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# taz.de -- Die Wahrheit: Blutige Einschlüsse
> Zu Besuch beim zehnten Stammtischtreffen des Berliner
> Knorpelzüchtervereins "Kniebeuge e. V.".
Bild: Gezüchtete Knorpel in allen Formen und Farben - hier zu einem interessan…
Die Stimmung ist ausgelassen im Nebenraum der "Garstigen Sau". Die urige
Ostberliner Kneipe ist schon zum zehnten Mal Tagungsort des
Knorpelzüchtervereins "Kniebeuge e. V.". Erschienen sind über 40
Knorpelzüchter aus Berlin und den angrenzenden Regionen. Zwei Teilnehmer
sind sogar aus dem fernen Buxtehude angereist, um an dem regen
Erfahrungsaustausch der Vereinsmitglieder teilhaben zu können.
Der Vereinsvorsitzende Hubert Kosslik ist ein freundlicher Herr in den
Fünfzigern mit lachenden Augen hinter der Nickelbrille und einem
stoppeligen Haarkranz, der die rötliche Glatze umschmeichelt wie ein
Lorbeerzweig. "Neue Interessenten sind uns herzlich willkommen", sagt er,
"es gibt keine Verpflichtungen, und jeder ist willkommen, der unserem
Knorpelhobby positiv gegenübersteht. Dass so viele Züchter gekommen sind,
zeigt, dass das Interesse für einen Knorpelzüchter-Stammtisch in unserer
Region sehr groß ist."
Was genau aber treiben die Knorpelzüchter, und wozu? "Nun ja, wie unser
Name schon sagt, züchten wir Knorpel", lacht Kosslik. "Dazu entnehmen wir
uns mit einer Pinzette zwei kleine Knochenknorpelzylinder und etwas Blut
aus einem aufgeschnittenen Gelenk - meist aus dem Knie. Das kommt dann in
irgendein Gefäß - Einmachgläser haben sich als praktisch erwiesen. Dort
zerlegen wir die Knorpel mit Hilfe von ein paar Enzymen in die einzelnen
Zellen, die sich auf einem Nährmedium - am liebsten mögen sie Tortenboden -
teilen. Dieser Vermehrungsprozess dauert drei Wochen und wird so gesteuert,
dass ein qualitativ hochwertiger hyaliner Knorpel entsteht."
Aber wozu das Ganze, wollen wir noch wissen, denn es ist uns nicht ganz
klar. Wieder lacht Kosslik und erklärt uns: "Nun ja, es ist halt ein Hobby.
Das Ziel eines jeden Knorpelzüchters ist es, einen möglichst großen und
formschönen Knorpel zu züchten, sehen Sie doch nur einmal!" Die stolzen
Teilnehmer des Stammtisches haben nun ihre besten Zuchtergebnisse auf den
Tischen ausgebreitet, und wir sind erstaunt über die Vielfalt, die sich vor
uns auftut. Da gibt es Knorpel so groß wie Fußbälle, die milchig-bläulich
schimmern, es gibt Knorpel von eitrig-gelblicher Farbe, die in Form eines
Ankers oder Schlüssels gezüchtet wurden, und sogar ein Knorpel ist dabei,
der blutig-rote Einschlüsse und exakt die Form eines stilisierten Herzens
hat. Seine Züchterin, Hilde M. (39), bittet uns, ganz genau hinzusehen, und
wir entdecken, dass es ihr sogar gelungen ist, die Symbole "H + G = L" auf
ihr Knorpelherz zu züchten.
Nun gehen die Züchter umher und bestaunen die Zuchtergebnisse ihrer
Kollegen. Allenthalben sind bewundernde Ausrufe wie "Ohhhhh!" oder
"Ahhhhh!" zu hören, wenn wieder jemand ein besonders schönes
Knorpelexemplar entdeckt hat. Lobendes und freundliches Schulterklopfen, wo
man nur hinsieht. Gibt es denn keine Konkurrenz unter den Knorpelzüchtern?
"Nein, nicht bei einem Stammtischtreffen", sagt Kosslik, "da tauscht man
sich aus, gibt sich Ratschläge und Tipps für die Zucht und gelegentlich
werden sogar Knorpelzellen ausgetauscht, die dann vom neuen Besitzer in die
eigene Zucht eingekreuzt werden, um noch bessere Ergebnisse zu erreichen.
Doch auf den großen Knorpelschauen geht es schon anders zu. Da geht es um
richtig viel Geld, denn ein erster oder zweiter Preis bei einem der
bekannten internationalen Wettbewerbe erhöht den Wert eines prämierten
Knorpels auf Auktionen zuweilen um das Zehnfache. Ich habe auch schon
erlebt, dass es bei einer wichtigen, großen Knorpelschau zu sehr unschönen
Szenen kam, die das Ansehen der internationalen Knorpelzucht nachhaltig
hätten schädigen können, wenn das öffentlich geworden wäre."
Ein Teilnehmer des Knorpelzüchter-Stammtisches scheint so gar nicht in die
fröhliche Runde zu passen. Es ist ein hagerer, junger Mann mit langen,
schwarzen Haaren und schwarz umrandeten Augen, ganz in einen schwarzen
Mantel gewandet, der die Knorpel der anderen mit mahlendem Kiefer abfällig
betrachtet. "Das ist Eugen", raunt uns Kosslik zu, "unser schwarzes Schaf.
Der züchtet Knorpel nur, weil er so gerne darauf herumkaut."
19 Sep 2011
## AUTOREN
Corinna Stegemann
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