# taz.de -- EHEC-Protagonisten berichten: Der Wirt und die Sprossen | |
> Joachim Berger (68) führt seit 30 Jahren den Lübecker "Kartoffelkeller". | |
> Bei ihm haben sich viele Gäste mit Ehec angesteckt, sein Lokal stand am | |
> Rande des Ruins. Er erzählt, wie die Wochen der Ehec-Epedemie für ihn | |
> waren. Taz-Autor Dennis Bühler hat es aufgezeichnet. | |
Bild: Joachim Berger am 8. Juni 2011 in der Küche seines Lokals. | |
Am Morgen des 4. Juni rief mich mein Sohn ganz aufgeregt an. "Papa", sagte | |
er, "komm schnell her. Bei uns vor dem Kartoffelkeller stehen elf | |
Fernsehstationen aus aller Welt und stellen Fragen zu Ehec." Ich bin mit | |
den Journalisten in die Küche gegangen, die durften in jeden Topf rein | |
gucken, jede Speise probieren. Sie durften mit allen Beschäftigen sprechen, | |
auch mit den Gästen. Ich wusste: Ich habe mir nichts vorzuwerfen. Also | |
lasse ich am besten die Hosen herunter. | |
Bei uns im Kartoffelkeller haben sich mindestens 80 Leute mit Ehec | |
angesteckt, eine Frau ist gestorben. Die Scheiß-Sprossen haben wir ja auch | |
auf jeden Mist drauf geklatscht. Das sah doch so toll aus, und geschmeckt | |
hats auch. Wenn Sie bei uns Bratkartoffeln mit Spiegelei und Schinken | |
bestellt haben, war bei uns ein Salatblatt dabei und Gurken und Tomaten, | |
weil es so frisch schmeckt. Und über alles streuten wir die Sprossen. | |
Auch heute, mehr als vier Monate später, wird Salat bei uns noch deutlich | |
seltener bestellt als vor der Ehec-Epidemie. Sprossen haben wir sogar ganz | |
aus unserer Speisekarte verbannt. Die Leute wollen die einfach nicht mehr | |
essen. Viele Menschen sind ja wie die Elefanten: Sie haben ein sehr gutes | |
Gedächtnis. Noch immer kommen Touristen mit einem unguten Gefühl nach | |
Lübeck. Einige lassen sich vor dem Kartoffelkeller fotografieren, wie | |
Katastrophentouristen. | |
An normalen Tagen verkaufen wir 250 Portionen. Am Sonntag, dem 5. Juni, | |
gaben wir gerade mal sechs Essen heraus. Trotzdem spielte ich nie mit dem | |
Gedanken, das Restaurant vorübergehend zu schließen. Das hätte doch wie ein | |
Schuldeingeständnis gewirkt. | |
Wegen Ehec haben wir Umsatzeinbußen von 40.000 Euro erlitten. Mittlerweile | |
hat sich das Geschäft erholt. Die Lübecker haben uns nicht im Stich | |
gelassen, sie sind nach der Epidemie erst recht im Kartoffelkeller essen | |
gekommen, um uns zu unterstützen. In zahlreichen Briefen wünschten sie uns | |
Mut und Durchhaltewillen. | |
Das Geld, das ich im Zuge von Ehec eingenommen habe, habe ich alles | |
gestiftet. Für den Besuch der Talkshows von Markus Lanz und Johannes B. | |
Kerner habe ich einige hundert Euro erhalten, ebenso durch das | |
"Solidaritätsessen" anderer Lübecker Gastronomen. Alles habe ich gespendet, | |
nicht einen Pfennig davon möchte ich für mich behalten. Soll ich mich an | |
Ehec noch bereichern? Sicher nicht. | |
Eine solche Krise wie diese Epidemie möchte ich nicht nochmals durchmachen | |
müssen. Seit 43 Jahren bin ich in der Gastronomie tätig, seit 30 Jahren | |
führe ich den Kartoffelkeller. Ich habe viele Lebensmittelskandale erlebt: | |
Nematoden im Fisch, BSE im Rindfleisch, Dioxin in den Eiern.Aber erst Ehec | |
hat uns an den Rand des Ruins gebracht. Ob ich so eine Epidemie nochmals so | |
wegstecken würde, gerade ich als Diabetiker, weiß ich nicht. | |
11 Oct 2011 | |
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