätzen. Und sie wollen ihr Prestige in | |
der Region nicht aufs Spiel setzen. Aber die Iraner wollen wissen, was nach | |
Assad kommt und wie diejenigen zu den iranisch-syrischen Beziehungen und | |
zum Widerstand steht. Wir versichern den Iranern: Wir wollen gute | |
Beziehungen zu allen Regionalmächten - zur Türkei wie zum Iran -, | |
allerdings unter der Voraussetzung der Nichteinmischung in die inneren | |
Angelegenheiten und dem gegenseitigen Respekt der Souveränität des anderen. | |
Und wir können den Iranern auch versichern: Das ganze syrische Volk steht | |
hinter dem Widerstand. | |
Faruq Taifur: Französische Medien berichteten von einem Treffen zwischen | |
syrischen Oppositionellen und Vertretern des Iran. Wir wissen nicht, wer | |
von der Opposition daran teilgenommen hat, wir jedenfalls nicht. Die Iraner | |
haben auch mehrfach versucht, mit uns Kontakt aufzunehmen. Aber wir haben | |
ihnen klar gesagt: Sorgt dafür, dass das syrische Regime die Panzer aus den | |
Städten zurückzieht, sorgt dafür, dass das Blutvergießen aufhört, nehmt | |
klar Stellung zu dem, was das syrische Regime tut! Dann sind wir bereit zu | |
einem Dialog. Iran hat das syrische Regime ja nicht nur politisch, sondern | |
auch militärisch bei der Niederschlagung des Aufstands unterstützt. Wenn | |
sich die iranische Haltung nicht in ihrer Substanz verändert, wird es dem | |
syrischen Volk schwerfallen, einen Dialog zwischen der Opposition und dem | |
Iran zu akzeptieren. | |
14 Sep 2011 | |
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