Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- DIE WAHRHEIT: Dammriss im Dasein
> Bei seiner Deutschland-Tour besuchte der Papst auch die Zentrale des
> Hedonismus: den Berliner Dance-Club "Berghain".
Sven Marquardt hatte schon alles gesehen. Der wegen seines mit Piercings
und Tätowierungen übersäten Gesichts furchterregend wirkende Türsteher des
"Berghain" lachte verächtlich auf.
Neulich wieder hatten ihm zwei junge Touristen tatsächlich einen Geldschein
hingehalten, damit er sie hineinließe.Sieben Stunden hatten die beiden
Spanier in der Schlange gewartet und durften dann unverrichteter Dinge
umkehren, diese Vollidioten!
Aber die beiden Vögel hier schlugen alles. Sahen aus wie Priester. Beide
ganz in Schwarz.Der eine mit roten Schuhen, offenbar handgefertigt. Auf dem
Kopf akkurate graue Haare. Machten wohl auf Vater und Sohn. Dabei wusste
doch jeder, dass er Pärchen nie, nie, nie durchließ.
Der Türsteher dachte an den Dammriss im Dark Room letzte Woche und den
Ärger, den die Sauerei verursacht hatte. Gerade wollte er den beiden
Priesterdarstellern sein bewährtes "Keene Schanze!" entgegenbrummen, als
der Ältere die Hand hob.
Teurer Ring, dachte der Hüter des Eingangs noch, als vom Stern des Südens
ein funkelnder Strahl auf den goldenen Fischerring fiel und ihn blendete.
Ein Chor drang an sein Ohr. Stimmen jubilierten in seinem Kopf. Starr stand
der mächtige Türsteher da und ließ das seltsame Paar passieren.
Georg Gänswein war die Idee gekommen. Der Sekretär des Papstes hatte bei
der spätabendlichen Lektüre der Heimatzeitungen im Vatikan den Satz in der
Süddeutschen gelesen, den ein Tourist in Berlin gesagt hatte: "Das Berghain
ist für Berlin so etwas wie der Vatikan für Rom und die Pyramiden für
Ägypten."
Der heilige Vater hatte die Stirn gerunzelt: "Don Georg", fragte Benedikt
XVI. und bediente sich halb scherzhaft der Anrede, die seine
Haushälterinnen für seinen Privatsekretär üblicherweise verwendeten: "Don
Georg, was ist das? Das ,Berghain'"? Er werde es morgen recherchieren,
erklärte der in allen Weltfragen sonst versierte Monsignore Gänswein ein
wenig ratlos.
Und schon am nächsten Abend hielt er ein längeres Referat über den
angeblich "besten Club der Welt", dem Berlin offenbar seinen Ruf als
Zentrale des Hedonismus verdankte. Er, Gänswein, habe da Dinge über den
Höllenort gelesen, die ihm die Schamesröte in die Wangen getrieben hätten.
"Ach, Gänswein, Gänswein", lächelte Benedikt versonnen, "Sie sind schon ein
rechter Dornenvogel."
Doch ließ die vertrackte Angelegenheit Benedikt nicht mehr los, nagten doch
die Vorwürfe, Mutter Kirche sei mittlerweile arg zu weltabgewandt, am Gemüt
des Mannes in den Schuhen des Fischers. Zweitausend Jahre Tradition
drückten seine Schultern gnadenlos nieder.
Benedikt hätte viel dafür gegeben, wenn er wieder der kleine Joseph wäre,
der durch den Garten seines bayerischen Elternhauses hätte tanzen können
zwischen Bienen und Blumen, ein fröhlicher Bub, der sich ganz der Liebe
hingab.
Monsignore Gänswein heckte einen kühnen Plan aus. Am ersten Abend des
Deutschlandbesuchs würden der Heilige Vater und er, nachdem alle
offiziellen Termine ausgestanden waren, sich aus den Schlafgemächern in der
päpstlichen Nuntiatur zu Berlin-Neukölln fortstehlen.
Und so lieh sich Gänswein zu später Stunde vom Hausmeister des päpstlichen
Botschaftsbaus unter dem Siegel absoluter Verschwiegenheit und
sicherheitshalber auch unter Androhung ewiger Höllenqualen dessen gelben
Fiat Cinquecento aus.
Dann gabelte er den im Halbdunkel des Hintereingangs bereits ungeduldig
wartenden Benedikt auf, und so juckelten die beiden freudig erregten, aber
auch ein wenig von Furcht ergriffenen Gottesmänner in Richtung Ostbahnhof -
dorthin, wo das "Berghain", dieser geheimnisumwitterte Vatikan Berlins,
liegen sollte.
