# taz.de -- Alkoholverbot in S- und U-Bahn: Feiern oder grölen geht immer | |
> Seit Samstag kostet das Alkoholtrinken in Hamburgs U- und S-Bahnen 40 | |
> Euro. Über Facebook hatten sich 11.000 Menschen am Vorabend zum | |
> gemeinsamen Abschiedstrinken verabredet. So voll wurde es dann aber doch | |
> nicht. | |
Bild: Außergewöhnliche Geburtstagsparty: Abschiedstrinken in der U-Bahn. | |
HAMBURG taz | Grölen geht immer. An der U-Bahn-Haltestelle | |
Hamburg-Landungsbrücken machen es etwa 30 angetrunkene Jugendliche vor und | |
brüllen im Chor „Hier regiert der Alkohol“ und reißen dazu die Arme in die | |
Luft als ständen sie Stadion. Einige tragen Anzüge, andere haben sich | |
Unterhosen auf den Kopf gezogen und viele schleppen Bierkisten und | |
Rucksäcke mit Tetrapaks über den Bahnsteig. | |
Es ist Freitagabend und ab 24 Uhr kostet Alkohol trinken in U- und S-Bahn | |
40 Euro Bußgeld. Das gefällt nicht allen und auf einer Facebook-Seite | |
hatten sich zweitweise etwa 11.000 Menschen zum so genannten | |
HVV-Abschiedstrinken angemeldet - es kamen dann aber lediglich 1.000. | |
Aber die 11.000 angemeldeten Abschiedstrinker hatten die Verantwortlichen | |
beunruhigt und so wurde am Freitagabend zu einem Pressebriefing geladen. | |
Und hier waren die Rollen klar verteilt: Der Pressesprecher der Hochbahn | |
war für die lockere Stimmung und die kleinen Witzchen da: „Wir dürfen heute | |
ja auch noch bis 24 Uhr auch ohne Bußgeld trinken.“ Sein Pendant von der | |
Bahn gab sich eher zugeknöpft und übernahm den „Wir nehmen das ernst und | |
haben alles im Griff “-Part. | |
An Informationen gab es dann folgendes: „Wir können und wollen diesen Abend | |
nicht verbieten, aber wir werden die Aktion nicht unterstützen ", sagte der | |
Pressesprecher der Hochbahn. Und: ”Wir sehen das ganz entspannt und wir | |
gehen auch nicht davon aus, dass es zu irgendwelchen Zwischenfällen kommt.“ | |
Stephi feiert an diesem Freitag ihren 24. Geburtstag. Sie wohnt in | |
Uhlenhorst und hat dort mit Freunden selbstgemachte Burger gegessen, bevor | |
sie sich mit weiteren Freunden an der U-Bahn trifft. Stephi sagt, sie | |
wollte ihren Geburtstag „außergewöhnlich feiern“, aber von den grölenden | |
Krawalltrinkern hält sie nichts. Die Gruppe um Stephi – allesamt | |
Medizinstudenten mit Partyhüten auf – haben sich dann auch eine leere | |
U-Bahn ausgesucht, drehen "Lemontree" von Foolsgarden laut auf, werfen | |
Konfetti und Luftschlangen und trinken Sekt aus Plastikbechern. | |
Zwischen Hauptbahnhof und Landungsbrücken wird derweil fröhlich das | |
Wagen-wechsel-Dich-Spiel gespielt, kaum in eine Station eingefahren wird | |
der Ruf "Aussteigen, aussteigen, aussteigen" laut, die Türen gehen auf und | |
der Mob rennt mit erhobenen Armen "Einsteigen, einsteigen, einsteigen" | |
rufend über den Bahnsteig und quetscht sich in die nächste Bahn - und am | |
nächsten Bahnhof das gleiche Prozedere von vorn. | |
"Ab morgen haben die hier nichts mehr zu melden, dann ist endlich Ruhe", | |
sagt ein sichtlich genervter Sicherheitsmann, der sich mit seiner Kollegin | |
gerade noch in einen überfüllten Wagen geschoben hat. Aber heute muss er es | |
noch tatenlos hinnehmen, dass die Leute irgendwann zu hüpfen anfangen bis | |
der ganze Wagon schwingt. | |
Hochbahn und die Bahn haben für das Abschiedstrinken extra ihr Personal | |
