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# taz.de -- Die Wahrheit: Drohende Drohnen
> Fast lautlos schwebt der unbemannte Flugkörper über Manhattan. Mit nur
> ein Meter zwanzig Spannweite halten die meisten Passanten das Objekt für
> ein harmloses, ferngesteuertes Modellflugzeug...
...das ein technikbegeisterter Junge mitten in der Stadt ausprobieren will.
Doch als das Flugobjekt immer tiefer sinkt und sich seinen Weg durch die
Straßenschluchten sucht, erkennen die meisten die Gefahr. Aber es ist zu
spät: Eine Salve von Hellfire-Raketen durchschlägt die Fenster der
berüchtigten Investmentfirma Copperton&Dutch im zwölften Stock eines
Gebäudes an der Wall Street.
Es folgt eine Reihe von Detonationen, Rauch steigt auf. Die Mitglieder des
Vorstands, die in dem Raum gerade eine Krisensitzung abhalten, werden
tödlich getroffen, die restlichen Mitarbeiter in den rückwärtigen Räumen
kommen mit dem Schrecken davon.
Der erste chirurgisch-präzise Drohnenangriff auf eine Wall-Street-Firma ist
eine weitere Eskalation im öffentlichen Streit über die Rolle der
Finanzindustrie, der momentan in vielen Städten der USA ausgefochten wird.
Doch während bislang die meisten Protestaktionen und Demonstrationen
friedlich verliefen und viele Sympathisanten auch im bürgerlichen Lager
fanden, wurde hier eine Linie überschritten - die Linie zur Gewalt.
Und Gewalt lehnen die meisten Anhänger der "Occupy Wall Street"-Bewegung
ab. Jeff Boulding, ein Aktivist der Protestbewegung, den wir vor dem
ausgebombten Gebäude treffen, sieht das anders: "Wir haben mit dieser
Aktion nur Waffengleichheit hergestellt. Ab sofort begnügen wir uns nicht
mehr mit folgenlosen Appellen, ab sofort begegnen wir uns auf Augenhöhe.
Firmen, die finanztechnische Massenvernichtungswaffen einsetzen und das
ganze Land in den Abgrund stoßen, bekommen hier nur ihre gerechte Strafe."
Wer aber hinter dem spektakulären Drohnenangriff steckt und wie er
realisiert wurde, will uns der Aktivist nicht verraten.
Unsere Recherche führt uns in ein unwegsames Waldgebiet im Norden des
Staates New York. Ein abgelegenes Blockhaus an einem kleinen See, zwei
uralte Pick-ups rosten auf dem Hof vor sich hin, allerlei Gerümpel türmt
sich auf der Veranda - amerikanische Provinzidylle.
Hier wohnt ein Mann, der seinen Namen aus verständlichen Gründen lieber
nicht in der Zeitung lesen will. Sein von außen betrachtet leicht
vernachlässigtes Domizil, das es mit Sicherheit nicht auf die Seiten von
Schöner Wohnen schaffen würde, entpuppt sich im Inneren als
High-Tech-Studio der Extraklasse. Modernstes Computer-Equipment, gepaart
mit der kreativen Intelligenz des altgedienten Hackers, haben diesen Mann,
nennen wir ihn Mr. Smith, zur Ausführung des ersten Drohnenangriffs auf den
amerikanischen Finanzsektor befähigt.
Mr. Smith bringt uns ein eisgekühltes Budweiser und erklärt seine
Vorgehensweise.Die Armada an Predator-, Reaper- oder Global-Hawk-Drohnen,
die die US Air Force auf ihren Stützpunkten weltweit unterhält, wird von
Spezialisten, fernab der Flugplätze, von einer Kommandozentrale aus
ferngesteuert. Mr. Smith ist es gelungen, sich in einen der
Steuerungscomputer einzuhacken. So war er in der Lage, eine Mini-Drohne zu
kapern.
"Damit war das Schwierigste schon geschafft", erklärt der bullige
Mittdreißiger. "Die Steuerung an sich ist ein Kinderspiel. Das funktioniert
auch nicht anders als bei einem Computerspiel." Nach dem erfolgreichen
Angriff auf Copperton&Dutch steuerte er die Drohne wieder auf ihren
Stützpunkt in New Jersey zurück.
"Die muss ja wieder mit neuen Raketen bestückt werden", lacht der
leutselige Familienvater. Mister Smith ist sich außerdem sicher, dass die
Entführung der Drohne überhaupt nicht bemerkt wurde. "Die Jungs in der
Kommandozentrale haben gerade genug zu tun mit dem ,capture or kill' von
Top-Terroristen in Afghanistan, Pakistan oder im Jemen. Da kann man schon
mal den Überblick verlieren."
Über verfassungsrechtliche Bedenken hat sich Mr. Smith auch schon so seine
Gedanken gemacht. Er beruft sich bei seinen Aktionen auf eine unmittelbare
Bedrohung der arbeitenden amerikanischen Bevölkerung durch kriminelle
Finanzdienstleister. Auf seiner "Schwarzen Liste" stehen noch weitere
prominente Repräsentanten verschiedener Banken, Hedgefonds und
Investmentfirmen.
Mehr will er uns aber nicht verraten, die Zeit drängt und Mr. Smith muss
zurück an seinen Computer.
8 Oct 2011
## AUTOREN
Rüdiger Kind
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