# taz.de -- Neuer Sentatspräsident in Frankreich: Diener keines Clans | |
> Jean-Pierre Bel ist neuer Präsident des französischen Senats. Damit | |
> schafft es ein Sozialist an die Spitze der zweiten Parlamentskammer - bis | |
> dato eine erzkonservative Bastion. | |
Bild: Verkörpert eher das ländliche Frankreich: Jean-Pierre Bel. | |
PARIS taz | Keine einzige Stimme der linken Ratsmehrheit hat dem neuen | |
Senatspräsidenten, Jean-Pierre Bel, am Samstag bei seiner Wahl im ersten | |
Durchgang gefehlt. Er ist mit 179 Stimmen auf Anhieb gegen den bisherigen | |
Präsidenten Gérard Larcher von der konservativen UMP, und eine zweite | |
Gegenkandidatur der Zentrumsdemokratin Valérie Létard (NC) gewählt worden | |
und hat somit mindestens zwei Voten aus dem bürgerlichen Lager bekommen. | |
Die Grünen (EELV) hatten zu Gunsten der Einheit der neuen Mehrheit im Senat | |
auf das angedrohte Sonderzüglein verzichtet. Die Geschlossenheit dieser | |
heterogenen Linken aus Sozialisten, Kommunisten, Grünen und linken | |
Radikalen, die nun das «Oberhaus» der beiden Parlamentskammern | |
kontrolliert, hat somit die erste Bewährungsprobe überstanden. | |
In seiner Antrittsrede versprach Bel, er wolle «keinem Clan dienen» und mit | |
dem Senat in den kommenden Monategegen die bürgerliche Regierung «keine | |
Obstruktion betreiben». Die Rolle des Senats solle es sein, Vorschläge zu | |
machen und nicht Vorlagen zu behindern, erklärte er unter dem Applaus aus | |
allen Reihen. | |
Der Senatspräsident ist in der Rangordnung der französischen Republik die | |
zweithöchste Persönlichkeit nach dem vom Volk gewählten Staatschef, den er | |
notfalls interimistisch ersetzt. Politisch ist aber sein Einfluss geringer | |
als der des Premierministers. | |
Wie die meisten seiner Vorgänger zählte auch der 59-jährige Sozialist Bel | |
bisher nicht zu den bekanntesten Politikern. Er verkörpert eher das | |
ländliche Frankreich, das im Senat aufgrund des indirekten Wahl der | |
Ratsmitglieder durch Départements- und Gemeindevertreter den Ton angibt. | |
Seine politische Karriere begann er als Vorsteher in Mijanes, einem | |
Pyrenäendorf mit 80 Einwohnern im Département Ariège, aus dem seine Gattin | |
stammt und wo er ein Feriendorf leitete. Dank der Unterstützung durch | |
seinen Schwiegervater, einen einflussreichen Lokalpolitiker, wurde Bel | |
Mitglied des Generalrats in diesem Département und schließlich dessen | |
Vorsitzender. | |
Nicht immer war Bel im von Mitterrand vereinten und neugegründeten Parti | |
Socialiste. Als Student und danach als Dozent an der Juristischen Fakultät | |
der Universität Toulouse war er in der trotzkistischen «Ligue Communiste | |
Révolutionnaire» aktiv. Schon als politisch engagierter Halbwüchsiger war | |
er in den 60ern in der Solidarität mit verfolgten Franco-Gegnern in Spanien | |
aktiv gewesen. Er wurde wegen dieser klandestinen Kontakte und Transporte | |
sogar auf der spanischen Seite kurz inhaftiert. | |
Dass er sich ausgerechnet den explizit antistalinistischen Trotzkisten | |
anschloss, soll auch eine Form der Rebellion gegen seinen Vater gewesen | |
sein, der ein unbeirrbar linientreues Mitglied des Parti Communiste | |
Français war. Unter den heutigen Exponenten des PS ist Bel mit seiner | |
trotzkistischen Vergangenheit bei weitem kein Einzelfall. Auch der frühere | |
Premierminister Jospin, den Bel als seinen Lehrmeister betrachtet, sowie | |
der Stadtpräsident von Dijon, François Rebsamen, waren einst in Frankreich | |
militante Anhänger der vom russischen Revolutionär und Stalin-Gegner | |
gegründeten Vierten Internationale. Heute meint Bel zu diesen wilden | |
Jahren: "Das war keine Indoktrination, mehr ein Form von revolutionärer | |
Romantik. Auf jeden Fall hat dies sehr zu meiner politischen Bildung | |
beigetragen." | |
"Von Rosa Luxemburg zum Petit-Palais du Luxembourg" (dem Sitz des Senats) | |
sei es gewiss kein direkter Weg gewesen, meint ironisch Le Monde zu dieser | |
Laufbahn von der extremen Linken bis an die Spitze des Senats, der immer | |
als erzkonservative Bastion gegolten hat. Als "Opportunisten" bezeichnete | |
ihn gar die frühere Parteichefin Aubry. Sie verdächtigt den neuen | |
Senatspräsidenten, er wolle seinen Freund Hollande bei den anstehend | |
Primärwahlen zur Nominierung des sozialistischen Präsidentschaftswahlen | |
gegen sie begünstigen. | |
Als Senatspräsident verfügt Bel nur über eine knappe Mehrheit von | |
theoretisch nur zwei Sitzen; das zwingt ihn zu einer konsensuellen | |
Diplomatie mit allen Fraktionen, und zuallererst mit den Vertretern seiner | |
eigenen Partei. | |
2 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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