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# taz.de -- Kolumne Blagen: Mädchenschweigen vs. Mutterschreie
> Die Einssechzigblondine stellt die falschen Fragen. Jedenfalls wenn ich
> sie anspreche.
Der Satz fiel einfach so aus mir heraus. Wie ein giftiger Brocken,
irgendwas, was man - wäre man bei Verstand - schnell wegwerfen würde. Am
besten ins Klo. Und dann sehr lange spülen. Der Satz, der aus mir
herausfiel, war dieser: "Hast du was für die Schule gemacht?"
Es ist einer dieser unguten Sätze, die man sich - erstens - mal geschworen
hat, nie seinen Kindern gegenüber zu gebrauchen. Weil er nämlich - zweitens
- so erpresserisch und dabei doch im Grunde ekelhaft desinteressiert ist.
Es ist so ein Behellige-mich-nicht-mit-Einzelheiten-Satz, in dem man etwas
Allgemeines verlangt: dass das eigene Kind "was für die Schule" gemacht
haben sollte. Entsprechend mufflig reagierte die Einssechzigblondine, die
an diesem Sonntagabend seit Stunden ihre Grundposition vor dem Fernseher
eingenommen hatte: lang auf die Couch hingebettet, einen Haufen Kissen im
Rücken, auf den Knien den Laptop, die Fernbedienung dicht am Körper.
Weil wir uns ständig um das kleine graue Drückding streiten und balgen,
nennen wir die Fernbedienung in guten Momenten "Die Macht". Die
Einssechzigblondine hatte sie an diesem Abend. Seit Stunden. Stunden, in
denen ich zuerst D-Promi-Scheiße hatte gucken müssen und danach einen
widerlichen Schwedenkrimi, in dem blasse Schulmädchen ermordet wurden.
Innerlich fühlte ich mich ungefähr so trostlos und aggressiv wie die Eltern
dieser weggemetzelten Elfen. Äußerlich tat ich Folgendes: Ich sagte den
Satz.
"Hast du was für die Schule gemacht?"
Die Einssechzigblondine nuschelte, den Blick fest auf ihre
Facebook-Konversationen geheftet: "Das geht dich zwar nichts an. Aber bitte
sehr: ich hatte nichts auf." Es war die letzte Chance für mich, klug zu
sein, diesen unguten Abend zu quittieren und schlafen zu gehen. Aber ich
war nicht klug, ich war gereizt und schwedisch aufgeladen. Und deshalb fing
ich an, diesem internetaffinen Girl mal zu erklären, welche Perspektiven
ich für sie sehe. Nämlich keine.
"Mich kannst du nicht verarschen", bellte ich, "ich weiß, wie sich das
anfühlt, fünf Minuten vor Ultimo noch die Hausaufgaben abzuschreiben. Wie
es ist, wenn man komplett den Anschluss verloren hat und im Unterricht nur
noch Bahnhof versteht. Vielleicht", schlug ich meine Zähne in ihre Seele,
"solltest du ehrlicherweise das ganze Schuljahr wiederholen."
Die Einssechzigblondine hatte nun aufgehört, Facebook-Nachrichten zu
schreiben. Sie starrte mich an und keifte zurück: "Was soll denn die
Scheiße? Wenn du schlechte Laune hast, geh doch vor die Tür und schrei da
ein bisschen rum! Und außerdem: Woher weißt du denn das alles - also wie
sich das anfühlt?" Gute Frage. Nächste Frage.
"Dastut-hier-doch-nichts-zur-Sache", blökte ich die Einssechzigblondine
heftig an,
"ich-meine-was-verlange-ich-denn-schon,doch-nur,dass-du-was-für-die-Schule-
machst,das-ist-doch-wirklich-nicht-zu-viel-verlangt,sonst-hast-du-ja-nichts
-zu-erleiden-blablarhabarberrhabarber …"
Ich kann nicht mehr genau sagen, an welcher Stelle die Einssechzigblondine
den Raum verlassen hat. Nur so viel: Wir reden nun seit vier Tagen nicht
mehr miteinander. Mir ist schon wieder verdammt schwedisch zumute.
25 Sep 2011
## AUTOREN
Anja Maier
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