# taz.de -- Greenpeace wird vierzig: Die Walkämpfer | |
> Vor vierzig Jahren wurde Greenpeace gegründet, der größte Umweltkonzern | |
> der Welt. Sie kämpfen für die Umwelt und ihr wichtigstes Symbol - den | |
> Wal. | |
Bild: Wem hilft der Wal? | |
BERLIN taz | Blutiger Schaum spritzt aus dem Blasloch des Buckelwals. Die | |
Harpune hat sich in seinen Körper gesprengt, jetzt zieht ihn die Motorwinde | |
des japanischen Walfangschiffs "Yushin Maru" unerbittlich heran. Der Wal | |
wird mit offenem Maul blutüberströmt über die Rampe in das Schlachtschiff | |
gezogen. Später schwärmen Greenpeace-Aktivisten aus, um das Nachtanken der | |
Walfängers zu verhindern. Mit ihren Gummibooten quetschen sie sich zwischen | |
die Stahlwände von Walfänger und Tankschiff, von Wasserkanonen beschossen | |
und immer in Gefahr, im eisigen Wasser des Südpolarmeeres zu kentern. | |
Trotzdem tankt die "Yusin Maru" nach. | |
Diese Szenen aus dem Dokumentarfilm "Jagdzeit" der deutschen Regisseurin | |
Angela Graas zeigen vieles, wofür Greenpeace steht: drastische Bilder und | |
die mediengerechte Konfrontation mit Umweltsündern; Erfolg und Ohnmacht der | |
Umweltschützer. Sie zeigen, wie Greenpeace die Regeln bricht, damit die | |
Gegner sie einhalten. Und sie zeigen die grüne Seele der Ökos: den Schutz | |
der Wale. Nirgendwo sonst lassen sich Idee, Geschichte und Mythos der | |
Regenbogenkrieger so zusammenfassen wie bei ihrem Kampf gegen den Walfang. | |
## Große Erfolge haben sie in den kleinen Fragen | |
Aber mal ehrlich, niemand braucht heute noch Wale. Ökonomisch nicht. | |
Ökologisch? Na ja. 150 Jahre nach Käptn Ahab brennen unsere Lampen ohne | |
Tran, und Walsteak essen selbst Japaner nur selten. Kritiker meinen sogar, | |
Japan hätte den Walfang längst eingestellt, würde es nicht von Greenpeace | |
öffentlich an den Pranger gestellt. | |
Im Ökosystem des Meeres ist der Wal zwar gern gesehen, aber keiner weiß, | |
welche Funktion er da genau hat. Womöglich ist eine Wespe für ihren | |
Lebensraum wichtiger als der Blauwal für die Ozeane. Wirklich gebraucht | |
werden die sanften Riesensäuger nur von zwei Spezies: ein paar tausend | |
Walfängern - und den weltweit 3 Millionen Greenpeace-Förderern. Ohne | |
Greenpeace gäbe es keine Wale mehr. Aber ohne Wale gäbe es auch Greenpeace | |
nicht. | |
Deshalb die teuren, aufwendigen, oft langweilig anzuschauenden | |
Walschutzaktionen. Sie sind zentral für das Selbstverständnis und den | |
Mythos der Umweltschützer: als Beschützer der Natur vor der Brutalität des | |
Menschen. Es ist eine realistische und romantische Definition von der Mit- | |
und Umwelt des Menschen im Kampf gegen die kalte wirtschaftliche | |
Ausbeutungslogik. | |
Zumindest in seinen ersten drei Jahrzehnten war Greenpeace ein Unternehmen | |
der weißen urbanen Mittelschicht in den USA und Europa. In der Empörung | |
über den Raubbau an der Umwelt schwang immer auch das schlechte Gewissen | |
der Babyboomer-Generation mit, die in historisch einmaligem Frieden und | |
Luxus lebte und ihren Lebensstandard der von ihr bekämpften | |
Wirtschaftsweise verdankte. Nichts symbolisierte diese Ökopax-Haltung | |
besser als der Wal: Friedlich gleitet er durchs Wasser, ernährt sich | |
praktisch vegetarisch (solange man die Krillkrebse nicht fragt), lebt in | |