aufgestockt und schickten 250 Sicherheitsleute mehr los als an einem | |
normalen Freitagabend. Die Hochbahn hat außerdem alle Züge auf der Linie U3 | |
doppelt besetzt und fuhr bis 24 Uhr im Fünfminutentakt, statt wie sonst | |
alle zehn Minuten. Hier und dort wurden ein paar Dixiklos an der Strecke | |
aufgestellt, ein paar Leute waren zum Müll sammeln beordert. Wegen der | |
vielen leeren Bierflaschen machte man sich keinen Sorgen. "Das erledigen | |
die Flaschensammler für uns", sagte der Hochbahn-Sprecher und sollte Recht | |
behalten. | |
In Stephis Wagen muss niemand Flaschen aufsammeln, denn die Studenten haben | |
große Taschen dabei und nehmen ihren Müll wieder mit. „Wir wollen ja | |
niemandem schaden“, sagt Stephi, schüttelt dann aber doch eine Sektflasche, | |
lässt den Korken knallen und sprüht ein wenig durch den Wagen. | |
Aber als sich jemand eine Zigarette ansteckt, wird der aus dem | |
Geburtstagswagen gebeten. Das Alkoholverbot nervt sie. „Es ist schon | |
schlimm, dass Vater Staat mittlerweile überall eingreift“, sagt Stephi. | |
Einer ihrer Gäste sieht das anders. „Mich nervt das ganze betrunkene | |
pöbelnde Feiervolk“, sagt er. „Ach, die wirst du durch das Alkoholverbot | |
auch nicht los“, sagt Stephi, „dann trinken die eben vorher“. Bis 24 Uhr | |
will die Gruppe nicht in der Bahn sein. Sie wollen keine Strafe riskieren. | |
Dass sie die in dieser Nacht keine 40 Euro fürs Trinken hätten bezahlen | |
müssen, wissen sie, wie die meisten anderen, nicht. "Wir werden in | |
Samstagnacht noch keine Strafe kassieren, sondern sehen das eher so wie ein | |
potenzieller Nichtraucher die Silvesternacht“, hatte der Hochbahn-Sprecher | |
gesagt. Der rauche ja schließlich auch in der Neujahrsnacht und höre erst | |
am nächsten Tag auf, so halten es auch die Hochbahn und die Bahn. | |
In der S-Bahn zwischen Hauptbahnhof und Reeperbahn versuchen einige, es | |
sich gemütlich zu machen und tun so, als sei die Bahn ihre Küche oder die | |
Kneipe: Zwei Pärchen sitzen mit hübsch bunten Schnapsgläschen und einer | |
Flasche Wodka in der S1 und mühen sich, nicht allzu viel daneben zu | |
schütten beim Gerüttel, zwei Mittdreißiger haben sich gleich ein ganzes | |
Fass Bier mitgebracht und vier Jungs sitzen mit einem riesigen | |
Kassettenrekorder in der U3 und hören Musik. | |
Ansonsten sieht es in der Bahn aus wie nach einem Fußballspiel und hört | |
sich meist auch so an - nur ein Buchstabe ist im Schlachtgesang | |
ausgetauscht: "Scheiße scheiße scheiße HVV" singt es überall und dazu wird | |
an die Fenster gebollert. Hier und dort wird ein Feuerlöscher abgerissen | |
oder die Notbremse im Zug gezogen, an der Station Stadthausbrücke wurde | |
sich geprügelt und Flaschen gingen zu Bruch und ein U-Bahnwagen musste aus | |
dem Verkehr gezogen werden. Nichts Ungewöhnliches für einen Freitagabend im | |
öffentlichen Nahverkehr. | |
An der Haltestelle St. Pauli steigt Stephis Geburtstagsgruppe aus der Bahn | |
und sammelt sich auf dem Heiligengeistfeld. Aus den Boxen klingt wieder | |
"Lemontree" und es wird ein wenig getanzt. Sie verteilen Plastikbecher und | |
schenken den letzten Sekt aus. „Das muss alles weg“, sagt Stephi, „wir | |
wollen noch kiezen und auf der Reeperbahn gilt doch das Flaschenverbot.“ | |
1 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Ilka Kreutzträger | |
Annika Stenzel | |
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