# taz.de -- Debatte Staatenimmunität: Deutsche Immunisierung | |
> Die Klage der Bundesregierung vor dem Internationalen Gerichtshof ist ein | |
> Skandal. Es geht dabei vor allem um zukünftige Regierungsverbrechen. | |
Der aktuelle Streit über die Immunität von Staaten vor ausländischen | |
Gerichten ist in der Tat von großer Bedeutung. Zwar geht es bei dem | |
aktuellen Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag | |
um die Entschädigung für vergangene Kriegsverbrechen, doch insgesamt wird | |
vor allem um zukünftige Ansprüche gestritten. | |
Dass diese brisante Streitfrage nun vor der höchsten völkerrechtlichen | |
Instanz, dem IGH, verhandelt und vielleicht entschieden wird, ist | |
wahrscheinlich das einzig Gute an dem Prozess. Darin ist [1][Andreas | |
Zimmermann] zuzustimmen. Dass aber dieses Verfahren ausgerechnet von der | |
Bundesregierung betrieben wird, ist schon ein Anachronismus und auch ein | |
Skandal - darüber empört sich [2][Andreas Fischer-Lescano] zu Recht. | |
## Deutsche Doppelmoral | |
Wir leben in einer Zeit, in der der Abbau der staatlichen Schranken im | |
Rahmen der Globalisierung in allen Bereichen nicht nur gefordert, sondern | |
auch faktisch erzwungen wird, in der die Durchlässigkeit der | |
einzelstaatlichen Souveränität ein Grundprinzip der EU ist und gerade die | |
Bundesregierung die Entsouveränisierung Griechenlands mit Macht betreibt. | |
Da es die Bundesregierung war, die bei der Durchsetzung des Internationalen | |
Strafrechts die Einschränkung der Souveränität und Immunität befürwortete, | |
ist das Beharren auf der eigenen Souveränität, wenn es um Ansprüche aus | |
anderen Staaten geht, nur schlecht zu begründen. Denn die Ansprüche | |
einzelner Opfer aus schweren Kriegsverbrechen der deutschen SS und | |
Wehrmacht in den Jahren 1939 bis 1945 sind berechtigt; sie wurden nie | |
entschädigt. | |
Ihr Weg vor die deutschen Gerichte war und ist allerdings aussichtslos. Er | |
wird ebenso enden wie die Klage einiger Opfer des Massakers von Distomo in | |
Griechenland im Jahr 1944, die von allen deutschen Gerichten bis zum | |
Verfassungsgericht abgewiesen wurde. Sie entschieden, dass der im IV. | |
Haager Abkommen normierte Entschädigungsanspruch bei Verstößen gegen das | |
Kriegsvölkerrecht keinen unmittelbaren individuellen Anspruch begründe, der | |
von einzelnen Opfern eingeklagt werden könne. Auch das deutsche Recht gebe | |
keinen Entschädigungsanspruch. Das war für die Kläger nicht leicht zu | |
verdauen aber definitiv. Ihnen blieb faktisch nur der Weg zu einem Gericht | |
an dem Ort, wo das Verbrechen begangen worden ist: Griechenland oder | |
Italien. | |
## Bundesregierung eskaliert | |
Der Weg zu den nationalen Gerichten bedeutet nun nicht, "der einseitigen | |
Rechtsdurchsetzung das Wort zu reden", wie Zimmermann es Fischer-Lescano | |
vorwirft. Hätten sich die Bundesregierungen nur bereit erklärt, auch mit | |
diesen Opfern über eine Entschädigung zu verhandeln, wäre es nie zu den | |
Klagen vor heimischen Gerichten gekommen. Nicht nur in Italien, auch in | |
Griechenland sind derzeit Hunderte Verfahren anhängig. Gerichtsprozesse | |
sind immer der Versuch "einseitiger Rechtsdurchsetzung", in welchem Land | |
sie auch stattfinden. | |
Doch als die Opfer und Hinterbliebenen von Distomo vor dem Areopag in Athen | |