den mythischen Tiefen der Meere, zeigt soziale Kompetenz und kann auch noch | |
singen - eigentlich ein idealer Erzieher für den Kinderladen. | |
## Grüner Konzern | |
Auch dank des Wals ist Greenpeace noch immer die mächtigste und | |
erfolgreichste Umweltorganisation der Welt. Eine internationale Marke, ein | |
globalisierter grüner Konzern mit 200 Millionen Euro Jahreseinnahmen, den | |
es nach den Regeln des normalen Geschäfts eigentlich gar nicht geben | |
dürfte. Doch die Macht der Ökos beruht zum Teil darauf, dass ihre Macht | |
überschätzt wird. | |
Ihre großen Erfolge erringen sie in kleinen Fragen, ihre Niederlagen bei | |
den großen Weichenstellungen (siehe Kasten). Sie begeistern die Menschen, | |
aber sie ändern kaum deren Verhalten. Sie arbeiten wissenschaftlich und | |
spielen gleichzeitig gekonnt auf dem Klavier der Emotionen. Sie geben die | |
richtigen Antworten, stellen aber nicht immer die richtigen Fragen. | |
Zum Beispiel diese: Kann man im Kapitalismus überhaupt die Welt retten? In | |
Zeiten von Finanz- und Wirtschaftskrisen herrscht da bei den | |
Regenbogenkriegern Funkstille. Auch wenn Greenpeace-Chef Kumi Naidoo eine | |
"Systemkrise" sieht, die Umwelt, Soziales, Finanzen, Bürgerrechte, | |
Wirtschaft und Ernährung umfasst, so hört man in diesen Wochen doch keine | |
fundierte Kapitalismuskritik aus der Zentrale in Amsterdam. | |
Das Greenpeace-Motto war immer "Taten statt Warten". Eine Umweltsauerei | |
aufdecken, sie mediengerecht verhindern, sich im Zweifel verhaften und | |
anklagen lassen und das Gericht als Bühne benutzen, Politik und Wirtschaft | |
vor sich hertreiben - das ist Greenpeace-Stil. Weltweit haben sie so die | |
Regeln gemacht, wie man die Regeln bricht. Damit sind sie sehr erfolgreich. | |
Dabei war der Walfang bereits tot, als die Bilder von den brutalen | |
Metzeleien an Walen auf hoher See den Regenbogenkriegern die Herzen und | |
Brieftaschen ihrer Unterstützer öffneten. Es ging nicht darum, der | |
Industriegesellschaft einen lebenswichtigen Rohstoff zu nehmen, sondern um | |
ein blutiges Erbe aus vorindustrieller Zeit. Auch sonst sind Kampagnen vor | |
allem dann erfolgreich, wenn sie Alternativen aufzeigen: Papier kann auch | |
chlorfrei hergestellt werden, Schornsteine können entschwefelt und Autos | |
mit Katalysatoren versehen werden. | |
Beliebt und erfolgreich sind die Regenbogenkrieger auch, weil ihre Aktionen | |
gewaltfrei sind, oft witzig und respektlos. Die globale Mittelklasse | |
finanziert die Aktionen - anders als andere Verbände nimmt Greenpeace kein | |
Geld von Regierungen oder Unternehmen, sondern bezieht nach eigenen Angaben | |
90 Prozent seiner Mittel aus Beiträgen, die geringer als 5 Euro sind. | |
## Das letzte Wort hat der Kapitän | |
Die Spender kümmert es wenig, dass Kritiker der Organisation ein | |
"Demokratiedefizit" vorwerfen. Kampagnen werden von oben geleitet und | |
durchgesetzt, wenn sie nach langen Diskussionen einmal beschlossen wurden - | |
das garantiert erfolgreiche geheime Aktionen. Und weil die Organisation mit | |
Schiffen groß geworden ist, sagt eine Mitarbeiterin aus der Zentrale in | |
Amsterdam, sei klar, "dass irgendwann der Kapitän das letzte Wort hat". Da | |
ist er wieder, der Walfang. | |
Inzwischen kommt den Öko-Aktivisten dieser Mythos auch mal in die Quere. | |
