# taz.de -- Häuserkampf - damals und heute: Der Kampf geht leiser | |
> Vor 30 Jahren starb der Berliner Hausbesetzer Klaus-Jürgen Rattay auf der | |
> Flucht vor der Polizei. Haben die Ziele von damals heute noch eine | |
> Bedeutung? | |
Bild: Letzte spektakuläre Aktion im Februar 2011: Räumung der Berliner Liebig… | |
Dieses Haus hat Geschichte geschrieben. Das sieht man an der Plakette, oben | |
über der Tordurchfahrt. "In diesem Haus", steht da, "wohnte von 1937 bis | |
1944 Josef (Sepp) Herberger". Ein heutiger Bewohner der Bülowstraße 89 in | |
Berlin-Schöneberg, der gerade aus der Tür kommt, weiß jedoch, dass das Haus | |
nicht nur für Fußballhistoriker von Interesse ist, sondern für die linke | |
Szene. "Klar", sagt er, "das war mal ein besetztes Haus. Es gab die | |
Räumung. Und den toten Besetzer." | |
Heute vor 30 Jahren wurde das Haus zusammen mit sieben weiteren geräumt. | |
Sympathisanten wurden von der Polizei weggeknüppelt, der flüchtende | |
Demonstrant Klaus-Jürgen Rattay geriet unter einen Bus und starb. Der 22. | |
September 1981 war eine Zäsur für die Hausbesetzerbewegung in Berlin. | |
Gerade erst gab es in Berlin eine Veranstaltungswoche zu "30 Jahren | |
Hausbesetzerbewegung". Veteranen erzählten von damals, junge Aktivisten von | |
heute hörten zu. "Diese Ereignisse liegen drei Jahrzehnte zurück. Aber was | |
dazu geführt hat, ist auch heute aktuell, wie man zuletzt an der | |
Mietenstopp-Demo gesehen hat", sagte einer der Organisatoren bei der | |
Eröffnung. | |
Rund 6.000 Menschen protestierten kürzlich gegen die Mietenexplosion in | |
Berlin. Ein Ende der Preissteigerung ist nicht abzusehen. Großinvestoren | |
kaufen reihenweise Häuser in Berlin, sie gelten auf dem internationalen | |
Markt als sichere Anlage mit hoher Renditeerwartung. Kein Wunder, dass die | |
Mieten zentrales Thema im Berliner Wahlkampf waren. Realistische Antworten, | |
wie man die Wohnkosten niedrig halten kann, gab aber keine der Parteien. | |
## | |
## Ausverkauf in Zeiten der Gentrifizierung | |
So überrascht es kaum, dass linke Aktivisten an die alten Zeiten anknüpfen | |
wollen. In diesem Monat wurden zwei Häuser in Kreuzberg besetzt - und | |
schnell wieder geräumt. Dass sie tatsächlich bleiben können, hatten die | |
Besetzer auch nicht erwartet. "Symbolische Besetzungen sind sehr wichtig," | |
sagt Leyna*, die der Szene nahesteht. Es gehe darum, "zu zeigen, was die | |
Politik mit der Stadt macht: Lebensraum wird ausverkauft". | |
Vom Erfolg der beiden großen Besetzungswellen, die den Häuserkampf in | |
Berlin zum Mythos werden ließen, sind die heutigen Aktivisten aber weit | |
entfernt. Dafür fehlt es an den gesellschaftlichen Voraussetzungen. Als | |
1980/81 in Westberlin und noch einmal zehn Jahre später im | |
Nachwende-Ostberlin jeweils innerhalb weniger Monate weit über 100 Häuser | |
besetzt wurden, gab es nicht nur eine starke linke Szene, die von | |
Sympathisanten selbst aus dem bürgerlicher Lager unterstützt wurde. Es | |
standen zudem unglaublich viele Altbauten leer. Und die Regierung war | |
handlungsunfähig. In Westberlin stolperte der SPD-geführte Senat 1981 über | |
eine Korruptionsaffäre. In Ostberlin war gerade 1990 der ganze Staat | |
zusammengebrochen. | |
Obwohl neue Besetzungen derzeit also kaum dauerhaft sein können, erweisen | |
sich die Besetzungen von früher aktuell als probates Mittel gegen die | |
Gentrifizierung von heute. Selbst in boomenden Altbauviertel wie Prenzlauer | |
Berg, Friedrichshain oder Kreuzberg gibt es Häuser, in denen niedrige | |
Mieten auf Jahrzehnte garantiert sind. Sie wurden von den einstigen | |
Besetzern in Selbstverwaltung übernommen. Als Teil einer Genossenschaft | |
oder als Verein mit langfristigem Erbpachtvertrag ist es ihnen gelungen, | |
ihr Haus dem Verwertungsinteresse auf dem Immobilienmarkt dauerhaft zu | |
entziehen. | |
Andere Besetzer hingegen, die nur klassische Mietverträge bekamen, stehen | |
vor den gleichen Problemen wie ihre Nachbarn. Die Eigentümer versuchen die | |
Mieten zu pushen und unprofitable Bewohner zu vertreiben. Erst streiten sie | |
sich jahrelang vor Gericht, am Ende rückt die Polizei mit einem | |
Großaufgebot an. Was etwa im Februar bei Räumung der Liebigstraße 14 in | |
Berlin-Friedrichshain wie ein Revival des alten Häuserkampfes aussah, war | |
nur das von allen Seiten spektakulär inszenierte Ende eines | |
Mietrechtsprozesses. | |
Andere Initiativen haben ihre Rückschlüsse daraus gezogen. Baugruppen, die | |
Häuser für die errichten, die dann darin leben werden, sind nichts anderes | |
als die konsequente Umsetzung des alten Besetzerslogans "Die Häuse denen, | |
die drin wohnen". Zwar funktionieren sie auf einem vollkommen anderen | |
finanziellen Niveau und ohne jegliches Spiel mit der Illegalität, aber | |
viele Exbesetzer tauchen heute bei Baugruppen als Initiatoren, Planer und | |
Bewohner auf. | |
## Frühstücksgedeck für € 2,50 | |
Näher an der alten Szene ist das in Freiburg entstandene | |
Mietshäusersyndikat, dem sich mittlerweile über 50 Hausprojekte | |
angeschlossen haben. Die Syndikalisten spekulieren ganz offen langfristig | |
auf die Rendite, die in eine Art Immobilienfonds fließen soll - aus dem der | |
Kauf weiterer selbst verwalteter Häuser finanziert wird. | |
Die heutigen Aktivisten zeigen sich derweil bescheiden. Sie setzen in | |
erster Linie auf stille Besetzungen einzelner Wohnungen. Oft wissen nicht | |
einmal die Nachbarn davon. Im Gegensatz zur "offenen Besetzung" bleibt die | |
Wohnungstür zu, doch dahinter "können die Leute versuchen, gemeinsam ein | |
anderes Leben zu führen, als von der Gesellschaft vorgegeben wird," sagt | |
Leyna. | |
Letztes Jahr hätten die stillen Besetzer auch an der Bülowstraße 89 eine | |
Chance gehabt. Da habe das Haus plötzlich zu 80 Prozent leer gestanden, | |
erzählt der Mieter. Zuvor hätten dort türkische Großfamilien gewohnt, | |
einige Wohnungen seien von den Prostituierten genutzt worden. "Wie die | |
Wohnungsbaugesellschaft die losgeworden ist, weiß ich auch nicht", sagt der | |
Mann. Wahrscheinlich sei ihnen die Miete zu teuer geworden. Jetzt lebe hier | |
eine andere Klientel: Studenten aus Westdeutschland. | |
Noch bietet die Baguetterie unten im Haus als Frühstücksgedeck zwei halbe | |
Brötchen, ein gekochtes Ei und eine Tasse Kaffee - alles zusammen für 2,50 | |
Euro. "Aber in den letzten zwölf Monaten hat sich hier einiges verändert", | |
sagt der Mieter. Von den heutigen Bewohnern kenne kaum jemand die besondere | |
Geschichte dieses Hauses. | |
Wer eine Erinnerung an Klaus-Jürgen Rattay sucht, muss die hundert Meter | |
bis zu der Kreuzung gehen, auf der er vor 30 Jahren überfahren wurde. Auf | |
dem Bürgersteig vor der Commerzbank findet sich ein in den Boden | |
eingelassenes Betonkreuz mit seinem Namen. Einen Meter daneben wirbt an | |
einem Stromkasten ein Plakat für das neueste Album des Duos Rosenstolz. Es | |
heißt: "Wir sind am Leben". | |
21 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
G. Asmuth | |
A. Starodub | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Wahlen in Berlin | |
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