Heute würde es dort das Konzert einer katholischen Künstlerin aus Amerika
geben. Sie trage den wundersamen Namen Baby Dee, und anschließend sei eine
"Aftershow-Party" geplant, wie Gänswein mit leichter Gänsehaut dem Papst
auf dem Beifahrersitz erläuterte. Benedikt lächelte erwartungsvoll.
Blitze, Farben, Töne. In völliger Verzückung stand Benedikt XVI. vor der
wogenden Masse, sog die zuckenden Strahlen und das pumpende Wummern
regelrecht in sich hinein. Er war zwar inzwischen taub wie ein Biber, aber
er spürte, wie die Bässe, die ihm aus der Wand entgegenrollten, von seinem
Körper Besitz ergriffen und ihn rundum erfassten.
Sein Herz überschlug sich, und hätte sein Leibarzt Doktor Polisca ihn jetzt
abgehört, er wäre in Ohnmacht gefallen. Der Beat drang Schlag um Schlag in
den Römer ein, dem Hören und Sehen verging. Er spürte nur noch seine Füße
und seine roten Schuhe, die sich wie von selbst bewegten und ihn in die
Mitte der Menge trieben, wo nichts als Ekstase vorherrschte. Benedikt
begann sich zu drehen…
Gänswein stand vor den Toiletten. Fasziniert beobachtete er, dass Männlein
und Weiblein ein und denselben Abort bevölkerten. Manche verschwanden dann
in einem abseits gelegenen Raum, der den zögerlichen Monsignore magisch
anzuziehen schien.
Davor hatte sich ein mit Muskeln herrlich bepackter Mann im weißen
Unterhemd positioniert, der Gänswein an jene Straßenarbeiter gemahnte, die
er einst an einer Autobahn bei Lourdes beobachtet hatte. Tapfer stolperte
er voran. "Dunkelmann, lass mich mal ran", flötete ihm der Muskelmann zu,
bevor er dem Sekretär in den dunklen Ort der Erkenntnis folgte.
Wie in Trance tanzte Benedikt. Seit er damals - selbstverständlich im
Original - Dantes "Göttliche Komödie" gelesen hatte, war Benedikt von
keinem Kunstwerk mehr so ergriffen worden wie jetzt von diesem Wirbel aus
Musik, Lichtern, Bildern, Armen, Schenkeln und Brüsten.
Und dann sah er sie. Sie! Benedikt ließ endgültig alle Heiligkeit fahren.
Sein Herz pulsierte wie eine Qualle, die vom Meeresgrund auftaucht. Im
Gegenlicht nahm er erst nur ihre zarten Umrisse wahr, dann erblickte er
ihre ebenholzfarbene Haut.
Das musste Baby Dee sein! Oder war es die Mutter Maria? Oder waren es beide
in einer Gestalt? Benedikt hatte längst jede Orientierung verloren. Selbst
ein eilig und halbwegs routiniert hervorgestoßenes Kurzgebet sollte sie
nicht nicht wieder einfangen können, seine wilde Sehnsucht nach … - Liebe,
ja, das war sie, die echte und wahre, reine und hehre Liebe, die sich
seiner bemächtigt hatte.
Als aber die wunderschöne Frau ihm ihre Hand zärtlich auf den Unterarm
legte, da konnte sich Benedikt nicht mehr halten, zog sie an sich und
hauchte ihr einen hingebungsvollen Kuss auf die vollen Lippen …
Noch vor dem ersten Angelusläuten quetschten sich die vier Nachtschwärmer
in den kleinen gelben Fiat - Benedikt und Baby Dee, Don Georg und der
Muskelmann, der sich jetzt als Mario aus Rostock vorstellte: "Ich bin
Orgelbauer, und du?", fragte er den Papst. "Ich bin nur ein einfacher
Arbeiter im Berghain des Herrn", schmunzelte Benedikt.
"Leute, ich weiß, wo wir hindüsen!", rief Mario. Und so kam es, dass das
ungleiche Quartett Arm in Arm oben auf dem Kreuzberg die ersten
Sonnenstrahlen der Morgenröte bewunderte. Benedikt XVI. aber ahnte, dass im
siebten Frühling seines Lebens seine Suche nach der immerwährenden Liebe in
Berlin ein glückliches Ende gefunden hatte.
24 Sep 2011
## AUTOREN
Michael Ringel
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.