Gerade die Konsummuster und Lebensstile der globalen Mittelschicht sind es | |
ja, die die großen Umweltprobleme verursachen: Klimawandel, Artensterben, | |
Wüstenbildung, Landverlust sind Folgen der Gewohnheiten gerade jener | |
Schichten, die an Greenpeace spenden. | |
Dass die großen Umweltprobleme eher abstrakt sind, macht das Dilemma der | |
Ökos noch größer: Es ist einfacher, Geld für Aktionen im Regenwald zu | |
spenden, als sich um die Wärmedämmung des eigenen Hauses zu kümmern. So | |
verschaffen die Greenpeace-Kletterer, diese coolen Actionhelden in den | |
Schlauchbooten, ihren Förderern auch ein ruhiges grünes Gewissen und | |
übernehmen den Nebenjob des Weltrettens für diejenigen, die selbst dazu | |
keine Zeit haben, weil sie die Kinder im Allrad-Jeep zum Flötenunterricht | |
bringen müssen. | |
Andere Strukturprobleme hat Greenpeace erfolgreich gelöst. Nach dem | |
rasanten Wachstum in den siebziger und achtziger Jahren musste konsolidiert | |
werden: In den neunziger Jahren wurden Jobs gestrichen, Büros umgelegt, | |
wurde die Themenpalette vergrößert. Kritik an der (Atom-) Rüstung, die | |
einen Grundstein der Organisation bildete, ist kaum noch zu hören. | |
## Neue Ziele | |
Soziale Fragen sollen nach dem Willen des "neuen" Chefs stärker in den | |
Vordergrund rücken. Mit dem Südafrikaner Kumi Naidoo, der seit knapp zwei | |
Jahren Direktor ist, sieht Greenpeace vor allem seine Aufgaben in Indien, | |
China und Brasilien und weniger in Deutschland, den USA oder der Schweiz - | |
von wo allerdings immer noch das meiste Geld fließt. | |
Gerade in diesen "alten" Ländern funktioniert die Spendenwerbung mit Walen | |
und Robben am besten, berichten die Fundraiser. Solange sich Japaner, | |
Norweger und Isländer also gegen ein völliges Verbot des Walfangs sperren, | |
bleiben die Bilder erhalten, die den Umweltschützern Geld für Aktionen | |
gegen Klimawandel und Artensterben garantieren. So liefert der Blauwal im | |
Zweifel die Quersubventionierung für die Wespe. | |
Das ist auch bitter nötig. Denn trotz allen Jubels über die Macht von | |
Greenpeace und die Erfolge der Umweltbewegung hat sich die Lage der | |
globalen Umwelt objektiv weiter verschlechtert: Die Konzentration der | |
Klimagase ist gestiegen, der Klimawandel verändert rapide die chemischen | |
und biologischen Kreisläufe auf der Erde, Pflanzen und Tiere werden | |
ausgerottet, Wüsten breiten sich aus, Ackerflächen gehen verloren, die | |
Meere sind leer gefischt. | |
Das hat Greenpeace nicht verhindert, sondern vielleicht ein bisschen | |
verzögert. Denn der gefährlichste Feind der Ökohelden ist so alt wie sie: | |
Ebenfalls 1971 löste die US-Regierung den Dollar vom Goldstandard und trat | |
damit eine Entwicklung los, die zum globalen Siegeszug des | |
Finanzkapitalismus führte - mit katastrophalen Kollateralaschäden für | |
Mensch und Umwelt. | |
Man kann diese zwiespältige Bilanz von Greenpeace auch an ihrem Wappentier | |
demonstrieren: Der kommerzielle Walfang ist gestoppt. Aber jedes Jahr | |
sterben 300.000 Wale und Delphine als Beifang in den Netzen der | |
Fischereiflotten. | |
Auch in der Sonntaz: Fünf Weltrettungen in fünf Tagen - ein sonntaz-Autor | |
hat eine Greenpeace-Ortsgruppe und vier weitere Organisationen geteste. | |
16 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |