# taz.de -- 20 Jahre "Nevermind" von Nirvana: Ein Gefühl der Allmacht | |
> Im September 1991 ist "Nevermind" erschienen. Das Album machte Nirvana | |
> weltberühmt. An der Popularität ging Sänger Kurt Cobain wenig später | |
> zugrunde. | |
Bild: Ikone: Das Coverfoto von "Nevermind". | |
Hätte es den Song "Smells like teen spirit" und das dazugehörige Album | |
"Nevermind" von Nirvana nicht gegeben, die Musik auf Neunzigerjahrepartys, | |
die inzwischen überall den Achtzigerpartys Konkurrenz machen, wäre eine | |
ganz andere. | |
Grunge, wie man die Musik von Nirvana taufte, war der Soundtrack der | |
Generation X, der heutigen Enddreißiger und Anfangvierziger, die damals | |
lange Haare und zerrissene Jeans trugen und mit Nirvana-Sänger Kurt Cobain | |
als Guru der Rebellion noch einen selbstgemachten Rockstar verehrten. Die | |
Jugend von heute verehrt Computernerds wie Steve Jobs, sie kann sich gar | |
nicht mehr vorstellen, dass Ziellosigkeit und Slackertum einen kurzen | |
historischen Moment lang - ungefähr bis zum Tod Cobains - einmal positiv | |
besetzte Begriffe waren. | |
Heute, 20 Jahre nach Erscheinen von Nirvanas zweitem Album "Nevermind" | |
wirkt es ziemlich erstaunlich, wie unglaublich viel dieses eine Album und | |
seine Songs damals ausgelöst haben und wie wenig gleichzeitig von dem | |
Spirit der Zeit, in der die Musik entstanden ist, übrig geblieben ist. | |
MTV beispielsweise. Spex nannte Cobain damals den "ersten MTV-Toten", heute | |
weiß kaum noch jemand, was MTV überhaupt einmal war. Auch die | |
Musikindustrie war damals noch eine Macht. Sie schaffte es immerhin, einen | |
vorher als unverkäuflich geltenden wütenden Gitarrenrock von ein paar | |
Losern in Flanellhemden aus Seattle als das absolut neue Ding zu verkaufen. | |
Nach "Nevermind" wollte man weitere "Neverminds", also Alben, an deren | |
Potenzial vorher niemand glaubte. Bei dieser Suche wurde atemberaubend viel | |
Geld aus dem Fenster geschmissen. | |
"Nevermind" hat der Musikindustrie ein Gefühl der Allmacht verliehen, an | |
deren Verlust sie heute umso schwerer knabbert. Dem Zufall, der bei dem | |
sagenhaften Verkaufserfolg von "Nevermind" mit im Spiel war, will sie am | |
liebsten überhaupt nichts mehr überlassen. Auch der Typus Rockstar, den | |
Kurt Cobain verkörperte, ist heute undenkbar. Cobain war der authentische | |
Verweigerer, der Nicht-Mitmacher. | |
## Unfertige Krachnummern | |
Als seine Plattenfirma von ihm ein zweites "Nervermind" verlangte - ein | |
Erfolgsprodukt mit weiteren potenziellen Hits -, lieferte er mit "In Utero" | |
erst recht einen Strauß halbfertiger Krachnummern, von denen keine gewisse | |
Radiotauglichkeit besaß. Und als ultimative Geste der Verweigerung erschoss | |
sich Cobain einfach. | |
Der authentische Rockstar von heute ist dagegen eher der Typ Thees Uhlmann, | |
ein Schwiegersohn in Jeans, der sich selbst zu den letzten Aufrechten | |
zählt, aber bei jedem Scheiß mitmacht, allein schon deswegen, weil man als | |
Rocker heute ja irgendwie schauen muss, wo man bleibt und nebenbei die Zahl | |
seiner Facebook-Freunde erhöht. | |
Es sind viele verschiedene Aspekte, die "Nevermind" zu dem epochalen Album | |
gemacht haben, das es immer noch ist. Der "Smells like teen spirit"-Effekt, | |
dieses Gänsehautgefühl, das sich einstellte, als man den melodiös-wuchtigen | |
Aufschrei einer verletzten Seele das erste Mal hörte. Auch das Coverfoto | |
mit dem Baby, das der Dollarnote hinterherschwimmt und so die Gier im | |
kapitalistischen Amerika versinnbildlicht, wurde schnell ikonisch. | |
Es ist aber auch die Fähigkeit Cobains, Schmerz und Leidenschaft in | |
schlichtweg griffige Rocksongs zu verpacken, die sich heute immer noch | |
bewundern lässt. Welche Musik aus der Grunge-Ära kann man sich denn sonst | |
noch wirklich mit Genuss anhören außer "Nevermind"? | |
Nirvana, "Nevermind. 20th Anniversary Edition" (Universal) | |
23 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
Andreas Hartmann | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |