| # taz.de -- Kolumne Über Ball und die Welt: Bananen für Steuerzahler | |
| > "Fukushima", "Jude", "Schwuler" und Bananenwürfe. Solche Diffamierungen | |
| > sind in Fußballstadien keine Seltenheit. | |
| "Fukushima, Fukushima" haben die Anhänger des belgischen Erstligisten | |
| Beerschot AC aus Antwerpen beim Heimspiel gegen den Lierse SK gerufen. Das | |
| Skandieren war ein Skandal. Schließlich spielt bei Lierse Japans | |
| Nationaltorwart Eiji Kawashima. Und der empfand es als Schmähung, seinen | |
| sportlichen Auftritt mit dem Ort der Katastrophe zu verbinden. Doch | |
| Kawashima reagierte nicht eingeschnappt, sondern ging auf die | |
| Beerschot-Fans zu, um mit ihnen zu reden. Die warfen Bierbecher in seine | |
| Richtung. Als er später in der Kabine saß, sollen Tränen geflossen sein. | |
| Was die Fans des vielleicht unter seinem alten Namen Germinal Beerschot | |
| besser bekannten AC anstellten, war dies: Sie bedienten sich einer | |
| einfachen Symbolik, die ihren Sinn erst in einem bestimmten Ambiente | |
| entfaltet. Rufen etwa Anti-AKW-Demonstranten das Wort "Fukushima", so hat | |
| das eine andere Bedeutung, als wenn dies in einem Stadion passiert. | |
| Gerade der Fußball bietet extremen Minimalismus an, auch sprachlicher | |
| Natur: "Club" ist Nürnberg, "FC" Köln und "FCK" Kaiserslautern. Wer sich im | |
| Bereich des Fußballs bewegt, versteht das unmittelbar; wer mit den | |
| kickerischen Gepflogenheiten nicht vertraut ist, bringt da schon mal gerne | |
| was durcheinander. Die Bereitschaft zum Minimalismus entspringt dem, was | |
| gerne Kreativität der Fans genannt wird: Die mag mitunter kritisch und | |
| originell sein, etwa wenn St.-Pauli-Fans als "Arbeitslose, Arbeitslose" | |
| beschimpft werden - und mit "Steuerzahler, Steuerzahler" antworten. | |
| Aber die Kreativität ist nicht immer lustig, nicht immer kritisch, sondern | |
| oft schlimm. Wenn Fußballfans "Jude" rufen, meinen sie das verächtlich: Im | |
| harmlosen Wort steckt das ganze Ensemble antisemitischer Schmähungen. Auch | |
| das ist ein Beispiel für Minimalismus: Schiedsrichtern wird mit diesem | |
| kurzen Wort Käuflichkeit unterstellt. Ähnlich das Wort "schwul": Nicht um | |
| die simple Benennung eines homosexuellen Mannes geht es, sondern alle | |
| negativen Konnotationen werden durch das eine Wort abgerufen: schwächlich, | |
| unmännlich, ungeeignet für den Sport der harten Kerle. Sogar ohne Worte | |
| kommt die rassistische Schmähung aus, wo nur eine Banane geworfen und | |
| eventuell zusätzlich noch "Uhuhuhuhuh" gerufen wird: wild, aus dem Urwald | |
| kommend, nicht zum Menschengeschlecht gehörend - das ist gemeint, und das | |
| versteht jeder. | |
| ## Keine "Schönwetterfans" | |
| All das ist schlimm, aber - es gehört zum Fußball. Es ist eine traurige | |
| Wahrheit: Die Fans, die voller Erregung in Richtung Schiedsrichter "Jude" | |
| rufen, sind es, die sonst dafür gelobt werden, keine "Schönwetterfans" zu | |
| sein. Aber warum ist das so? Warum sind Begriffe wie "Fukushima", "Jude" | |
| oder "Schwuler", wenn man sie im Stadion hört, automatisch diffamierend? | |
| Warum hat Beerschot AC 24.000 Euro Strafe zahlen müssen? Wofür hat sich | |
| dessen Präsident beim japanischen Botschafter in Belgien entschuldigt? | |
| Weil es der Fußball ist. Der ist eine Sprache, in der weltweit kommuniziert | |
| wird und in die auf minimalistischste Weise Wörter, Abkürzungen, Gesten | |
| oder Geräusche integriert werden. Kinder wissen das: Sie kommunizieren, | |
| indem sie kicken. Man glaubt ihnen nur nicht, weil sie keine Theorie der | |
| Kommunikation hinterherschieben, um zu beweisen, dass sie sich wirklich | |
| gerade mit anderen Kindern unterhalten haben. | |
| Als sehr einfache Sprache ist der Fußball Einfallstor für alles: Liebe und | |
| Hass, Freiheit und Unterdrückung, das Gute und das Böse. Wer also sagt, | |
| "Fukushima" zu brüllen hätte nichts mit Fußball zu tun, der irrt. Und wer | |
| daran arbeitet, dass Worte wie "Schwuler" oder "Jude" künftig auch im | |
| Fußballstadion nur deskriptiv gebraucht werden, ist nicht automatisch ein | |
| guter Fan. | |
| 13 Oct 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Martin Krauss | |
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