ein Urteil erstritten hatten, welches die Bundesrepublik zur Zahlung von | |
umgerechnet 22 Millionen Euro verpflichtete, begann die Bundesregierung | |
politischen Druck auszuüben. Sie hintertrieb die Durchsetzung des Urteils | |
und nötigte die griechische Regierung, die begonnene Zwangsversteigerung | |
deutscher Liegenschaften (Goethe-Institut) zu beenden. | |
Hier ist die entscheidende Frage, ob sich Staaten bei schwersten | |
Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit noch auf ein altes | |
Prinzip des Völkerrechts, die Immunität, gegenüber Klagen aus anderen | |
Staaten, berufen und damit schützen dürfen. Dies wird mit guten Gründen | |
heute nicht nur von Gerichten in Griechenland und Italien, sondern auch in | |
der Gesetzgebung Großbritanniens und der USA und weitgehend in der | |
Völkerrechtslehre abgelehnt. | |
Im Bereich hoheitlichen Handelns eines Staates - und Kriegsverbrechen sind | |
staatliches Handeln unter Verletzung des humanitären Völkerrechts - ist bei | |
schweren Delikten und terroristischen Handlungen der Schutz der Immunität | |
nachrangig. Damit wird die Barriere der Immunität aber keineswegs | |
vollkommen beseitigt. Für militärisches Handeln, dessen Zerstörungen sich | |
innerhalb des humanitären Völkerrechts halten, kann ein Staat nach wie vor | |
und zu Recht Immunität für sich beanspruchen. | |
## Folgen für neue Kriege | |
Die Brisanz dieses Streits wird deutlich, wenn man sich die zahllosen | |
Verbrechen an Zivilisten von SS und Wehrmacht in der ehemaligen Sowjetunion | |
und auf dem Balkan vor Augen hält, die auch durch die gezahlten | |
Reparationen noch nicht entschädigt sind. Ein die Immunität beschränkendes | |
Urteil in Den Haag würde sicher eine Flut von Prozessen nach sich ziehen. | |
Doch, wie die Opfer immer wieder betonen, geht es ihnen nicht in erster | |
Linie um finanzielle Leistungen, über deren ohnehin überschaubare Beträge | |
mit ihnen gesprochen werden könnte. Es geht ihnen um die Anerkennung ihrer | |
Leiden und Verluste, der sich alle Bundesregierungen bisher verweigert und | |
einen Dialog mit den Opfern und Hinterbliebenen abgelehnt haben. | |
Bedrohlicher aber ist eine die Immunität einschränkende Entscheidung | |
angesichts der Forderungen aus gegenwärtigen Kriegen und für die Zukunft | |
der Kriegsführung. Was geschähe, wenn die zivilen Opfer oder ihre | |
Hinterbliebenen nicht vor den Gerichten in Berlin, Washington, Paris oder | |
London Entschädigung einfordern würden, da sie dort ohnehin keine Chance | |
hätten, sondern gleich die Gerichte in Kabul, Bagdad oder Tripolis | |
bemühten? | |
So wie die Staaten und die UNO auf dem Weg zur Universalisierung des | |
Strafrechts derzeit die Barrieren der Immunität für Verbrecher im | |
Staatsgewand wie Pinochet etc. niederreißen, so geht es hier darum, auch | |
Entschädigungsansprüche aus schweren Regierungsverbrechen nicht an der | |
Immunität der Staaten scheitern zu lassen. | |
Dies zu verhindern ist der wahre politische Grund für den aktuellen | |
Rechtsstreit, der von der Bundesregierung bemerkenswert unnachgiebig | |
verfolgt wird - und wahrlich nicht die Devise, "das Völkerrecht stärken". | |
15 Sep 2011 | |
## LINKS | |
[1] /Debatte-Voelkerrecht/!78009/ | |
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## AUTOREN | |
Norman Paech | |
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