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# taz.de -- Deutsche Teilung: Die Freiheit endet hinter Resopal
> Die neue Dauerausstellung "Grenzerfahrungen" im Berliner Tränenpalast
> zeigt eindringlich, was die innerdeutsche Grenze für den Alltag vieler
> Menschen bedeutete.
Bild: Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) besuchte den Tränenpalast.
Eigentlich ganz schick, denkt man vor dem frisch sanierten Glaspavillon
neben dem Bahnhof Friedrichstraße. Schlanke Stahlstützen halten ein
lichtdurchflutetes Glasgebilde, das von einem Halboval gekrönt wird. Die
Eleganz betont umso mehr die Plumpheit des Spreedreieck-Hochhauses, das
sich protzig daneben erhebt.
Drinnen ist es allerdings schnell vorbei mit der Freude über die schöne
60er-Jahre-Architektur. Schon beim Betreten wird der triste Daseinszweck
des 1962 von Horst Lüderitz erbauten Reiseabfertigungspavillons der DDR
deutlich: die Menschenmassen, die sich langsam durch in den Raum
hineingeschachtelte Resopal-Gänge und -Kabinen schieben, beaufsichtigt von
Personal in Uniform, die Messing-Wanduhr an der Stirnseite. All das
erinnert an den berüchtigten innerstädtischen Grenzübergang, der im
Volksmund "Tränenpalast" genannt wurde - weil sich dort täglich dramatische
Abschiedsszenen abspielten. Nur dass es heute nicht nach Angstschweiß,
sondern nach frischem Pressspan riecht. Und das Personal lächelnd Fragen
beantwortet.
Das Gros der Grenzabfertigungsanlagen - Schilder wie "Einreise nur mit
Tagesvisum" und die verschachtelten Gänge, die den Besucherstrom sorgsam in
Ost und West trennten - wurde 1990 abgebaut. Doch einen Teil des
Originalinventars hat das Bonner Haus der Geschichte, das die nach der
Wende als Kulturort genutzte Abfertigungshalle vom aktuellen Eigentümer
Harm Müller-Spreer gemietet und zur Dauerausstellung umgebaut hat, wieder
beschafft: die Ablagen, auf denen die Koffer kontrolliert wurden, die
Kabinen, die Reisende nach erfolgter Gepäckkontrolle passieren mussten, um
in den Westen entlassen zu werden.
Die am vergangenen Mittwoch von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) eröffnete
Ausstellung "Grenzerfahrungen" setzt auf authentische Architektur und eine
Fülle von Exponaten. Chronologisch kann man der Teilungsgeschichte Berlins
folgen, von der Aufteilung in Sektoren bis zum Mauerbau, und dann abtauchen
in die Hoch-Zeiten des Tränenpalasts zwischen 1962 und 1990. Bis zu 30.000
Menschen passierten den Ost-West-Grenzübergang täglich. Ausreisewillige
DDR-Bürger, Berliner auf Verwandtenbesuch und Rentner, deren Ausreise ins
kapitalistische Ausland den Behörden als unbedenklich galt, drängelten sich
durch eine enge Schleuse. Vom Westbesuch auf dem Rückweg nach Hause mussten
sich DDR-Bürger allerdings schon draußen vor dem Gebäude verabschieden -
ohne gültige Ausreisepapiere durften sie nicht mal in die Nähe der
Kontrollstelle.
Wie strapaziös und nervenaufreibend der Grenzübertritt gewesen sein muss,
vermittelt heute eine Einzelabfertigungskabine: Der Raum ist absurd schmal,
der Tresen, hinter dem einst die Ausweiskontrolleure saßen, halshoch. "Da
kommen unangenehme Gefühle hoch", sagt eine ältere Dame, die beim
Einschnappen des Türschlosses nervös wirkt. Regelmäßig habe sie hier
durchgemusst - "die schönen Familienbesuche hatten dadurch immer einen
schlimmen Nachgeschmack".
Die Wartezeiten waren lang, die Fenster zugeklebt und die Kontrollen
schikanös, erzählt sie noch, bevor sie "raus an die frische Luft" drängt.
Mehr als 200 Menschen starben während des Grenzübertritts an der
Friedrichstraße. Viele, die am ersten Öffnungstag der Ausstellung gekommen
sind, haben die Zeit der Teilung erlebt. Sie nicken vehement zu den
Protokollen ausreisewilliger Dissidenten, kommentieren die Inhalte von
Flüchtlingskoffern, diskutieren das Modell, das die komplizierten Wege
reisender Ost- und Westbürger durch den Bahnhof Friedrichstraße
nachvollzieht.
Vieles an dieser Ausstellung ist einmalig, die zusammengetragenen
Fundstücke ergeben ein anschauliches Alltagskaleidoskop aus geschleusten
RAF-Terroristen und Stasi-Spionen, Kirchenaktivisten, die listenreich
verbotene Literatur austauschten, und Ost-West-Liebespaaren, die sich
mittels Silly- und David-Bowie-Platten in die jeweils andere Kultur
einführten.
Zeitgeschichtlich kundiges Publikum wird wohl den einen oder anderen
Schaukasten überspringen. Für Schulklassen und Touristen aber bietet der
Ort einen anspruchsvollen und anschaulichen Überblick über das, was man
sich heute kaum noch vorstellen kann: Die persönliche Freiheit kann hinter
einer mit Resopal verkleideten Wand zu Ende sein.
19 Sep 2011
## AUTOREN
Nina Apin
Nina Apin
## TAGS
Berliner Mauer
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